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somalia : Politischer Stillstand im Bürgerkriegsland

Verzögerte Wahlen schüren Angst vor Gewalt

01.02.2021
2023-11-13T09:51:14.3600Z
4 Min

James Swan, der UN-Sondergesandte für Somalia, fasst seine wachsende Besorgnis um die politische Stabilität des ostafrikanischen Landes in halbwegs diplomatische Worte: "Wir drängen die somalischen politischen Führer weiterhin, guten Willen zu zeigen und die offenen Fragen im Dialog zu klären", mahnt er am 27. Januar in einer virtuellen Pressekonferenz.

Anlass der Sorge sind die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen, die eigentlich bereits seit Dezember laufen sollten. Längst müsste alles auf den Höhepunkt am 8. Februar zulaufen: die Neuwahl des somalischen Präsidenten durch die dann bereits neu zusammengesetzten beiden Kammern des Parlaments. Faktisch hat nicht einmal der erste Schritt vollständig stattgefunden, nämlich die Ernennung der Wahlkommission durch den Präsidenten. Deshalb ist es laut Swan "unrealistisch", dass Somalia im Februar einen neuen Präsidenten bekommt. Aber immerhin eine Übereinkunft über das weitere Vorgehen müsste es bis dahin geben, mahnt Swan. Andernfalls könne Somalia auf "unvorhersehbares Terrain" geraten, und das bedeutet im schlimmsten Fall Gewalt.

Bescheidene Ansprüche Insofern wäre es eine große Erleichterung, wenn die somalischen Konfliktparteien kurzfristig doch noch einen Kompromiss fänden, also Präsident Mohamed Abdullahi Mohamed "Farmajo" als Vertreter des Zentralstaates, die Präsidenten der fünf somalischen Bundesstaaten und die übrigen Präsidentschaftskandidaten. Gemessen an den hochfliegenden Erwartungen für diese Wahl ist das ein bescheidener Anspruch. Eigentlich hätte erstmals seit mehr als 50 Jahren eine allgemeine, demokratische Parlamentswahl stattfinden sollen, mit einer Stimme für jede volljährige Bürgerin, jeden volljährigen Bürger. Das wäre ein großer Schritt gewesen, ein Zeichen dafür, dass Somalia seine demokratische Staatlichkeit tatsächlich verfestigt - nach drei Jahrzehnten Bürgerkrieg, Anarchie und islamistischem Terror.

Nach dem Sturz des letzten Diktators Siad Barres im Januar 1991 galt das Land lange als Paradebeispiel eines "Failed State". Erst seit 2012 hat es wieder eine international anerkannte Regierung, 2016 fand der erste Machtwechsel statt. Der neue Präsident wurde von den beiden Parlamentskammern gewählt, die durch die Stimmen von Wahlmännern und -frauen zu ihrem Sitz gekommen waren. Die waren ihrerseits von Vertretern der somalischen Clans ernannt worden. Das hätte diesmal erstmals anders sein sollen, aber aufgrund der anhaltend schlechten Sicherheitslage einigten sich die Vertreter der Bundesstaaten und der Zentralregierung am 17. September 2020 darauf, mit leichten Abweichungen auf das komplizierte indirekte Wahlverfahren von 2016 zurückzugreifen.

Seitdem aber sind einige Streitpunkte aufgetreten, die das Verfahren zum Stillstand brachten. Dabei geht es beispielsweise um die Zusammensetzung der Wahlkommission: Entgegen der Abmachung habe der Präsident auch Staatsangestellte und Geheimdienstmitarbeiter berufen, monieren einige Bundesstaaten und die politische Opposition.

"Das Problem ist, dass es in Somalia keine rechtliche Grundlage dafür gibt, wie Wahlen abgehalten werden müssen", sagt Hussein Sheikh Ali, Leiter des somalischen Think-Tanks Hiraal Institute. In Somalia hänge deshalb alles davon ab, dass sich die Politiker auf ein Modell einigten, nach dem sie gegeneinander antreten wollen. Tatsächlich hat der Staat im Wiederaufbau noch immer keine Verfassung. Zwar stimmte das erste Parlament 2012 mit überwältigender Mehrheit für einen Verfassungsentwurf, an dessen Ausarbeitung das Max-Planck-Institut für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht in Heidelberg beteiligt war. Doch dieser Entwurf ist bis heute nicht ratifiziert, die Arbeits- und Gewaltenteilung zwischen der Zentralregierung und den Bundesstaaten nicht formalisiert. Stattdessen hat Präsident Farmajo während seiner Amtszeit in die Wahlen mehrerer Teilstaaten hineinregiert und sie so gegen sich aufgebracht. Der Streit, der jetzt anlässlich der Wahlen eskaliert, hat sich in den vergangenen Jahren aufgebaut.

Der ehemalige Präsident Hassan Sheikh Mohamud, der sich erneut um das Amt des Staatschefs bewirbt, hat sich im November mit 13 Konkurrenten zum "Rat der Präsidentschaftskandidaten" zusammengeschlossen. Mit einer gemeinsamen Stimme wollen sie erreichen, dass der neue Präsident am 8. Februar gewählt wird, dem Tag, an dem Farmajos Amtszeit ausläuft. "Wir wissen nicht, was dann geschieht", sagt Hassan Sheikh.

In der virtuellen Pressekonferenz wies der UN-Sondergesandte Swan Ende Januar auf eine Resolution hin, die das Parlament schon im Oktober angenommen hat und die in diesem Fall greift. Demnach bleiben Parlament und Präsident nach dem Ende ihres Mandats im Amt, bis die Nachfolger gewählt sind. Das scheint aber in der gegenwärtigen aufgeheizten Stimmung kaum jemand im Kopf zu haben. Eher steht zu befürchten, dass Farmajos Kritiker ihn als "Diktator" wahrnehmen, wenn er den Regierungssitz am 8. Februar nicht verlässt.

Waffenpreise steigen Der Preis für Kalaschnikows und schwere Waffen steigt in Somalias Hauptstadt Mogadischu seit Wochen. Laut Hussein Sheikh Ali war ein Schnellfeuergewehr noch vor wenigen Wochen für tausend US-Dollar zu haben, jetzt koste es das Doppelte oder mehr. In Somalia sind die Waffenpreise noch immer ein gutes Fieberthermometer für die politische Lage.

Die Autorin ist freie Afrika-Korrespondentin.