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Radikales Regime

Kollaboration Eine Aufarbeitung des Vichy-Regimes

13.07.2009
2023-08-30T11:24:02.7200Z
2 Min

Mit Jacques Chirac fing es an. Als der französische Staatspräsident im Sommer 1995 die Mitschuld der Franzosen an der Judenverfolgung erklärte, legte er die Finger auf eine der empfindlichsten Wunden in der Geschichte seines Landes. 40 Jahre nach Kriegsende stieß er damit aber auch die längst überfällige Aufarbeitung und Anerkennung der Verbrechen des Vichy-Regimes an. Eine erstaunliche Kehrtwende in der Erinnerungspolitik Frankreichs, wenn man bedenkt, dass der "État français" unter Marschall Pétain bis dahin sogar der Rechtscharakter abgesprochen wurde. Heute versucht Präsident Nicolas Sarkozy das Bild wieder gerade zu rücken und den Fokus auf die Résistance zu lenken, den Nationalstolz fest im Blick.

Doch die Geschichte Frankreichs zwischen 1940 und 1944 lässt sich durch Politikerreden nicht geraderücken. Sie lässt sich im besten Falle umfassend und differenziert analysieren. So wie es der Historiker Henry Rousso schon seit Jahren praktiziert. Nun liegt seine kompakte Deutung des politischen, sozialen und wirtschaftlichen Systems dieser Jahre auch in deutscher Übersetzung vor. Und sie ist für Deutsche wie Franzosen gleichermaßen interessant. Wägt Rousso doch sorgfältig ab, bis zu welchem Grad die "charismatische Diktatur" Pétains und seine "Révolution nationale" faschistische oder "lediglich" autoritäre Züge trug. Außerdem geht aus seiner ebenso systematisch wie chronologisch angelegten Studie klar hervor, wann und wie die deutschen Besatzer die Kollaboration erzwangen und wo das Regime auch aus eigenem Machtkalkül eine scharfe Repressionspolitik betrieb, wie etwa bei der Unterdrückung der Grundfreiheiten, dem Aufbau eines Polizeistaates oder der Diskriminierung von Juden wie Ausländern.

Sonderrolle

Trotz des scharfen Tons ist das Buch keine moralische Abrechnung mit dem Vichy-Regime. Es ist vielmehr eine genau kalkulierte Aufrechnung des verbrecherischen Machtmissbrauchs, der auch in anderen Ländern zu beobachten war, die mit Hitler allzu enge Bande schlossen. Freilich spielt Frankreich als Deutschlands Erzfeind in der Reihe der Kollaborateure eine Sonderrolle. Umso verdienstvoller ist es, das Rousso die Politik des Regimes in ihrer spezifischen Radikalität und Widersprüchlichkeit darstellt und damit beweist, dass nationale Souveränität niemals durch die Anpassung an das Besatzungsregime gewonnen werden kann.

Henry Rousso:

Vichy. Frankreich unter deutscher Besatzung 1940-1944.

Verlag C.H. Beck, München 2009; 148 S., 11,95 €