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Gastkommentare : Pro und Contra: Ist ein Ölembargo wirksam?

Wäre ein Ölembargo gegen Russland wirksam? Ja, findet Thomas Sigmund. Dem widerspricht Markus Grabitz.

 

23.05.2022
2024-03-05T12:56:37.3600Z
4 Min

Pro

Es trifft ins Mark

Foto: Handelsblatt/Marc-Steffen Unger
Thomas Sigmund
ist Ressortleiter Politik und Leiter des Hauptstadtbüros beim "Handelsblatt".
Foto: Handelsblatt/Marc-Steffen Unger

Ein Ölembargo schadet Russland massiv. Im sechsten Sanktionspaket der EU sind zwar Übergangsfristen vorgesehen. Rohöllieferungen sollen in den kommenden sechs Monaten gestoppt, raffinierte Erzeugnisse bis Ende des Jahres nicht mehr in die EU importiert werden. Doch danach versickert eine wichtige Einnahmequelle von Wladimir Putin. Der russische Präsident verfügt dann über weniger Geld, das Militär für den Krieg in der Ukraine zu finanzieren, und er kann die bereits wirkenden Sanktionsfolgen im eigenen Land schlechter finanziell abfedern. Bisher trafen die Sanktionen vor allem die Bürger. Ein Ölembargo trifft den Staat ins Mark.

Der Vorwurf, Deutschland und die anderen EU-Länder würden sich mit den Übergangfristen einen schlanken Fuß machen, stimmt nicht. Von Anfang an stellte die Bundesregierung klar: Die Sanktionen sollen Russland mehr schaden als Deutschland. Das wäre ab 2023 der Fall. Wenn es also Alternativen gibt, das russische Öl zu ersetzen. In Rekordzeit hat Wirtschaftsminister Robert Habeck den Anteil von 35 Prozent auf derzeit zwölf Prozent gedrückt. Die Angst vieler Deutscher, Putin könne als Vergeltung den Gashahn abdrehen, ist unbegründet. Russland ist eine relativ kleine Volkswirtschaft. Putin braucht das Geld aus den Gasverkäufen. So schnell wie in die EU kann er sein Öl nicht nach China oder Indien verschiffen.

Wichtig ist zudem das politische Signal, das von dem noch nicht beschlossenen Ölembargo ausgeht. Noch sperrt sich Ungarn. Doch Moskau sollte nicht darauf hoffen, dass sich alles wieder einrenkt, wenn die Europäer einen Preis für die Sanktionen zahlen müssen. Die EU meint es ernst und zeigt das mit dem Ölembargo.

Contra

Das falsche Mittel

Foto: Stuttgarter Zeitung
Markus Grabitz
ist EU- und Nato-Korrespondent bei der "Stuttgarter Zeitung" und "Stuttgarter Nachrichten".
Foto: Stuttgarter Zeitung

Das unwürdige Gezerre der EU-Mitgliedsstaaten um ein Ölembargo gegen Russland sollte ein Ende haben. Mit seinem Veto gegen den Ölboykott ist Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban nur dafür verantwortlich, dass die EU als außenpolitischer Zwerg wahrgenommen wird. Und so richtig es für die EU schon in eigenem Interesse wäre, die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen auf mittlere Frist drastisch zu senken und auf lange Sicht ganz unabhängig von ihnen zu werden: Es ist ein Irrtum, zu glauben, dass mit Sanktionen das Morden, Vergewaltigen und Verschleppen von Zivilisten in der Ukraine durch russische Soldaten zu beenden wäre.

Nicht jeder Horror lässt sich mit Boykotten und Sanktionen stoppen. Ein gutes Beispiel dafür ist Iran. Das Land ist seit Jahrzehnten politisch und wirtschaftlich ein Paria. Und dennoch hört das Regime nicht auf, Israel zu bedrohen und nach der Atombombe zu streben.

Im Fall des russischen Angriffskrieges wiegen die Dinge noch schwerer. Russland verfügt über eine große Finanzkraft. Der Haushalt steht auf soliden Füßen. Das hat der Internationale Währungsfonds erst vergangenes Jahr Moskau attestiert. Selbst wenn sich die EU zum Ölboykott aufraffen könnte, stünden Indien und China als Kunden bereit und würden die wegbrechende Ölrechnung der EU zumindest teilweise übernehmen. Im Zweifel würde Putin der Bevölkerung, die ihn weitgehend unterstützt, den Gürtel ein wenig enger schnallen. Nein, um das Morden in der Ukraine zu stoppen, bedarf es nicht des Boykotts, sondern des Sieges der tapferen Ukrainer. Und die Aufgabe der Europäer ist, ihnen dafür die notwendigen Waffen zu geben.