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Gastkommentare : Pro und Contra: Ernährungssicherheit versus Artenschutz?

Welche Zielkonflikte stehen einer bio-ökologischen Landwirtschaft im Weg? Wolfgang Mulke und Claudia Ehrenstein im Pro und Contra.

02.01.2023
2024-03-11T11:55:43.3600Z
2 Min

Pro

Realitäts-Check

Foto: Privat
Wolfgang Mulke
arbeitet als freier Journalist
Foto: Privat

Die Vorstellung einer Bio-Landwirtschaft in Einklang mit der Natur, von Artenvielfalt bei gleichzeitig hoher Erzeugung von Lebensmitteln ist romantisch, hält einem Realitäts-Check auf absehbare Zeit jedoch nicht stand. Je nach Beschaffenheit der Regionen und den dort herrschenden wirtschaftlichen Notwendigkeiten stehen dem Ideal handfeste Interessen entgegen. Es gibt einige kaum auflösbare Zielkonflikte.

So konkurrieren in Europas Industriestaaten unterschiedliche Nutzungen begrenzter Agrarflächen miteinander. Der Boden wird für den Anbau von Nahrungsmitteln oder von Energiepflanzen benötigt. Zunehmend geht Fläche für Solarkraftwerke oder Windparks verloren. Im globalen Süden geht es vor allem darum, unter tendenziell immer schwierigeren klimatischen Bedingungen genug Nahrungsmittel für die Bevölkerung zu erzeugen. Vor diesem Problem stehen auch die bevölkerungsreichen Schwellenländer. Hinzu kommen die mit zunehmendem Wohlstand wachsenden Ansprüche an Menge und Qualität der Lebensmittel.

Es gibt daher eine für die Natur toxische Mischung politischer Stabilitätsinteressen und ökonomischer Chancen für die Produzenten der Nahrungsmittel. Da das Bevölkerungswachstum anhält, ist ein wieder sinkender Bedarf an Nahrungsmitteln nicht absehbar. In der Abwägung zwischen Ertragseinbußen durch eine umweltverträgliche Erzeugung und der Ernährungssicherheit in politisch global unsicheren Zeiten wird es die langfristig nachhaltigere Strategie gegenüber den kurzfristigen Vorteilen erfahrungsgemäß schwer haben. Nötig wäre hier eine globale faire Zusammenarbeit zur Auflösung der Zielkonflikte. Davon ist die Welt derzeit aber so weit entfernt wie schon lange nicht mehr.

Contra

Zu einfach gemacht

Foto: Welt
Claudia Ehrenstein
arbeitet bei "Die Welt" in Berlin
Foto: Welt

Wer auf Ernährungssicherheit verweist, um nichts für Artenschutz zu tun, macht es sich zu einfach. Wir müssen nicht um jeden Preis mehr produzieren, um alle Menschen satt zu bekommen. Der Hunger im globalen Süden ist vor allem eine Folge von Verteilungsproblemen, Kriegen und Katastrophen. Bei der Ernte und Lagerung kommt es noch immer zu starken Verlusten. Und ein großer Anteil des weltweit produzierten Getreides landet im Trog statt auf dem Teller. Von den inzwischen mehr als 14 Millionen Tonnen Weizen und anderen Feldfrüchten, die im Rahmen des UN-Getreideabkommens aus der Ukraine exportiert wurden, gingen mindestens 2,5 Millionen Tonnen vor allem als Viehfutter allein nach Spanien. Würden weniger Tiere gemästet, bliebe mehr Getreide für den menschlichen Verzehr.

Weltweit werden heute mehr Kalorien produziert als rechnerisch nötig sind, um die Menschheit zu ernähren. Auch Deutschland ist mit Kalorien überversorgt, und in einer alternden Gesellschaft nimmt der Bedarf eher noch ab. Es bleiben also Spielräume, dem Artenschutz mehr Raum zu geben und den Auftrag des Grundgesetzes zu erfüllen, die "natürlichen Lebensgrundlagen" zu bewahren.

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Hierzulande schuf einst die Landwirtschaft mit kleinteiligen Feldern und Wiesen die ökologischen Nischen für den Artenreichtum, den wir als schützenswert empfinden. Jetzt müssen wir monotone Agrarflächen so umgestalten, dass wieder neue Lebensräume entstehen und möglichst auch die Landwirtschaft profitiert - indem etwa die kluge Anlage von Hecken und Grünstreifen wertvollen Ackerboden vor Winderosion schützt. Das wäre doch ein guter Anfang.