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Editorial : Kritische Reflexion

Die kritische Reflexion des Regierungshandelns ist gerade in Wendezeiten besonders bedeutsam.

28.03.2022
2023-10-27T10:48:04.7200Z
2 Min

Es sind Ausnahmezeiten und das ließ sich in der Haushaltswoche auch im Bundestag beobachten. Der russische Krieg gegen die Ukraine, die Folgen der Pandemie oder die Klimakrise, jeder Aspekt für sich wäre eine Sondersituation. Finanzminister Christian Lindner hat sich daher entschieden, dem Parlament keinen abschließenden Haushaltsentwurf vorzulegen. Ein vollständiges Bild soll erst ein Ergänzungshaushalt geben, den der Finanzminister nachliefern will. Die Kritik der Opposition: Das stellt das Budgetrecht des Parlamentes in Frage.

Die Koalition wagt etwas Neues

Der Hinweis aus der Koalition, ein solcher Ergänzungshaushalt sei kein Novum, ist richtig. Allerdings waren sowohl die Ergänzungshaushalte 1967 als auch 2020, die als Kronzeugen herhalten mussten, nicht bereits beim Haushaltsentwurf absehbar oder gar angekündigt. Sie wurden jeweils aufgrund neuer Entwicklungen im Anschluss notwendig. Die Koalition wagt daher durchaus etwas Neues. Es ist das Eingeständnis, dass die Regierung nicht absehen kann, wie sich die Welt in den kommenden Monaten entwickeln wird. Wer könnte dies derzeit schon?

Die Koalition hätte also selbstbewusst zu diesem Haushalt stehen können, doch Souveränität fehlte oft. Aufgeregte Zwischenrufe bei jedem Anflug von oppositioneller Kritik belegen das. Das Plenarprotokoll vermerkt sogar von der Regierungsbank Zwischenrufe - im Bundestag eigentlich nicht zulässig. Im Vergleich dazu war die in seiner bekannten hanseatischen Gelassenheit vorgetragene Rede von Bundeskanzler Olaf Scholz wohltuend. Es sei völlig in Ordnung, dass die Opposition ihre Vorstellungen artikuliere, so der Bundeskanzler. Eine parlamentarische Selbstverständlichkeit, könnte man meinen.

Staatsmacht ist kein Selbstzweck

Bei Kritik war immer wieder auch der Verweis auf Versäumnisse früherer Regierungen zu vernehmen. Dieser erspart der neuen Koalition aber weder, nun selbst Antworten zu geben und dafür Mehrheiten zu finden, noch die in einer Demokratie notwendige kritische Betrachtung der nunmehr eigenen Regierungsarbeit. In der Generaldebatte konnte an einer Stelle Beifall der Ampel notiert werden, in der zuvor ein Redner Kritik mit Hinweis auf die Staatsräson unterbinden wollte. Eine solche Sicht läuft Gefahr, die Staatsmacht zum Selbstzweck zu erheben, an der es keine Kritik geben kann. Die kritische Reflexion des Regierungshandelns ist gerade in Wendezeiten besonders bedeutsam.