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Gastkommentare : Energiepakt mit Autokraten? Ein Pro und Contra

Deutschland will unabhängig werden von russischem Öl und Gas. Neuer möglicher Handelspartner ist Katar. Doch sollten mit Autokratien Geschäfte geschlossen werden?

28.03.2022
2024-03-05T12:47:45.3600Z
2 Min

Pro

Bittere Alternative

Foto: Privat
Malte Lehming
"Der Tagesspiegel", Berlin
Foto: Privat

Am überraschendsten ist, wie überrascht alle sind. Dabei wusste man es seit mehr als einem Jahrzehnt: Deutschland hat sich abhängig gemacht von Energie-Importen aus Russland. Denn wer aus Klimaschutz-Gründen aus der Atom- und der Kohle-Energie aussteigt, die Verluste aber weder durch Einsparungen vollständig kompensieren kann noch durch den Ausbau erneuerbarer Energien, braucht Erdgas. Das liefert bis heute Russland, weil die deutsche Nachfrage größer ist als das europäische Angebot. Der deutsche Junkie wurde zum Komplizen des russischen Dealers.

Lange vor der Annexion der Krim und dem Überfall auf die Ukraine im Jahre 2014 war klar, dass Wladimir Putins autoritär regiertes Land mit Willkürjustiz, Korruption, Journalistenermordung, Oppositionsunterdrückung verbunden ist. Und dass Energie-Exporte das Fundament der russischen Wirtschaft bilden. Doch offenbar bedurfte es erst der jüngsten Invasion, damit nach Auswegen aus der deutschen Energie-Abhängigkeit gesucht wird.

Nun heißt die oberste Maxime: Möglichst schnell weg von Putins Pipelines. Das ist nicht einfach. Wirtschaftsminister Robert Habeck warnt bei einem sofortigen Importstopp vor Armut, Massenarbeitslosigkeit und sozialen Verwerfungen. Weil die Zeit aber drängt, schloss er in Katar und den Vereinigten Arabischen Emiraten Verträge über die Lieferung von Flüssiggas. Das sind despotisch regierte Länder, die Menschenrechte missachten; Katar wird gar der Terrorismus-Finanzierung verdächtigt. Katar oder Russland? Diese bittere Alternative ist durch kein Wunschdenken schuldfrei aufzulösen. Wer die Berichte aus Mariupol liest, die Bilder der Zerstörungen sieht und die Gesichter der Flüchtenden, weiß indes, was das kleinere Übel ist.

Contra

Fossile Abhängigkeit

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Michael Bauchmüller
"Süddeutsche Zeitung", München
Foto: Privat

Mit wessen Energie die Deutschen fahren und heizen, können sie sich leider nicht aussuchen - jedenfalls, solange es fossile Energie ist. Öl etwa kommt seit vielen Jahren schon aus Ländern wie Kasachstan, Libyen, Saudi-Arabien, alles andere als lupenreinen Demokratien. Doch getankt wurde ohne Wimpernzucken. Hauptsache, der Sprit blieb erschwinglich.

Dieses Bewusstsein ändert sich erst jetzt, wo Erdgas aus Russland plötzlich etwa durch solches aus Katar ersetzt werden soll. Das Emirat steht schließlich im Ruf, zwar mit Geld um sich zu werfen, es aber mit den Menschenrechten nicht so genau zu nehmen. So ist die Lage: Deutschland will sich unabhängig machen von russischen Gasimporten, aber es ersetzt den großen Schurken in Moskau durch etwas kleinere in Doha und anderswo. Die Welt, leider, besteht eben nicht nur aus vertrauenswürdigen Energieriesen wie Norwegen. Hoffnungen, dass mit wachsendem Öl- oder Gasreichtum auch demokratische Entwicklung einhergeht, haben sich meistenteils zerschlagen.

Doch in ihrer fossilen Abhängigkeit bleibt der Bundesrepublik nichts anderes als die Wahl zwischen Pest und Cholera. Will sie sich ernsthaft aus der Umklammerung von Kriegstreibern und zwielichtigen Lieferanten lösen, ist die Antwort eine andere. Sie muss systematisch an Verbrennungsprozesse ran: Automotoren, Heizkessel, Stahlwerke. So viel und so schnell wie möglich müssen erneuerbare Energien übernehmen, und sei es über den Umweg grüner Wasserstoff. Die meisten Technologien dafür sind vorhanden, nur fehlt es oft am politischen Rahmen und nicht selten am Willen. An einem aber fehlt es nicht mehr: an guten Gründen.