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Tradition und Wandel in der Lausitz : "Wir müssen uns bewegen, wenn wir am Markt mitmischen wollen"

Wie sich Betriebe im Gastgewerbe gegen die Probleme der Branche stemmen: drei Beispiele aus Bautzen, Görlitz und Weißwasser.

25.07.2022
2024-03-11T13:41:47.3600Z
8 Min

Im "Wjelbik" klingelt das Telefon. Monika Lukasch, die Wirtin des sorbischen Restaurant in Bautzen, greift nach dem Hörer. Der Anrufer aus Kamenz möchte einen Tisch zum Abendessen reservieren lassen. "Da freuen wir uns", sagt die 38-Jährige mit einem Lächeln, bevor sie auflegt, und erklärt: "Das sind Stammgäste, die nur wegen uns nach Bautzen kommen."

Foto: Pawel Sosnowski

Die "Obermühle" in Görlitz liegt direkt an der Neiße. Ihr Chef Jörg Daubner beschäftigt etwa 30 Mitarbeiter in verschiedenen Bereichen.

Das Geschäft im "Wjelbik" (Gewölbe) floriert, was auch am Profil des Restaurants liegen mag. Hier kehren oft Touristen ein, die mehr über die Lausitzer Sorben wissen wollen: das kleinste slawische Volk, ansässig im Osten Sachsens und Süden Brandenburgs. Wenn Lukasch Reisegruppen empfängt oder Einzelgäste bedient, trägt sie stets eine sorbische Tracht, und das nicht nur zur Schau. Sie gehört der nationalen Minderheit selbst an, ebenso wie ihr Mann Thomas, der Küchenchef im "Wjelbik".

Servieren in Tracht hat Tradition

Das Paar übernahm das Lokal von Monika Lukaschs Eltern. Sie führt auch die Tradition ihrer Mutter fort, in Tracht zu servieren. Seinerzeit war das Restaurant allerdings touristischer ausgerichtet. "Wir haben das Konzept erweitert und verbessert", erzählt die heutige Chefin. Die Speisekarte wechselt mehrfach im Jahr und variiert in saisonalen Angeboten. Außerdem kocht das Küchenteam um Thomas Lukasch ausschließlich frisch, am liebsten mit regionaler Ware. Den höheren Aufwand honorieren die Gäste, auch in schwieriger gewordenen Zeiten.


„Wir sind ständig auf Achse und müssen uns gut organisieren.“
Monika Lukasch, Gastwirtin

"Wir haben nach wie vor gut zu tun", sagt Monika Lukasch. Das Lokal ist eine beliebte Adresse in der Region bei Leuten, die mit Niveau speisen wollen. Die Wirtin kennt die einschlägige Meinung, im "Wjelbik" sei es "ganz schön teuer". "Viele haben gar nicht im Blick, was wir leisten", glaubt die zweifache Mutter. Ihre Arbeitswoche habe durchaus bis zu 80 Stunden: "Wir sind ständig auf Achse und müssen uns gut organisieren."

Sie versteht es, auf Leute zuzugehen und sie charmant zu bewirten. Das war wohl umso wichtiger, nachdem Bautzen durch Proteste gegen Corona-Maßnahmen in die Schlagzeilen geriet. Menschen zogen dort jeden Montagabend nicht nur lautstark durch die Straßen. Dabei flogen auch Böller und Flaschen, sogar Polizisten wurden angegriffen und verletzt. "Wir arbeiten daran, dass sich das in den Medien vermittelte Bild nicht festsetzt und die Leute mit einem positiven Eindruck nach Hause gehen", sagt die Gastwirtin.

Anderswo wird händeringend nach Fachkräften gesucht

Die Corona-Zeit hat Spuren hinterlassen. Lukaschs könnte der gute Ruf ihres Restaurants geholfen haben, dass es trotz sich ständig ändernder 2G- und 3G-Regeln kontinuierlich frequentiert war. "Das sind die Früchte der letzten Jahre", schätzt die Geschäftsführerin ein. Personalprobleme belasten sie gerade nicht. Vor fünf Jahren sah das noch anders aus, doch im Moment sind alle Stellen besetzt. "Mental schwierig" sei indes gewesen, ihre Beschäftigten wegen der Pandemie in Kurzarbeit zu schicken, weil sie so ihre soziale Aufgabe als Arbeitgeberin nicht erfüllen konnte.

Jörg Daubner in Görlitz beschäftigt etwa 30 Frauen und Männer in verschiedenen Bereichen. Personalnot kennt auch er nicht. Freie Stellen blieben nicht lange frei, sagt der Chef der Obermühle. Das Restaurant mit Hotel und Bootsverleih liegt idyllisch an der Neiße, direkt am Oder-Neiße-Radweg. Interessierte meldeten sich sowohl auf Ausschreibungen als auch mit Initiativbewerbung. Der Gastronom weiß um das Privileg, Personal auswählen zu können, während anderswo händeringend nach Fach- und Hilfskräften gesucht wird. Laut dem Branchenverband Dehoga beklagten immerhin rund 60 Prozent der Betriebe im Juni akuten Mitarbeitermangel.

Daubner übernahm die Obermühle 2016 von seiner Mutter. Der gelernte Koch, der auch Wirtschaft und Philosophie studierte, hat das Unternehmen um mehrere Standbeine erweitert. Dazu zählen eigener Gemüseanbau sowie eine Küche, die Kindergärten und Schulen täglich mit Essen beliefert. "Wir sind nicht vom Tourismus abhängig", konstatiert er selbstbewusst. "Das System funktioniert in sich."

Starker Fokus darauf, sich selbst zu versorgen

Eigenes Bier brauen, frisches Brot backen, Nudeln selbst herstellen und eigenhändig die Äpfel ernten, die zu Saft für den Ausschank im Lokal verarbeitet werden: Von Beginn an setzte Jörg Daubner auf autarke Versorgung. "Wir kennen die Lieferanten oder machen es selbst", sagt er. Auch die Wasserkraftanlage der stillgelegten Getreidemühle ließ er wieder aufbauen, um grünen Strom für den eigenen Betrieb zu erzeugen.

"Wir stellen uns immer wieder auf neue Umstände ein", berichtet Daubner. Reisende kämen gerade wegen des speziellen Konzepts in die Obermühle, nähmen dort Quartier und schauten sich dann auch Görlitz an, die Stadt mit rund 4.000 Denkmalen aus verschiedenen Bauepochen von der Gotik bis zum Jugendstil. Im Sommer sei das Hotel zu 90 Prozent belegt. Und im Restaurant hätten "Spontangäste" immer weniger eine Chance, da meist nur noch mit Reservierung Platz zu bekommen sei.

Mit seiner Landwirtschaft "RainKost" verfolgt Daubner einen nachhaltigen Ansatz, um das eigene und andere Restaurants mit Gemüse aus biologisch-dynamischem Anbau zu versorgen. Auf Flächen in Görlitz wachsen unter anderem Tomaten, Salate, Mangold, Karotten, Zucchini, Kürbisse und Sellerie. Rund 20 Partner werden inzwischen mit der Ernte beliefert. Sie zahlen Anteile und bekommen eine Woche vorher Bescheid, mit welchen Zutaten sie konkret rechnen dürfen. Auch das "Wjelbik" in Bautzen bezieht Ware von "RainKost".

Für den Anspruch, Gastronomie als Kultur zu verstehen und weder Fertigprodukte noch Tiefkühlkost zu verwenden, werden im "Wjelbik" schon die angehenden Köche sensibilisiert. Derzeit verstärken vier Auszubildende das Team, davon drei in der Küche. "Wer nicht ausbildet, braucht sich nicht zu wundern, dass es kein Fachpersonal gibt", sagt Monika Lukasch.

In Weißwasser fehlen die Bewerber

Qualifizierten Nachwuchs selbst heranzubilden hatte auch für Christina Piche in Weißwasser stets hohe Priorität. Derzeit hat ihr Hotel "Kristall" jedoch keine Auszubildenden. Es mangelt nicht nur an geeigneten, sondern überhaupt an Bewerbern. Die Dehoga gab im Juni an, dass bundesweit knapp 41.500 junge Menschen einen von sechs Ausbildungsberufen der Branche erlernen - etwa 10.000 weniger als noch 2019. Schichtdienst sowie Wochenend- und Feiertagsarbeit mögen viele Jugendliche davon abschrecken, eine Zukunft im Gastgewerbe in Betracht zu ziehen.


„Wir müssen fleißig sein und uns bewegen, wenn wir am Markt mitmischen wollen.“
Gastwirtin Christina Piche

Seit mehr als 40 Jahren führt Christina Piche das Hotel, anfangs als Angestellte, seit 1993 als Eigentümerin. Viel Geld hat die 67-Jährige investiert, um den Plattenbau in ein modernes Vier-Sterne-Haus zu verwandeln. Gern würde sie jungen Leuten mehr Einblick in ihre Branche geben, gerade wenn diese absolut nicht wissen, welchen Beruf sie wählen sollen. Zwei Wochen Praktikum, wie es im Lehrplan der neunten Klasse vorgesehen ist, reichten dafür nicht, sagt sie und fände es hilfreich, wenn das Freiwillige Soziale Jahr auch im Gastgewerbe möglich wäre.

Mittlerweile schon zwei Ruhetage die Woche

Weißwasser, einst eine Hochburg der Glasindustrie, liegt nur bedingt im Fokus von Touristen, allerdings nicht weit entfernt von Fürst Pücklers Muskauer Landschaftspark, der seit 18 Jahren zum Unesco-Weltkulturerbe gehört. Auch der Park mit der berühmten Rakotzbrücke im Nachbarort Kromlau zieht Besucher in Scharen an. Davon profitiert auch Piches Hotel, ganz besonders im Sommer.

Dennoch führte die Corona-Krise auch hier zu Einschnitten. Aus personellen Gründen wurde im hauseigenen Restaurant ein zweiter Ruhetag eingeführt. Bei der Suche nach Mitarbeitern ist die Nähe zu Polen grundsätzlich von Vorteil. Gegenwärtig arbeiten sieben Mitarbeiterinnen aus dem Nachbarland im "Kristall".

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"Wir müssen fleißig sein und uns bewegen, wenn wir am Markt mitmischen wollen", berichtet Christina Piche. Indes: "Es wird immer schwieriger." Gäste seien anspruchsvoller geworden und kämen teilweise mit sehr hohen Erwartungen. Derweil weiß sie ihr Lebenswerk bereits in guten Händen. Sohn Daniel leitet das Hotel längst zusammen mit ihr, und sie ist froh, dass es in der Familie bleibt.
 

Die Autorin ist freie Journalistin in Görlitz.