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Trauzeugen-Affäre : Habeck schützt Graichen

Opposition wittert Vetternwirtschaft: Bundestag beschäftigt sich mit Personalpolitik im Wirtschaftsministerium.

15.05.2023
2024-03-04T12:14:41.3600Z
6 Min
Foto: picture-alliance/dpa/Kay Nietfeld

Unter Beschuss: Staatssekretär Patrick Graichen (l.) und Wirtschaftsminister Robert Habeck vor der Ausschusssitzung im Bundestag am vergangenen Mittwoch.

Disziplinarverfahren: vielleicht. Entlassung: nein. In der sogenannten Trauzeugen-Affäre hat sich Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) in der vergangenen Woche im Bundestag weiter hinter - oder eher vor - seinen Staatssekretär Patrick Graichen gestellt. Und erntet für den Umgang mit einer weiteren umstrittenen Stellenbesetzung Dauerkritik der Opposition.

Inzwischen sind weitere familiäre Beziehungen bekannt geworden

Zwei Wochen nach einer ersten Aktuellen Stunde auf Antrag der AfD zu den Verbindungen zwischen dem Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz und zwei Geschwistern in Beratergremien der Bundesregierung hatte die CDU/CSU-Fraktion eine weitere Aussprache im Bundestag beantragt.Das Grund: Zwischenzeitlich war bekannt geworden, dass der für den Posten des Geschäftsführers der bundeseigenen Deutschen Energie-Agentur (Dena) vorgesehene Michael Schäfer der Trauzeuge von Staatssekretär Graichen war.

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Graichen gehörte der Findungskommission an, die diesen Posten besetzen sollte. Die Opposition sah damit die bereits bestehenden Vorwürfe der Vetternwirtschaft im Wirtschaftsministerium bestätigt.

Noch vor der Debatte im Plenum am vergangenen Mittwochnachmittag nahmen Habeck und Graichen in eine gemeinsame Sitzung des Wirtschaftsausschusses und des Ausschusses für Klimaschutz und Energie Stellung zu der Causa.


„Ich habe entschieden, dass Patrick Graichen wegen dieses Fehlers nicht gehen muss.“
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne)

Nach der Sitzung sagte Habeck vor der Hauptstadtpresse, dass er an der Personalie Graichen festhalten wolle: "Ich habe entschieden, dass Patrick Graichen wegen dieses Fehlers nicht gehen muss."

Union fordert Disziplinarverfahren

Die Union stellte das nicht zufrieden. Die Abgeordneten forderten ein Disziplinarverfahren wegen Verstoßes gegen das Beamtenrecht gegen Graichen; zuvor hatte Fraktionschef Friedrich Merz (CDU) auch einen Untersuchungsausschuss ins Spiel gebracht.

In der Ausschusssitzung hatte die Opposition Habeck und Graichen eindringlich zum Ablauf des Bewerbungsverfahrens befragt. Zuerst war geplant gewesen, die beiden Männer in zwei getrennten Sitzungen getrennt voneinander zu befragen; wie es heißt, um zu verhindern, dass sie sich miteinander über ihre Statements absprechen können.

Zweieinhalbstündige Sitzung hinter verschlossenen Türen

Außerdem war zu Beginn der Sitzung erneut darüber abgestimmt worden, die Sitzung öffentlich zu machen; die Mehrheit stimmte dagegen. Habeck hätte es gerne anders gehabt: Er hätte sich sehr gefreut, wenn die Öffentlichkeit teilgenommen hätte, sagte er später vor der Presse.

Nach der rund zweieinhalbstündigen Sitzung hinter verschlossenen Türen gelangten dann aber doch einige Inhalte der Befragung von Habeck und Graichen an die Öffentlichkeit. Zudem veröffentlichte Graichen sein Eingangsstatement aus der Sitzung auf seinem Twitterkonto. Dort ist nachzulesen, dass er weder Schäfer noch anderen Kandidaten während des Bewerbungsprozess Hinweise gegeben oder Vorteile verschafft habe.

Graichen gesteht Fehler ein

Der Staatssekretär sagte auch, dass er gedacht habe, es genüge, wenn seine Stimme nicht den Ausschlag gibt und er sich in der Findungskommission bei der Bewertung von Schäfers Person zurückhalte. "Das war falsch und ich bedauere diesen Fehler sehr", heißt es in dem Statement. Er hätte sich aus der Findungskommission zurückziehen müssen.

In den Medien war vor der Sitzung darüber berichtet worden, dass Graichen beim Auswahlgespräch Schäfer vorsätzlich gesiezt haben soll, um die anderen Mitglieder der Findungskommission über die freundschaftliche Verbindung zu täuschen

Dazu sagte Graichen, wie später bekannt wurde, im Ausschuss, dass er mit einigen Kandidaten per Du sei, diese vor Beginn der Sitzung auch geduzt; in der Sitzung der Findungskommission dann aber alle Bewerber gesiezt habe.

Findungskommission soll breiter aufgestellt werden

Nach Bekanntwerden des Themas hatte Schäfer seinen Rücktritt vom Dena-Chefposten verkündet. Unklar ist bislang, wie es nun an der Spitze der Energie-Agentur weitergeht Schäfer will sich nicht erneut bewerben. Der bisherige Geschäftsführer Andreas Kuhlmann hat es bereits abgelehnt, länger im Amt zu bleiben. Die Stelle wird nun neu ausgeschrieben, zudem soll die Findungskommission breiter aufgestellt werden.

Unklar ist zudem, ob sich finanzielle Verpflichtungen aus der Vertragsauflösung mit Schäfer ergeben. In der Ausschusssitzung am Mittwoch hieß es dazu, dass man sich gerade in arbeitsrechtlichen Gesprächen über die Auflösung des Vertrages befinde, diese aber noch nicht abgeschlossen seien. Es sei möglich, dass es finanzielle Ansprüche gibt, hieß es weiter.

Opposition zeichnet ein Bild von Misswirtschaft

Während Habeck, seine Parteifreunde in der Grünen-Fraktion und auch einige Abgeordnete der Koalitionspartner immer wieder darauf hinwiesen, dass es sich beim Fall Graichen-Schäfer um "persönliches Fehlverhalten" und nicht um einen Fehler in den Compliance-Regeln gehandelt habe, zeichnete die Opposition ein Bild von Misswirtschaft.

Da der Minister Graichen nicht entlassen wolle, müsse man leider weiter über "Habecks grüne Familienclique reden", sagte Mario Czaja (CDU) in der Aktuellen Stunde. Klaus Ernst (Die Linke) kritisierte die Grünen dafür, dass sie im Umgang mit dem Thema ihrem Anspruch nach Transparenz nicht gerecht würden, und forderte beamtenrechtliche Konsequenzen für Graichen. Als "Vetternministerium" bezeichnete Tino Chrupalla (AfD) Habecks Haus: "Dieses Geschacher hat mit dem deutschen Beamtenethos nichts zu tun", sagte der AfD-Abgeordnete.

Eine Kampagne gegen die Klimapolitik der Ampel sahen der Grüne Andreas Audretsch und der Sozialdemokrat Sebastian Roloff in den Angriffen auf Habeck und Graichen. Der Liberale Olaf in der Beek hoffte, dass man bald wieder über Inhalte und weniger über Personalien reden könne: "Zuträglich für unser gemeinsames Ziel Klimaschutz sind solche Dinge sicherlich nicht."