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Artenvielfalt der Ostsee : Ausgedünnte Seegraswiesen

Fischfang, Müll und Schadstoffe machen den Arten im jüngsten Meer Europas zu schaffen. Dazu erschwert der Ukraine-Krieg die Kooperation der Ostsee-Anrainerstaaten.

02.01.2023
2024-03-11T11:29:19.3600Z
4 Min

Die "Haithabu", Forschungsschiff des Landes Schleswig-Holstein, pflügt Anfang Dezember durch die graue Ostsee, vorbei an ein paar Schweinswalen. An Bord: Der neue Meeresschutzbeauftragte der Bundesregierung, Sebastian Unger, und Landesumweltminister Tobias Goldschmidt (Grüne). Eine zum Grund herabgelassene Spezialkamera zeigt ihnen Seesterne, Riffe und wogende Seegraswiesen. Doch je tiefer der Meeresboden, desto mehr dünnen die Wiesen aus. Darin leben Muscheln, Krebse und Jungfische. Auch speichern Seegraswiesen Kohlenstoff in ihren Wurzeln und leisten damit einen Beitrag zum Klimaschutz. Doch das Ökosystem ist in Gefahr, so wie die Artenvielfalt der Ostsee insgesamt.

Foto: picture alliance/dpa/Frank Molter

Das Forschungsschiff MS Haithabu liegt mit einem Boot von Forschungstauchern in der Kieler Ostsee.

Der Mensch hinterlässt Spuren: Zustand der Ostsee- und Nordseeküste "nicht gut"

Durch Überdüngung in der Landwirtschaft geraten zahlreiche Nährstoffe über Grundwasser, Flüsse und die Atmosphäre in die Ostsee. Vor allem Mikroalgen können dadurch übermäßig wachsen und entziehen anderen Pflanzenarten und Meerestieren den nötigen Sauerstoff. Auch sonst hinterlässt der Mensch seine Spuren im Meer und an der Küste: Industrieabfälle, Plastikmüll und rostende Munitionsreste aus dem Zweiten Weltkrieg. Schleppnetze der Fischerei beschädigen den Grund. Eine Karte des Umweltbundesamts zeigt die gesamte deutsche Ostsee- und Nordseeküste und das vorgelagerte Meer in tiefem Rot: Das bedeutet, ihr Zustand ist "nicht gut".

Die Probleme sind auch deshalb so groß, weil die Ostsee beinahe ein Binnenmeer ist, das nur etwa alle zehn Jahre über die Meerengen zwischen Dänemark und Schweden mit neuem sauerstoffreichen Nordseewasser versorgt wird. Dadurch halten sich Schadstoffe länger, und vor allem in den Tiefwasserbecken kann der Sauerstoffmangel nicht ausgeglichen werden.

Schon 1979 verabschiedeten die Anrainerstaaten mit der Helsinki-Konvention (Helcom) die älteste Umweltkonvention der Welt. Laut der Umweltorganisation WWF hat die Helcom ihr Ziel bereits erreicht, zehn Prozent der Meeresfläche unter Schutz zu stellen. Im Oktober 2021 beschloss die heute aus den neun Ostsee-Anrainerstaaten Dänemark, Deutschland, Finnland, Estland, Lettland, Litauen, Polen, Schweden und Russland bestehende Organisation zudem gemeinsam mit der Europäischen Union einen Ostseeaktionsplan. Eine grundlegende Wende haben all die Programme zum Schutz der Ostsee jedoch noch nicht herbeigeführt - auch weil die Staaten ihre eigenen Ziele oft nicht erfüllten. Zwar geht seit Mitte der 1990er Jahre der landwirtschaftliche Nährstoffeintrag zurück. Doch er ist immer noch zu hoch, weshalb es weiterhin regelmäßig zur plötzlichen Vermehrung von Mikroalgen, auch "Algenblüte" genannt, kommt. Durch die Eintrübung des Wassers gelangt weniger Licht zum Meeresgrund, was unter anderem den Seegraswiesen schadet.

WWF: Bessere Kläranlagen nötig

Finn Viehberg, Leiter des WWF-Büros Ostsee in Stralsund, sieht daher den Nährstoffüberschuss als größtes Problem der Ostsee, vor allem den Eintrag durch Phosphatdünger. Je östlicher das Einzugsgebiet, desto auffälliger sei das Problem, sagt Viehberg. "Da könnten etwa verbesserte Kläranlagen noch einiges bewirken."

Abkommen zum Schutz der Ostsee

Ostseeaktionsplan 2030: Von den Anrainerstaaten 2021 verabschiedet, sieht er unter anderem vor, Abfälle an den Stränden bis 2025 um mindestens 30 Prozent und bis 2030 um 50 Prozent zu reduzieren. Referenzwert sind 40 Stück Abfall pro hundert Meter Küstenlinie.

EU-Richtlinie: Ziel der 2008 initiierten Meeresschutzrahmenrichtlinie ist das Erreichen des guten Umweltzustands der europäischen Meere bis zum Jahr 2020 und dessen Erhalt darüber hinaus. Alle sechs Jahre sollen die Staaten zudem den Umweltzustand der Meere bewerten.



Doch leider erschwert die Geopolitik derzeit die internationale Kooperation an der Ostsee: Russland ist seit Beginn seines Angriffskrieges in der Ukraine nicht mehr aktiv in der Helcom. "Sie entscheidet aber alles einstimmig", sagt Viehberg. Man überlege noch, wie man das löse; möglich seien etwa freiwillige Vereinbarungen.

Im März 2023 findet trotz allem die jährliche Baltic Stakeholder Conference zur Umsetzung des Ostseeaktionsplans statt. Wichtig sind für Viehberg dabei wirkliche "Null-Nutzungs-Zonen" in den bereits ausgewiesenen Meeresschutzgebieten - also Gebiete, in denen es auch keine Fischerei gibt.

Kollabierende Bestände: Vor allem Dorsch und Hering betroffen

Die Überfischung bleibt trotz sinkender Fangquoten ein Problem. In der westlichen Ostsee etwa kollabierten in den vergangenen vier Jahren die Bestände einheimischer Fische wie Dorsch und Hering. Das Thema ist politisch aufgeladen, weil sich Fischer und Interessenverbände immer wieder gegen Schutzgebiete oder Fangstopps positionieren. Dabei ließe sich das Problem am schnellsten von allen Umweltproblemen der Ostsee lösen, ist der Meeresbiologe und Fischereiexperte Rainer Froese vom Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Geomar in Kiel überzeugt. Er erklärt es am Beispiel des in der westlichen Ostsee beheimateten Dorsches. Für seine erfolgreiche Vermehrung müsse zur Laichzeit alles stimmen: Die richtige Temperatur lasse Eier und Larven gedeihen; nur bei wenig Wind entstünden Planktonwolken, von denen sich Larven ernähren. Nur in etwa einem Fünftel des Laichgebiets wüchsen deshalb Jungdorsche heran, sagt Froese. Daher hielten sich nur große Bestände stabil. "Hätten wir die 90 Millionen Jungfische der letzten fünf Jahre im Wasser gelassen, wäre der Bestand gestiegen - und wäre jetzt wieder ausreichend groß." Die erlaubten niedrigen Fänge seien immer noch zu groß gewesen, meint Froese. "Und ich sehe leider keine Bewegung in der politischen Diskussion."

Dazu kommt die Klimakrise. "Die Erwärmung ist der Elefant im Raum", sagt Thorsten Reusch, Leiter Marine Evolutionsökologie am Geomar. "Die Schwelle sind 25 Grad Wassertemperatur. Darüber kann es für unsere an die gemäßigte Zone angepassten Arten tödlich werden." Der Wert bezieht sich nicht auf die Durchschnittstemperatur, sondern auf vorübergehende Extremereignisse infolge von Hitzewellen. "Wir haben mit unseren Datenloggern an manchen Stellen bereits bis zu 26 Grad gemessen", sagt Reusch.

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Doch er kann auch Positives berichten. So hätten sich die Populationen von Seeadler, Ringel- und Kegelrobben erholt. Auch bei der Belastung mit organischen Schadstoffen gebe es Fortschritte. Insgesamt, betont Reusch, "hat sich die Wasserqualität bei uns verbessert. Durch das klarere Wasser bekommen zum Beispiel die Seegraswiesen wieder mehr Licht" 

 

Die Autorin ist freie Korrespondentin in Mecklenburg-Vorpommern.