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Foto: Deutscher Bundestag / Henning Schacht
Der Untersuchungsausschuss Afghanistan erhielt in der Sitzung zum ersten Mal Einblicke in die politische Bewertung der Lage durch die Bundesregierung.

Entwicklungszusammenarbeit : Komplizierte Zusammenarbeit am Hindukusch

Die Bundesregierung setzte laut Zeugenaussagen im Untersuchungsausschuss auf Zeitgewinn, um einen Abzug und innerafghanische Friedensgespräche zu ermöglichen.

05.12.2022
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3 Min

Während des 20 Jahre währenden Afghanistan-Einsatzes stand der Krieg im Vordergrund der öffentlichen Wahrnehmung. Doch ein wesentlicher Bestandteil des Engagements war die Entwicklungszusammenarbeit (EZ) mit Afghanistan.

Schon bei der Petersberger Konferenz im Jahr 2001 stand fest: Nach der militärischen Intervention und dem Sturz der radikalislamischen Taliban müsse verhindert werden, dass in Afghanistan ein "failed state", ein gescheiterter Staat, entsteht.

Entwicklungszusammenarbeit im Fokus des Ausschusses

Vergangenen Donnerstag war die Entwicklungszusammenarbeit zwischen Deutschland und Afghanistan Thema des 1. Untersuchungsausschusses des Bundestages, der die letzte Phase des Afghanistan-Einsatzes und den am Ende chaotischen Abzug aus dem Land aufzuklären versucht.

Dazu befragten die Mitglieder einen ehemaligen Referatsleiter im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Das Bild, das durch die Aussagen des Zeugen entstand, war ambivalent.

Deutschland investierte jährlich rund 250 Millionen Euro in Afghanistan

Die finanziellen Mittel, die Deutschland in Afghanistan für die EZ aufgewendet habe, seien über Jahre ständig gewachsen, erklärte der Zeuge dem Ausschuss. Am Ende des Einsatzes habe Deutschland in Afghanistan jährlich rund 250 Millionen Euro ausgegeben.

Ihm zufolge sind Anfang 2020 vor allem in den Bereichen Bildung, Gesundheit, Kindersterblichkeit und Wasserversorgung große Fortschritte zu sehen gewesen. Es sei jedoch nicht gelungen, diese Entwicklung auch landesweit in Gang zu setzen.

Schnelle Machtübernahme der Taliban war ein Schock

Durch die sich allmählich verschlechternde Sicherheitslage sei die Arbeit zunehmend schwieriger geworden, berichtete der Zeuge. Nach dem Doha-Abkommen zwischen den USA und den Taliban, mit dem Ende Februar 2020 der Abzug der internationalen Truppen besiegelt wurde, hätten die Mitarbeiter im BMZ verschiedene Szenarien entworfen, führte er aus.

So habe man die Projekte der Situation angepasst, damit diese auch nach einem militärischen Abzug aus dem Land weitergeführt werden können. Aber die Geschwindigkeit, mit der die Taliban die Macht übernahmen, sei "ein Schock gewesen".

Keine Ahnung von Entwicklungsprojekten

Zwischen dem BMZ und ihnen sei es zu keinen direkten Gesprächen gekommen, beteuerte der ehemalige Referatsleiter. Ein inoffizieller Versuch, mit Hilfe der Vereinten Nationen von den Taliban zu erfahren, was sie von der EZ halten, habe gezeigt, dass diese "keine Ahnung von der Leitung von Entwicklungsprojekten hatten" und ihre Bedingungen teilweise nicht akzeptabel gewesen seien.

Im zweiten Teil der Sitzung sagte ein ehemaliger Referent aus dem Bundeskanzleramt aus. Dadurch erhielt der Ausschuss zum ersten Mal Einblicke in die politische Bewertung der Lage durch die Bundesregierung und die Rolle der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).

Herausfordernde Ausgangslage für die Bundesregierung

Der Zeuge berichtete, die Bundesregierunghabe nach dem Abschluss des Doha-Abkommens vor der Herausforderung gestanden, einerseits Kriterien für die Umsetzung des Abkommens zu schaffen und andererseits "die innerafghanischen Friedensgespräche konstruktiv zu unterstützen".

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Die Bundesregierung habe sich bemüht, das Zeitfenster für den Abzug zu entzerren mit dem Ziel, einen konditionsbasierten Abzug zu erreichen und Zeit für innerafghanische Friedensgespräche zu gewinnen.

Die afghanische Regierung war ein schwieriger Partner

Es sei darum gegangen "ein unwahrscheinliches Szenario wahrscheinlich zu machen und nichts unversucht zu lassen", um die Entscheidungen der US-Administration zu beeinflussen. Bundeskanzlerin Angela Merkel habe das Vorhaben unterstützt, doch hätten die damaligen innenpolitischen Konflikte in Afghanistan es erschwert, sagte der Zeuge.

Die afghanische Regierung sei "nach Ansicht der Bundesregierung ein schwieriger Partner" gewesen, sie habe sogar darauf verzichtet, Präsident Aschraf Ghani zur Wahl zu gratulieren. Aber es habe keine Alternative zur Zusammenarbeit gegeben.

Innerafghanische Friedensgespräche sollten erfolgreich abgeschlossen werden

Zum damaligen Zeitpunkt sei die "Stärkung der Demokratie in Afghanistan nicht das Ziel der Bundesregierung" gewesen, berichtete der Zeuge. Es sei darum gegangen, die innerafghanischen Friedensgespräche zu einem erfolgreichen Abschluss zu bringen. Man habe an die Wähler gedacht, die an die Wahlurnen gegangen seien, und sie nicht allein zurücklassen wollen.