"Es gibt Leute, die verlieben sich nach der Ankunft am Flughafen von Delhi so sehr in Indien, dass das Land sie nie wieder loslässt", lautet ein seit Jahrzehnten gültiger Satz über Neuankömmlinge auf dem südasiatischen Subkontinent, "und es gibt Leute, die am liebsten sofort umkehren würden". Der neue Teppichboden, der am Flughafen bei der Renovierung im Jahr 2010 gelegt wurde, konnte dieses Bonmot von Indien-Veteranen ebenso wenig erschüttern wie Versprechungen verschiedener indischer Regierungen über eine goldene wirtschaftliche Zukunft am Ganges.
1.800 deutsche Unternehmen wagten sich seit Beginn der wirtschaftlichen Liberalisierung des Landes vor rund 30 Jahren auf den Subkontinent. Die Zahl der deutschen Staatsangehörigen in dem Staat, der kommendes Jahr mit geschätzten 1,4 Milliarden Einwohnern China als bevölkerungsreichstes Land der Welt ablösen wird, wird auf wenig mehr als 3.000 geschätzt.
Dabei unternahm Indiens Bundesregierung etliche Anstrengungen, um ausländische Investoren anzulocken. Premierminister Narendra Modi prägte den Begriff "Make in India" in der Hoffnung, sein Land zu einem global wichtigen Industriestandort zu machen. Das Ziel laut der indischen Zentralbank: "Ausländische Investitionen sollen ins Land gebracht werden, um das Wirtschaftswachstum zu verstärken."
Seit 2020 können Auslandsinvestoren über eine sogenannte "Automatische Route" in vielen Bereichen in Indien einsteigen, ohne vorher eine Genehmigung der Behörden einzuholen. Außerdem können schon seit Längerem Tochterunternehmen mit 100-prozentiger Beteiligung in Indien gegründet werden. Einer der Gründe dafür: Zahlreiche Firmen, darunter auch viele deutsche, mussten nach dem Einstieg in Indien Partner verklagen, die sich nicht an Verträge hielten. Außerdem wurde das Steuerrecht überarbeitet, um Investitionen für ausländische Unternehmen attraktiver zu gestalten. Dennoch bleibt das Thema Steuern eine komplizierte Angelegenheit.
"Man darf nicht vergessen, dass in Indien viele Angelegenheiten in den Bereich politischer Schaukampf gehören", warnt in der Wirtschaftsmetropole Mumbai Debashis Basu vom Finanzportal "Moneylife" vor übertriebenem Optimismus. Er ist überzeugt: "Indien bleibt immer noch hinter seinem Potential zurück, weil die politischen Entscheider Geschäftsleuten nicht zuhören und Hindernisse beseitigen. Die Hürden finden ausländische Firmen heute überwiegend in den einzelnen Bundesstaaten. Und die Verbesserung der Produktivität gehört nicht zu den Prioritäten von Politikern und Beamten."
Die Asian Development Bank (ADB) beschreibt das Problem so: "Das Geschäftsklima lässt in Südasien im Vergleich zum übrigen Asien immer noch viel zu wünschen übrig." So gilt für ausländische Firmen immer noch "der Mann für die Briefumschläge" als unentbehrlich: Er muss gute Verbindungen haben und bei den verschiedenen Behörden mit Bargeld gefüllte Umschläge abgeben. Denn Korruption ist in Indien nicht nur allgegenwärtig. Im Gegensatz zu anderen Ländern, wo eine "Gabe" zur Verwirklichung eines Projekts genügt, kann man in Indien mit Schmiergeldern immer nur das Recht erkaufen, zur nächsthöheren Instanz vorzustoßen.
Der Autor berichtet seit 1996 als Südasien-Korrespondent über Indien.
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