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Eine Frage der Verfassung

BEGLEITGESETZE Grundlage geschaffen: Experten sehen höchstrichterliche Anforderungen erfüllt

31.08.2009
2023-08-30T11:24:05.7200Z
4 Min

Auf die Frage, ob es schwierig sei, gemeinsame Anhörungen von Bundestag und Bundesrat auf die Beine zu stellen, lachen sich Gunther Krichbaum und Wolfgang Reinhart (beide CDU) nur herzlich an. Die Vorsitzenden der Europaausschüsse der beiden Verfassungsorgane haben soeben die erste Runde der Öffentlichen Anhörung zu den Begleitgesetzen geschafft und sehen nicht so aus, als wollten sie über die kurzen, aber extrem aufwändigen Planungen sprechen. Viel lieber betonen beide im Gespräch, dass eine "kongruente Beratung" (Reinhart, Bundesrat) gerade bei diesem Thema "im gemeinsamen Interesse" (Krichbaum, Bundestag) liege.

Seltene Zusammenarbeit

Unabhängig davon, ob es nun schwierig ist oder nicht - gemeinsame Anhörungen von Bundestags- und Bundesratsausschüssen sind in der parlamentarischen Praxis eine absolute Seltenheit. Das Datenhandbuch des Bundestages weist gerade einmal zwei weitere in der 14. Wahlperiode aus. Beide Sitzungen drehten sich um Europa: Grundrechtecharta und Verfassungskonvent. Nach Auskunft des Bundesrates gab es außerdem in der 15. Wahlperiode eine gemeinsame Runde zum EU-Verfassungsvertrag. Schließlich tagten Ausschüsse gemeinsam zu beiden Föderalismusreformen in der 16. Wahlperiode. Zum Vergleich: Allein zwischen 1998 und 2002 gab es 300 Sitzungen mit öffentlichen Anhörungen im Bundestag.

Eine weitere Besonderheit des Europaausschusses des Bundestages: An seinen Sitzungen können generell auch Abgeordnete des Europäischen Parlaments (EP) teilnehmen. Werden sie auf Vorschlag der Fraktionen ausdrücklich "berufen", haben sie zusätzlich die Möglichkeit, Fragen zu stellen und Stellung zu nehmen - als "mitwirkungsberechtigte Mitglieder", wie es etwas sperrig in der Geschäftsordnung des Bundestags heißt. In der Sitzung am 26. August beschloss der Bundestag die Berufung von 16 EP-Mitgliedern - dies war wegen der Wahlen zum EP im Juni notwendig.

So gesehen war die zweitägige Expertenbefragung am 26. und 27. August zu den Begleitgesetzen zum Vertrag von Lissabon schon unter diesen Aspekten etwas Besonderes. Vor allem war sie das aber, weil nach dem Richterspruch aus Karlsruhe die Ratifizierung durch die Bundesrepublik nunmehr allein von diesen Gesetzen abhängt und neben Irland auch Polen und Tschechien nach Deutschland blicken; alle anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union haben ratifiziert.

Außerdem haben sich diesmal die Fraktionen nicht - wie sonst üblich -, die Gesetze von der Regierung ausarbeiten lassen; das lehnten die Abgeordneten unisono ab. Alle Entwürfe sind daher solche "aus der Mitte des Bundestages", ebenfalls eine Seltenheit im parlamentarischen Alltag: Mehr als 80 Prozent der beschlossenen Gesetze stammen üblicherweise aus der Feder der Bundesministerien.

Die Sachverständigen gelangten zu einem sehr klaren Ergebnis: Mit den Begleitgesetzen sei eine verfassungskonforme Grundlage geschaffen worden, um die vom Gericht angemahnte Integrationsverantwortung erfüllen zu können, so die Einschätzung der Verfassungsrechtler Christian Calliess und Franz C. Mayer. Das Integrationsverantwortungsgesetz setze die zwingenden Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts "verfassungskonform" und "eindeutig" um.

Sonn- und Alltag

Bereits am ersten Tag der Anhörung prägte Christian Calliess für die Begleitgesetze die Begriffe "Sonntagsgesetz" und "Alltagsgesetze": Das Integrationsverantwortungsgesetz (16/13923, 16/13924), welches die Vorgaben des Gerichts umsetzt, sei sehr wichtig, in der Praxis aber weniger relevant, während die Zusammenarbeitsgesetze (16/13925, 16/13926) im Alltag zentral seien - dies sei eine "gute Lösung".

Im Detail sahen die Staats- und Europarechtler beim Sonntags- und bei den Alltagsgesetzen Klarstellungsmöglichkeiten und Nachbesserungsbedarf. Zahlreiche dieser Details erörterten die Sachverständigen mit den Ausschussmitgliedern in zweimal vier Stunden Anhörung.

Beispiel Notbremse: Einige Sachverständige plädierten für eine "großzügigere" Regelung für den Bundesrat, so etwa Jürgen Schwarze, Rudolf Streinz und Christian Hillgruber. Der Notbremsemechanismus ermöglicht es den Mitgliedern des Rats, bei bestimmten Entwürfen zu Gesetzgebungsakten den Europäischen Rat zu befassen. Das Integrationsverantwortungsgesetz sieht vor, dass der deutsche Vertreter im Rat diese Notbremse ziehen muss, wenn der Bundestag ihn hierzu durch Beschluss angewiesen hat. Der Bundesrat kann eine solche Weisung laut Entwurf nur erteilen, wenn etwa ein Sachgebiet betroffen ist, für die der Bund keine Gesetzgebungsbefugnisse hat.

Beispiel Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik: Einige Sachverständige kritisierten, dass die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik sowie die Gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik keine "Vorhaben" im Sinne des neuen Beteiligungsgesetzes sein sollen. Rudolf Streinz begründete diese Unterscheidung mit der Sonderstellung der GASP/GSVP nach dem Vertrag von Lissabon.

Beispiel Volksabstimmungen: Diese im Entwurf der Linken (16/13928) vorgesehenen Plebsizite seien verfassungsrechtlich möglich, aber nicht im Urteil angelegt, so die Einschätzung von Dietrich Murswiek.

Insgesamt, so der einhellige Tenor, stellten die zahlreichen erörterten Einzelfragen aber nicht die Verfassungskonformität in Frage. Entsprechend zufrieden waren denn auch die Vorsitzenden Gunther Krichbaum und Wolfgang Reinhart mit Ablauf und Inhalt der Anhörung. "Es war sehr konstruktiv, mit einer Vielfalt von Argumenten", sagte Reinhart dieser Zeitung. Und wichtig für Krichbaum: "Mit diesen Gesetzen geht eine verstärkte Verantwortung aller Abgeordneten einher."