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Auswahl: Claudia Heine
Gastreden

Immer wieder berichteten Zeitzeugen in der Gedenkstunde im Bundestag über ihr eigenes Er- und Überleben des Holocausts und das ihrer Angehörigen (Auszüge):

1998: Yehuda Bauer, Leiter der Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem

"Der Nationalsozialismus war wohl die radikalste Revolution, die je stattgefunden hatte - ein Auflehnen gegen das, was man bis dahin als Menschlichkeit betrachtet hatte. Der Kern der Vernichtungsstrategie gegenüber sogenannten Andersartigen war der Holocaust, der Plan der totalen Vernichtung des jüdischen Volkes (...) Und das Fürchterliche an der Shoa ist eben nicht, dass die Nazis unmenschlich waren; das Fürchterliche ist, dass sie menschlich waren - wie Sie und ich."

2004: Simone Veil, französische Politikerin, ehemalige Präsidentin des EU-Parlaments

"Als Voraussetzung für eine freie Zukunft braucht dieses versöhnte Europa ein dauerhaftes Fundament, das auf zwei Pfeilern beruht: Weitergabe der Erinnerung und Demokratie. Europa war es sich schuldig, ein Vorbild für Demokratie und die Achtung der Menschenrechte zu sein. Es musste die Lehren aus den totalitären Erfahrungen seiner bleischweren Vergangenheit ziehen und allen seinen Bürgern größtmögliche Freiheit im Rahmen eines solidarischen und friedlichen Miteinanders bieten."

2008: Lenka Reinerová, tschechische Schriftstellerin

"Ich überlebte, weil ich am Tage der Besetzung nicht im Lande weilte. Und so begann für mich das Exil. Unter anderem saß ich in Paris ein halbes Jahr in Einzelhaft, im berüchtigten Frauengefängnis La Petite Roqette, das es zum Glück nicht mehr gibt, danach ungefähr zwei Jahre im Internierungslager für lästige Ausländerinnen RIEUCROS. Dank der Bemühungen guter Freunde (...) bekam ich ein Visum und eine Schiffskarte nach Mexiko."

2010: Shimon Peres, israelischer Staatspräsident

"Die Shoa muss dem menschlichen Gewissen stets als ewiges Warnzeichen vor Augen stehen; als Verpflichtung (...) zur Gleichberechtigung aller Menschen, zu Freiheit und Frieden. Die Ermordung der Juden Europas durch Nazi-Deutschland darf nicht als ein 'schwarzes Loch' betrachtet werden, als ein Todesstern, der das Licht schluckt und die Vergangenheit gemeinsam mit der Zukunft verschlingt."

2011: Zoni Weisz, Vertreter der Sinti und Roma aus den Niederlanden

"Es ist menschenunwürdig, wie Sinti und Roma, insbesondere in vielen osteuropäischen Ländern wie zum Beispiel Rumänien und Bulgarien, behandelt werden. Der weitaus größte Teil ist chancenlos, hat keine Arbeit, keine Ausbildung und steht ohne ordentliche medizinische Versorgung da. (...) Wir sind doch Europäer und müssen dieselben Rechte wie jeder andere Einwohner haben."

2013: Inge Deutschkron, Journalistin und Autorin

"Nichts konnte darüber hinwegtäuschen, dass die Lage der Juden von Berlin immer kritischer wurde. (...) Um unsere Ausgrenzung perfekt zu machen, wurden die Telefonkabel durchschnitten, nahm man uns die Radioapparate weg. Der Gang zum Friseur wurde verboten, sowie das Waschen unserer Wäsche in einem Salon. Seife durfte uns nicht verkauft werden. Auch Eier und Kuchen nicht."

2018: Anita Lasker-Wallfisch, Cellistin, Überlebende des Mädchenorchesters Auschwitz

"Muss man wirklich fragen: Warum? Es gibt weder Entschuldigungen noch Erklärungen für das, was damals geschehen ist. Alles, was bleibt, ist Hoffnung, die Hoffnung, dass womöglich letzten Endes der Verstand siegt. (...) Ich hatte geschworen, nie wieder meine Füße auf deutschen Boden zu setzen. Mein Hass auf alles, was deutsch war, war grenzenlos. Wie Sie sehen, bin ich eidbrüchig geworden - schon vor vielen Jahren, und ich bereue es nicht. Hass ist ganz einfach ein Gift, und letzten Endes vergiftet man sich selbst."

Aus Politik und Zeitgeschichte

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