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Gastkommentare : Pro und Contra: Wehretat dauerhaft erhöhen?

Sollten die Ausgaben für Verteidigung dauerhaft erhöht werden? Darüber streiten Richard Herzinger und Stephan Hebel.

06.03.2023
2024-03-15T12:32:41.3600Z
2 Min

Pro

Radikal umsteuern

Foto: Matthias Giordano
Richard Herzinger
ist als freier Publizist tätig.
Foto: Matthias Giordano

Die Lehre aus Russlands Überfall auf die Ukraine lautet: Demokratien können nur überleben, wenn sie gegen ihre diktatorischen Todfeinde angemessen militärisch gerüstet sind. Gerade von Deutschland, das sich lange "von Freunden umzingelt" wähnte, fordert dies radikales Umsteuern. Um jahrzehntelange rüstungspolitische Versäumnisse wettzumachen, reicht das im Zeichen der von Kanzler Scholz ausgerufenen "Zeitenwende" bereitgestellte Sondervermögen nicht aus. Selbst wenn es - was bislang nicht der Fall ist - zügig und zielgenau investiert wird, lassen sich damit nur die gröbsten Ausrüstungslücken der Bundeswehr füllen.

Die sicherheitsstrategischen Anforderungen der kommenden Epoche sind gewaltig. Russland wird auf lange Sicht eine akute Bedrohung für das freie Europa bleiben. Um der Ukraine den Sieg über die Invasoren zu ermöglichen, der für den Fortbestand der europäischen Sicherheitsordnung im Ganzen unerlässlich ist, sind enorme Aufwendungen an weiteren Waffenlieferungen zwingend. Und auch danach benötigt die Ukraine massive Militärhilfe, um künftige Aggressionen abzuschrecken.

Unsere Verteidigungskraft muss daher dauerhaft auf eine verlässliche Grundlage gestellt werden. Das geht nicht ohne Aufstockung des regulären Wehretats auf mindestens 60 Milliarden Euro. Nur so ist auch das Zwei-Prozent-Ziel der Nato zu erreichen, dessen Einlösung durch Deutschland für den Zusammenhalt der Nato essenziell ist.

Für all das braucht es einen Bewusstseinswandel in der deutschen Gesellschaft. Der Wille, die Demokratie bewaffnet zu sichern, darf nicht reflexhaft mit "Militarismus" verwechselt werden. Er ist vielmehr Ausdruck entschiedener Freiheitsliebe.

Contra

Sind sie Hellseher?

Foto: Alex Kraus
Stephan Hebel
ist als freier Journalist tätig.
Foto: Alex Kraus

Dass der völkerrechtswidrige Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine die Sicherheitslage in Europa dauerhaft verändern wird, steht außer Frage. Ebenso unbestritten wird damit auch die Bundeswehr vor neuen Aufgaben stehen. Aber ein Grund, quasi nach Belieben in Gedanken Steuergeld auszugeben, dürfte das eigentlich nicht sein.

Schon das 100-Milliarden-Sondervermögen, das Kanzler Olaf Scholz drei Tage nach Russlands Einmarsch in die Ukraine verkündete, hatte mit einem nachvollziehbaren Bedarf nichts zu tun. Wer hätte ihn auch in 72 Stunden berechnen sollen? Eine symbolische Zahl, eilig festgeschrieben in der Verfassung: Schon das hatte bei allem Verständnis für die akute Notsituation einen bösen Beigeschmack.

Nun will der Verteidigungsminister festgestellt haben, dass der Wehretat um zehn Milliarden Euro erhöht werden muss, die Wehrbeauftragte hat verlauten lassen, das Sondervermögen müsse auf 300 Milliarden verdreifacht werden, und das sind nur zwei von vielen Stimmen. Woher kommt dieses erstaunliche "Wissen" um künftige Notwendigkeiten? Hat jemand in die Zukunft geschaut und weiß, wie Europa nach dem furchtbaren Krieg im Verhältnis zu Russland dasteht? Gibt es hellseherische Erkenntnisse zu der Frage, wann die EU endlich ihre Rüstungsanstrengungen koordiniert, statt der teuren Methode "Jeder für sich" zu folgen?

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Sicher, dieser Krieg erfordert von der Politik mehr als die gewohnten Routinen. Schnelle Entscheidungen, etwa zu Waffenlieferungen, sind unumgänglich. Aber nichts spräche dagegen, die Ausgaben der Zukunft dann zu planen, wenn der Bedarf einigermaßen seriös prognostiziert werden kann. Der Glaubwürdigkeit der Politik würde es dienen.