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Gastkommentare : Ist Wohngeld Plus das richtige Instrument in der Krise?

Ist das Wohngeld Plus zwar gut gedacht, aber nicht so gut gemacht, um überforderte Haushalte von hohen Wohn- und Heizkosten zu entlasten? Ein Pro und Contra.

14.11.2022
2024-03-11T10:23:23.3600Z
3 Min

Pro

Wohngeld wirkt zielgerichtet

Foto: FAZ
Julia Löhr
ist Redakteurin bei der "Frankfurter Allgemeine Zeitung".
Foto: FAZ

Es gibt wenige Hilfsinstrumente, die so zielgerichtet wirken wie das Wohngeld. Den staatlichen Mietzuschuss beantragen können jene, deren Einkommen oder Rente so gering ist, dass sie ihren Lebensunterhalt damit alleine kaum bestreiten können. Diese Gruppe trifft der Anstieg der Energiepreise besonders - mehr als die Hartz-IV-Empfänger, deren Miete und Heizkosten in der Regel das Jobcenter zahlt, und mehr auch als die vielzitierte Mittelschicht, für die steigende Wohnkosten zwar ärgerlich, aber selten existenzbedrohend sind.

Es war daher richtig, dass die Regierung dieses Jahr zwei Heizkostenzuschüsse für Wohngeldbezieher beschlossen hat. Und es ist ebenso richtig, dass das Wohngeld-Plus-Gesetz nun den Kreis derer vergrößert, die Anspruch auf diese Leistung haben. Statt 600.000 Haushalte sollen es ab Anfang nächsten Jahres zwei Millionen sein. Zugleich steigt die Höhe der Unterstützung, einen Heizkostenzuschuss gibt es dann quasi Monat für Monat.

Das heißt nicht, dass damit alles gut wäre. Wenn sich die Zahl der Anspruchsberechtigten mehr als verdreifacht, müsste das auch für die Zahl der Mitarbeiter in den Wohngeldbehörden gelten. Doch dort können schon heute offene Stellen nur schwer besetzt werden. Lange Wartezeiten sind wahrscheinlich und damit auch Frust bei denjenigen, denen der Kanzler mit seinem "You'll never walk alone" mantraartig Hilfe verspricht. Zudem ist das Wohngeld alles andere als selbsterklärend. Wohnort, Miethöhe, Einkommen, Haushaltsgröße - die Berechnung ist komplex. Das schreckt viele ab, einen Antrag zu stellen, sofern sie überhaupt von der Möglichkeit wissen. Mehr Aufklärung und eine einfachere, digitalere Abwicklung: Damit wäre das Wohngeld eine noch bessere Hilfe.

Contra

Schnelle Hilfe wird vielfach nicht klappen

Foto: Privat
Wolfgang Mulke
ist freier Journalist in Berlin.
Foto: Privat

Gut gedacht, nicht so gut gemacht, so ist das Wohngeld Plus. Es steht exemplarisch für eine große, teure Schwäche des deutschen Sozialsystems: Staatliche Leistungen sollen sowohl zielgenau als auch schnell wirken, doch beides passt leider nicht zusammen. So wird das Wohngeld ausgeweitet, um möglichst viele von hohen Wohn- und Heizkosten überforderte Haushalte zu entlasten. Das ist richtig. Doch zugleich droht der Bürokratie in Ländern und Kommunen eine so große Belastung, dass die schnelle Hilfe vielfach nicht klappen wird. Auch handwerklich ist ein Fragezeichen angebracht. Die Anpassung der Mietenstufen für einzelne Regionen könnte für manche Wohngeldbezieher weniger Geld bedeuten. Systematisch mag dies gut zu begründen sein. Psychologisch wirkt es fatal, nimmt die Verunsicherung doch bei vielen Empfängern zu statt für Beruhigung zu sorgen.

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Die Krisen der vergangenen Jahre haben die Schwachstellen im Sozialsystem aufgezeigt. Es mangelt nicht am Geld, sondern leidet unter zu hoher Komplexität der Hilfssysteme. Soll es schnell gehen, neigen Politiker zur Verteilung nach dem Gießkannenprinzip wie etwa bei der Entlastung beim Tanken. Es fehlen Instrumente für eine unkomplizierte, rasche Unterstützung besonders belasteter Haushalte in Ausnahmesituationen. Das ginge mit direkten Zuschüssen, doch dafür fehlen dem Staat die notwendigen Daten seiner Bürger.

Mit der Möglichkeit schneller direkter Zuschüsse gewänne die Politik Zeit, Sozialleistungen so gut zu reformieren, dass sie neuen Entwicklungen - etwa bei den Heizkosten oder den Kosten energetischer Sanierungen - langfristig begegnen und handwerklich rundum belastbar sind.