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Im Blindflug

40 Jahre Mondlandung Zwei spannende und kritische Biografien über Wernher von Braun, den »Vater der Raumfahrt«

13.07.2009
2023-08-30T11:24:02.7200Z
5 Min

Das hätte Wernher von Braun sicher gefallen: Der Wettbewerb um den X-Prize, den ersten erfolgreichen privaten und bemannten Weltraumflug. Mit seinem technischen Know-how und seinem Organisationstalent hätte er ihn womöglich für sich entschieden und den seit Herbst 2007 ausgelobten "Google Lunar X-Prize" zur privaten Erforschung des Mondes gleich dazu. Mit der Kraft seiner Visionen säßen wir vielleicht alle schon im Charter-Shuttle in Richtung Mond oder Mars. Jeder würde ihn bewundern, niemand moralisch verurteilen. Denn er hätte seinen Jugendtraum mit dem Geld von Managermillionen realisiert und nicht mit den Milliarden einer Militärmaschinerie, die von ihm Vernichtungswaffen statt Mondraketen verlangte.

Pakt mit dem Teufel

Wernher von Braun war die Gnade der späten Geburt nicht vergönnt. In ebenso kriegslüsterne und krisengeschüttelte Zeiten hineingeboren, konnte er seine Weltall-Fantasien nur mithilfe von Staatsgeldern verwirklichen. Dafür ging er den berüchtigten "Pakt mit dem Teufel" ein und entwickelte für Hitler die "Wunderwaffe" V2, deren Produktion mehr Menschenleben kostete als ihr Einsatz im letzten Kriegshalbjahr. Zwischen 15.000 und 20.000 KZ-Häftlinge starben in der unterirdischen Raketenfabrik Mittelbau-Dora, etwa 10.000 Menschen fielen vor allem in England und in Belgien den V2-Angriffen zum Opfer. Von Braun hat die grausamen Folgen seiner Raketenträume bewusst in Kauf genommen und trotz mehrfachen Bedauerns nach 1945 niemals persönliche Verantwortung übernommen. Eben dieser Schatten liegt über dem 40. Jahrestag der Mondlandung, den man ohne Wernher von Braun wohl später oder vielleicht gar nicht feiern würde.

Es gilt also von Brauns Verdienste kritisch zu würdigen und seine moralischen Versäumnisse ebenso klar offen zu legen. Genau das leisten zwei aktuelle Biografien, die sich im Umfang, in den Details und der Dramaturgie deutlich voneinander unterscheiden, aber sich in ihren Schlussfolgerungen weitgehend einig sind. Das verwundert nicht allzu sehr. Basiert doch das knapp 300 Seiten starke Begleitbuch zum Doku-Drama des ZDF "über die beiden Leben des Wernher von Braun" nicht zuletzt auf den jahrzehntelangen Forschungen des Raumfahrthistorikers Michael J. Neufeld. Der Chef der Abteilung für Geschichte der Raumfahrt im National Air and Space Museum in Washington hat vor zwei Jahren nicht nur die bislang faktenreichste und präziseste Braun-Biografie vorgelegt. Neufeld hat sich auch "als hervorragender Fachberater um den Film" des Guido Knopp-Teams in Mainz "verdient gemacht". So steht es in der Danksagung von Stefan Brauburger, dem stellvertretenden Leiter der ZDF-Redaktion "Zeitgeschichte" und Autor des kantiger konturierten und spektakulärer formulierten Braun-Porträts.

Rasanter Aufstieg

Wer Gefallen an Knopps Geschichtsdramen findet, der wird sich in Braunburgers flott geschriebenem Buch schnell festlesen. Man wird hierin mit den Fakten von Brauns rasantem Aufstieg in der NS-Zeit und später in den USA ebenso gut versorgt wie mit zahlreichen Episoden, die ihn als einen nimmermüden Daniel Düsentrieb des beginnenden Raketenzeitalters und unwiderstehlichen Frauentyp illustrieren. Der selbstgebastelte und selbstgezündete Raketenwagen im Berliner Tiergarten, die Lektüre populärwissenschaftlicher Science-Fiction-Geschichten und die frühen Raumschiffskizzen und -aufsätze lassen kaum einen Zweifel an seiner Berufung zum "Visionär des Weltraums", auch wenn er durchaus Talent zum Berufsmusiker besaß. Der Weltraumbesessene arbeitete sich immer tiefer in die Materie ein, büffelte Mathematik und Physik so erfolgreich, dass er die Schule ein Jahr früher verlassen durfte und sich vor seinem Ingenieursstudium an der TU Berliner in der Maschinenfabrik Borsig als Praktikant verdingte.

Zugleich lebte er seine Technikträume realiter auf dem privat finanzierten "Raketen-Flugplatz" in Berlin-Reinickendorf aus, wo er zwar auf eine Gruppe Gleichgesinnter, aber 1932 auch auf Vertreter der Reichswehr stieß. Spätestens als das Heereswaffenamt Interesse an ihm und der Entwicklung einer Flüssigkeitsrakete zeigte, hätte von Braun der militärische Charakter seiner Forschungen und deren Konsequenzen bewusst sein müssen. Zeitlebens betonte er, dass allein Staatsgelder die Chance boten, "unsere Weltraumpläne zu realisieren". Das war gewiss richtig. Doch nicht alle seiner Mitstreiter ließen sich vom Militär und später von den Nazis locken. Es gab auch die Möglichkeit "Nein" zu sagen, wie es Brauns Kollege Rudolf Nebel getan hat. Freilich bildeten solche Ingenieure die Ausnahme.

Politisch ebenso naiv wie blind glaubte er, die jeweiligen Machthaber letztlich für seine Raumfahrtideen eingespannt zu haben. Doch auch die US-Amerikaner waren anfangs nur daran interessiert, mit seinem Raketenwissen ihr Waffenarsenal zu modernisieren, sprich den Atompoker mit der Sowjetunion für sich zu entscheiden. Dafür kehrten sie von Brauns immer wieder mal virulent werdende NS-Vergangenheit unter den Tisch und er bedankte sich mit visionären Plänen für eine Raumstation als Superwaffe, die den USA die Vorherrschaft im Kalten Krieg und zugleich den Frieden sichern sollte. Um seine Raumfahrtpläne durchzuboxen, führte von Braun einen privaten "Feldzug", dessen Gefahren er weitgehend ausblendete. Das zeigen sowohl Braunburger und Neufeld bei allem Respekt für die technischen und organisatorischen Leistungen des "deutschen Genies" mit der gebotenen Klarheit und pointierten Urteilen.

Freilich sind beide Autoren vom geglückten Mondflug fasziniert, dessen Live-Übertragung 1969 rund 600 Millionen Menschen an den Bildschirmen verfolgten. Diese Begeisterung macht sie aber nicht blind gegenüber den tatsächlichen Verdiensten des "Raketenmanns". Dank intimer Kenntnisse der US-Raumfahrtpolitik weiß Neufeld genau zu berichten, wie groß von Brauns Anteil am Gelingen dieser gigantischen Mission wirklich war. Der "Ingenieur des Krieges" galt schon lange nicht mehr als der Innovator neuer Antriebssysteme. Mit seiner ungeheueren Überzeugungskraft, Hartnäckigkeit und medialen Präsenz hat er aber wie kein Zweiter die Idee vom bemannten Ausflug in die unendlichen Weiten des Weltalls populär gemacht. Dass er die besten Forscher und Techniker zu einem erfolgreichen Team geformt hat, ist im historischen Rückblick vielleicht seine größte Leistung.

Unreflektierte Pflichterfüllung

Neufelds Biografie besticht nicht nur durch seine detailgesättigten und fundierten Analysen, sondern auch durch die Spannweite seiner Betrachtungen. Sehr exakt misst er die mentalen Fieberkurven in der Weimarer Republik, dem Dritten Reich und des Kalten Krieges und folgt von Brauns Karriereweg wirklich auf Schritt und Tritt. Dabei führt er von Brauns unreflektierte Pflichterfüllung gegenüber staatlichen Instanzen auf seine preußisch-aristokratischen Wurzeln zurück. Doch die militaristische Tradition der Deutschen allein vermag sein amoralisches Verhalten nicht zu erklären. Hinzu kommt eine bei Wissenschaftlern bis heute anzutreffende Haltung, Technik, Moral und Politik feinsäuberlich voneinander zu trennen und somit jede potenzielle Mitschuld an Verbrechen gegen die Menschlichkeit von sich zu weisen.

Im Gegensatz zu Braunburger gesteht Neufeld von Braun aber Gewissensbisse zu. Seine Hinwendung zur Religion, sein Glaube an die amerikanische Freiheitsmission und sein spätes Engagement für Unterprivilegierte in der Dritten Welt zeugen nicht mehr von Opportunismus, sondern von einem verdeckten Schuldeingeständnis. Neufelds Hinweise entlasten den Weltraumpionier nicht, zeigen aber durchaus die Ambivalenz seines Charakters.

Was von Brauns Leben und die beiden Biografen aber vor allem zeigen, ist eines: Die Mondlandung war ein teuer erkaufter Fortschritt. Menschlich, militärisch und finanziell.

Michael J. Neufeld:

Wernher von Braun. Visionär des Weltraums. Ingenieur des Krieges.

Siedler Verlag, München 2009; 685 S., 49,95 €

Stefan Brauburger:

Ein deutsches Genie zwischen Untergangswahn und Raketenträumen.

Pendo Verlag, München 2009; 304 S., 19,95 €