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Angelesen : Angelesen

06.04.2009
2023-08-30T11:23:52.7200Z
4 Min

Es sind mahnende Worte, die Christoph Möllers den Lesern mit auf den Weg gibt: In Deutschland herrsche eine gewisse Maßlosigkeit bei der Berufung auf die Verfassung. Konkret meint er damit, dass beispielweise Kürzungen bei den Sozialleistungen nicht zwangsläufig einen Verstoß gegen das grundgesetzlich verankerte Sozialstaatsprinzip darstellen und das ein aufgehobener Ladenschluss am Sonntag auch nicht gegen die Religionsfreiheit verstößt, solange man auch in die Kirche gehen kann.

Der Göttinger Jurist bietet einen soliden Einführung in das Grundgesetz, seine Entstehungsgeschichte, seine wichtigsten Prinzipien, seine Sprache und seine Interpretationen. Er beschreibt, welchen Veränderungen es unterlag und mit welchen aktuellen Herausforderungen es konfrontiert ist.

Immer wieder warnt Möllers vor überzogenen Erwartungen, die bei der Lektüre der Verfassung entstehen und enttäuscht werden können. Keine Garantie im Grundgesetz lasse sich ohne politische Mühen verwirklichen. Das darf man getrost als Aufforderungen an alle Bürger interpretieren.

Christoph Möllers:

Das Grundgesetz. Geschichte und Inhalt.

Verlag C. H. Beck, München 2009; 122 S., 7,90 €

"Herr Präsident, Sie sind ein Arschloch", rief der spätere Außenminister Joschka Fischer am 18. Oktober 1984 im Plenarsaal dem CSU-Politiker Richard Stücklen zu, doch ist umstritten, ob er sein wohl bekanntestes Zitat mit den Worten "Mit Verlaub" einleitete oder beendete. Selbst der stenografische Bericht der Sitzung hilft nicht weiter, weil dort der Satz gar nicht steht. Dabei wird doch selbst der belangloseste Zwischenruf im Protokoll vermerkt - warum also nicht Fischers Entgleisung?

Auf diese und zahlreiche weitere Fragen weiß Michael F. Feldkamp ebenso viele Antworten, die der in der Bundestagsverwaltung tätige Historiker dem Leser so faktenreich wie verständlich darbietet, angereichert mit zahlreichen Tabellen, stets sachlich in der Sprache und bisweilen mit einem Augenzwinkern zwischen den Zeilen. Dabei reicht die Palette von nüchterner Statistik zur Wahlbeteiligung über Wissenswertes zu Abgeordnetendiäten bis hin zu Unterhaltsamem wie der Frage, ob im Bundestag anders gelacht wird: ein Buch zum Schmunzeln wie zum Staunen, zum Durchblättern wie zum Nachschlagen, und als Geschenk eignet es sich auch.

Michael F. Feldkamp:

Der Deutsche Bundestag - 100 Fragen und Antworten.

Nomos Verlagsgesellschaft, Baden-Baden 2009; 208 S., 19,90 €

In Deutschland soll es Zeiten gegeben haben, in denen die Bürger ihre Verfassung genauso verehrten wie die Bibel. Die liberale Presse im Großherzogtum Baden forderte 1843 gar, "dass jeden Sonntag solang darin gelesen werden sollte, bis die Hauptgrundsätze in Kopf und Herzen unverlöschbar eingeprägt sind". Ein hehrer Wunsch, der sich nie erfüllen wird. Dennoch hat sich in der Bundesrepublik der integrative und identitätsstiftende Geist des Grundgesetzes erfolgreich entfalten können, wie Hans Vorländer treffend beweist. Blickt man wie der Politikwissenschaftler auf den "spezifisch deutschen Entwicklungsweg" zurück, war das nach 1945 nicht unbedingt zu erwarten. Aus den Fehlern von 1848/49 und 1919 hatte man zwar gelernt, eine emotionale Beziehung zur Verfassung wie in den USA oder Frankreich hat sich jedoch nie eingestellt.

Die Vernunftehe zwischen Volk, Volksvertretern und Verfassung hält im Streitfall nicht zuletzt das Verfassungsgericht zusammen. Auf diese Besonderheiten und die in anderen westlichen Staaten weist Vorländer in seiner konzisen Verfassungsgeschichte ebenso kritisch wie lobend hin.

Hans Vorländer:

Die Verfassung. Idee und Geschichte.

Verlag C. H. Beck, München 2009; 128 S., 7,90 €

"In Verantwortung vor Gott und den Menschen" - streng genommen führt der Buchtitel auf eine falsche Fährte. Denn der Gottesbezug in der Präambel des Grundgesetzes geht in seinem Wortlaut nicht auf die Mitglieder des Parlamentarischen Rates aus den Reihen der CDU und CSU zurück, sondern auf einen Vorschlag der Deutschen Partei (DP). Die Union forderte zunächst eine Anrufung Gottes, eine Invocatio Dei, und schlug später die Formulierung "Im Vetrauen auf Gott und die sittlichen Kräfte des deutschen Volkes" vor. Durchsetzen konnte sie sich mit beiden Varianten nicht. Erfolgreicher stritten CDU und CSU hingegen etwa für den im Grundgesetz verankerten Schutz von Ehe und Famile und das natürliche Recht der Eltern.

Der von Günter Buchstab und Hans-Otto Kleinmann im Auftrag der Konrad-Adenauer-Stiftung herausgegebene Band erzählt das Ringen um das Grundgesetz anhand der Biografien der 32 christlich-demokratischen Politiker, die im Parlamentarischen Rat wirkten. Dies liest sich nicht nur spannend, sondern verdeutlicht auch, aus welchen Wertevorstellungen sich ihre Arbeit speiste.

Günter Buchstab, Hans-Otto Kleinmann (Hg.):

In Verantwortung vor Gott und den Menschen.

Herder Verlag, Freiburg 2008; 431 S., 17 €