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Foto: picture-alliance/Zoonar/Robert Kneschke
Ingenieurinnen, Pfleger, Lehrerinnen und Handwerker: In fast jedem Berufsfeld mangelt es an ausreichend ausgebildeten Arbeitskräften.

Fachkräfte braucht das Land : Deutsche Mangelwirtschaft

Das Problem ist seit Jahren bekannt, die Gründe benannt: In vielen Branchen fehlen immer mehr qualifizierte Arbeitskräfte. Helfen sollen Zuwanderer und Rentner.

28.03.2022
2024-03-11T09:47:04.3600Z
8 Min

In Senioren- und Pflegeheimen fehlt es an Pflegekräften, in Kitas an Erziehern und in Schulen an Lehrerinnen. Es dauert oft Monate, bis man einen Termin bei einem Handwerker bekommt, die Verwaltung kommt mit der Digitalisierung nicht hinterher, denn die wenigen, dringend benötigten IT-Fachkräfte arbeiten lieber in Unternehmen der freien Wirtschaft als im öffentlichen Dienst. Zahnarztpraxen, Forstbetriebe, Kneipiers und Orgelbauer: Kaum ein Tag vergeht, an dem nicht eine neue Meldung zum Fachkräftemangel über den Ticker läuft, kaum eine Branche sucht nicht händeringend nach qualifizierten Arbeitskräften.

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Ingenieurinnen, Pfleger, Lehrerinnen und Handwerker: In fast jedem Berufsfeld mangelt es an ausreichend ausgebildeten Arbeitskräften.

Das Problem ist seit Jahren bekannt, die Gründe benannt: Sinkende Geburtenzahlen treffen auf die Generation der Babyboomer, die in Rente geht. Hinzu kommen die Herausforderungen einer sich ändernden Arbeitswelt, der digitale Strukturwandel und der Umbau der Industrie in eine nachhaltige Wirtschaft - all das erfordert top ausgebildete Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Zwar stellt sich nach zwei Jahren Pandemie und dem Kriegsausbruch in der Ukraine die erhoffte Erholung der Wirtschaft langsamer ein als prognostiziert, dennoch ist die Zahl der unbesetzten Stellen momentan sogar höher als vor Beginn der Corona-Krise.

Laut einer Analyse des Kompetenzzentrums Fachkräftesicherung (Kofa) des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft werden in den kommenden zehn Jahren voraussichtlich 7,3 Millionen Menschen in Deutschland mit dem Renteneintritt aus dem Arbeitsleben ausscheiden. Mehr als zwei Millionen von ihnen verlassen dann Berufe, in denen bereits jetzt Fachkräfte fehlen.

Suche nach Lösungen

Wer will, soll auch nach dem Ende der Regelarbeitszeit unkompliziert weiterarbeiten können, Frauen sollen stärker gefördert, die Einwanderung erleichtert und Arbeitslose besser qualifiziert werden: Die Bundesregierung hat bereits zu Beginn des Jahres ihre Ideen dafür vorgestellt, wie der immer größer werdende Fachkräftemangel bekämpft werden soll. Nun kommen mit den Geflüchteten aus der Ukraine Hunderttausende qualifizierte Menschen nach Deutschland und es gibt bereits erste Programme, die die Kriegsflüchtlinge in Arbeit bringen sollen. Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) hat für diese Woche Gespräche mit Vertretern von Wirtschaft, Gewerkschaften, Sozialverbänden, Bund und Ländern angekündigt. Es sei aber nicht so, dass die Menschen, die nach Deutschland kommen, als Fachkräfte betrachtet würden, sondern erstmal als Menschen, sagte Heil vergangene Woche im Deutschlandfunk. Es müsse also zunächst um die Akutversorgung der Ankommenden gehen. In einem zweiten Schritt müssten aber Arbeitsperspektiven eröffnet werden für jene, die länger bleiben wollten. "Es kommen ja auch sehr viele qualifizierte Menschen zu uns", sagte der Minister. Die Geflüchteten sollten aber nicht nur in Hilfstätigkeiten, sondern in "ordentliche Arbeit" gebracht werden, so Heil.

In Sachsen beispielsweise wurden schnell Angebote für ankommende Ukrainerinnen und Ukrainer geschaffen. Wie die "Leipziger Volkszeitung" berichtet, habe unter anderem das Leipziger Eisenbahnunternehmen KSV nach kurzer Zeit angeboten, den Geflüchteten möglichst schnell eine Arbeit zu verschaffen.


„Um im bundesweiten Wettbewerb um Lehrkräfte zu bestehen, kehrt Berlin als letztes Bundesland zur Verbeamtung zurück.“
Astrid-Sabine Busse (SPD), Berliner Bildungssenatorin

Dass die Menschen, die vor dem Krieg in ihrer Heimat Sicherheit in Deutschland suchen, das Fachkräfteproblem hierzulande lösen sollen, möchte indes niemand implizieren. "Während Putin Bomben auf die Ukraine wirft, gehört es sich einfach nicht, dass wir unser Fachkräfteproblem mit ukrainischen Leistungsträgern lösen wollen", hieß es beispielsweise aus der Handwerkskammer in Leipzig.

Die Forderung nach Bürokratieabbau beim Zuzug von qualifizierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern aus dem Ausland ist auch nicht neu. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) hatte bereits angekündigt, genau das ermöglichen zu wollen. Vor allem Fachkräften aus Drittstaaten soll das Arbeiten in Deutschland erleichtert werden. Dabei geht es um enorme Zahlen: Der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Detlef Scheele, geht von 400.000 Zuwanderern aus, die nötig sind, um den Bedarf an Fachkräften in Deutschland zu decken - pro Jahr.

Sicherheit und gute Bezahlung

Attraktivere Arbeitsbedingungen sind ein weiterer Punkt, mit dem die Fachkräftesicherung gelingen soll. Als jüngstes Beispiel hat das Land Berlin angekündigt, Lehrerinnen und Lehrer künftig wieder verbeamten zu wollen. Bis zu einem Alter von 52 Jahren sollen alle Lehrkräfte, die die gesundheitlichen Voraussetzungen erfüllen, die Möglichkeit bekommen, sich um den Beamtenstatus zu bewerben.

"Um im bundesweiten Wettbewerb um Lehrkräfte zu bestehen, kehrt Berlin als letztes Bundesland zur Verbeamtung zurück", sagte die Berliner Bildungssenatorin Astrid-Sabine Busse (SPD) am vergangenen Dienstag. Mit der Entscheidung solle erreicht werden, dass mehr Pädagoginnen und Pädagogen nach ihrer Ausbildung an den Berliner Schulen bleiben. Nach Angaben der Bildungssenatorin hatten zuletzt 700 Lehrerinnen und Lehrer die Stadt verlassen, es herrsche Personalmangel, so Busse. Auch das Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung schätzt die Lücke zwischen verfügbaren Fachkräften und zu besetzenden Stellen im Berufsfeld "Gesundheit, Soziales, Lehre und Erziehung" als besonders groß ein. Doch nicht nur in den Bildungseinrichtungen und in der Pflege fehlt es an qualifizierten Arbeitskräften.

Nach Angaben des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK) sind die vom Fachkräftemangel am stärksten betroffenen Branchen die Gesundheits-, Kranken- und Altenpflege, im Handwerk unter anderem die Bereiche Elektroinstallation und Montage, die Kunststoffverarbeitung und der Maschinenbau und in den akademischen Berufsgruppen die Bereiche Medizin, Ingenieurwesen im Maschinen- und Fahrzeugbau und die IT, Softwareentwicklung und Programmierung. Im vergangenen Jahr stieg die Zahl der offenen Stellen, für die es rein rechnerisch keine passenden Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gibt, laut Kofa von rund 213.000 im Januar auf gut 465.000 im Dezember. Zudem sind einzelne Regionen stärker vom Mangel betroffen als andere. Nach Angaben des BMWK verschärft sich die Situation besonders in Süddeutschland und den östlichen Bundesländern.

Fachkräftereport: Mehrarbeit belastet Belegschaft

Der Fachkräftereport 2021 der Deutschen Industrie- und Handelskammer hat knapp 23.000 Unternehmen zum Thema Fachkräftemangel befragt. Mehr als jedes zweite Unternehmen gab daraufhin an, offene Stellen zumindest teilweise nicht besetzen zu können. Damit seien aktuell sogar mehr Unternehmen von Schwierigkeiten bei der Stellenbesetzung betroffen als vor der Corona-Krise, heißt es in dem Bericht. Auf die Frage, mit welchen Folgen die Unternehmen durch den Mangel an qualifizierten Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern in Zukunft rechnen, war die häufigste Antwort eine Mehrbelastung der Belegschaft (61 Prozent). Dies sei dann der Fall, wenn Betriebe kurzfristig auf Personalengpässe reagieren müssen, um Aufträge abzuarbeiten, Lieferfristen einzuhalten und Geschäftszeiten aufrecht erhalten zu können, heißt es von der DIHK.

Als zweite Folge geben die Unternehmen steigende Arbeitskosten (58 Prozent) an. Mit einer Einschränkung des Angebots oder der Notwendigkeit, Aufträge ablehnen zu müssen rechnen 43 Prozent der Befragten, 21 Prozent fürchten den Verlust ihrer Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit. Keine Folgen oder keinen Fachkräftemangel erwarten 15 Prozent.

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Anreize für Arbeit bis zur Regelaltersgrenze

Wer helfen könnte, die Lücken zu füllen, sind die berufserfahrenen Beschäftigten. Auf die zielt ein Vorschlag des Wirtschaftsministeriums ab. Das "Renteneintrittsfenster" soll einen Anreiz setzen, damit Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mindestens bis zur Regelaltersgrenze arbeiten und gegebenenfalls freiwillig auch darüber hinaus. Dies könne zum Beispiel durch eine Flexibilisierung des Renteneintritts geschehen, diese wäre verbunden mit finanziellen Anreizen, länger zu arbeiten, heißt es aus dem Ministerium.

"Man sollte flexibel länger arbeiten können. Das wäre ein doppelter Gewinn: Wer will, kann sein Wissen, sein Können, seine Erfahrung noch länger einbringen. Davon können Betriebe und die Gesellschaft profitieren. Und wir könnten dem Fachkräftemangel entgegenwirken", sagte Minister Habeck dem "Handelsblatt". Laut Wirtschaftsministerium gehen die Deutschen im Schnitt mit 64 Jahren in Rente, also vor dem Regeleintrittsalter.