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»Es gibt viele Widersprüche«

THILO HOPPE UND SIBYLLE PFEIFFER Die Entwicklungspolitiker über politische Stiefkinder, fehlende Abstimmung in der Entwicklungszusammenarbeit und…

31.08.2009
2023-08-30T11:24:06.7200Z
7 Min

Entwicklungspolitik wird gerne als "politisches Stiefkind" bezeichnet. Welchen Stellenwert hat sie Ihrer Meinung nach heute auf einer Skala von 1 (schlecht) bis 10?

Pfeiffer:

Er liegt auf jeden Fall über dem Durchschnitt, bei 6 oder 7. Uns ist es gelungen, unsere Fraktionskollegen davon zu überzeugen, dass Entwicklungspolitik ein wichtiger Politikbereich ist. Vor allem haben wir eine Bundeskanzlerin, die ihr eine große Bedeutung beimisst. Auch von der deutschen Politik insgesamt wird dieses Politikfeld heute als wichtiger Beitrag in der Außen-, Innen- und Friedenspolitik betrachtet.

Hoppe:

Ich würde den Stellenwert geringer bewerten, mit einer guten 4. Klar hat die Entwicklungspolitik zuletzt mehr Aufmerksamkeit bekommen, auch aufgrund von traurigen Anlässen: Die Zahl der Hungernden explodiert und steht auf einem Rekordstand von mehr als einer Milliarde Menschen. Wenn es aber zu Konflikten mit anderen Politikfeldern kommt, zieht die Entwicklungspolitik meist den Kürzeren.

Wie sehen das die Menschen, denen Sie derzeit im Bundestagswahlkampf begegnen?

Hoppe:

Es gab und gibt ja immer wieder Töne einiger Kollegen, man könne in Zeiten von Weltwirtschaftskrise und Hartz IV den Bürgern nicht zumuten, noch mehr Steuergelder in die Entwicklungszusammenarbeit zu stecken. Dabei gibt es Umfragen, die belegen, dass eine Mehrheit der Bundesbürger sogar höhere Ausgaben für Entwicklungszusammenarbeit befürwortet. Und das sagen nicht nur die Wohlhabenden.

Pfeiffer:

Ich bezweifle diese Umfragen. Tatsächlich ist es immer schwierig, den Menschen zu erklären, warum Entwicklungspolitik wichtig ist. Viele stehen vor mir, nicken mit dem Kopf und sagen, sie verstehen das ja eigentlich alles, was ich erzähle. Nach einem kurzen Moment des Überlegens kommt aber häufig ein Satz wie: "Ich muss doch 10 Euro Praxisgebühr zahlen."

Sie schütteln den Kopf, Herr Hoppe. Wundert Sie das?

Hoppe:

Schon. Vielleicht sprechen wir verschiedene Bevölkerungsgruppen an, aber meine Erfahrung ist, dass viele zwar Angst um ihren Wohlstand haben, trotzdem aber nicht wollen, dass andere dafür Nachteile in Kauf nehmen müssen. Vielleicht glaube ich aber ein wenig zu blauäugig an das Gute im Menschen...

Pfeiffer:

(lacht) Ja, das denke ich auch.

Wie vermitteln Sie gerade skeptischen Bürgern, warum Entwicklungspolitik wichtig ist?

Pfeiffer:

Ich sage zum Beispiel den Schulklassen, die mich im Bundestag besuchen kommen: Freunde, Euer Handy funktioniert nur, weil es auf der Welt - und zwar nicht im Westerwald - das Mineral Coltan gibt. Da sind sie sehr schnell ganz aufmerksam und verstehen, dass es bei Entwicklungspolitik auch um ihre eigene Lebensqualität und ihre eigenen Entfaltungsmöglichkeiten geht.

Hoppe:

Ihren Ansatz würden viele Menschen, die ich treffe, sehr kritisch sehen. Die sagen: Ihr macht Entwicklungspolitik, um günstig an Rohstoffe heranzukommen? Das wäre für sie sogar ein Missbrauch von Entwicklungshilfe. Die muss doch nicht dafür herhalten, die Außenwirtschaft oder die deutsche Exportindustrie zu fördern!

Was sagen Sie den Leuten?

Hoppe:

Ich möchte vermitteln, dass die großen Krisen, mit denen wir es zu tun haben, alle miteinander verwoben sind. Wenn es uns beispielsweise nicht gelingt, die Erderwärmung zu stoppen, trifft das alle, auch uns - aber die Menschen in den Entwicklungsländern am härtesten. Schon jetzt gibt es Ernteausfälle von mehr als 20 Prozent in Subsahara-Afrika. Diese Herausforderungen können wir nur gemeinsam lösen.

So gesehen wäre Entwicklungspolitik ein ideales Wahlkampfthema.

Hoppe:

Absolut. Denn es geht darum, Entwicklungspolitik als internationale Strukturpolitik zu begreifen, nicht nur als Wohltätigkeitsveranstaltung. Wir müssen Regeln für die globalen Märkte schaffen. Das käme der gesamten Weltgemeinschaft zugute.

Pfeiffer:

Es wäre aber schön, wenn wir Entwicklungspolitiker nur mit Entwicklungspolitik Wahlkampf machen könnten...

Die Menschen fragen wohl eher nach der Zukunft ihrer Arbeitsplätze...

Pfeiffer:

Klar, sie wollen wissen, was mit ihren Jobs ist, mit den Steuern, der Wirtschaft. Damit müssen wir uns genauso auseinandersetzen.

Hoppe:

Wir sind im Wahlkampf auch ein wenig auf die Fairness der Mitbewerber angewiesen. Wir reisen ja viel, und manche sagen den Leuten: "Ich bin der Kandidat, der sich hier für Land und Leute einsetzt, der nicht um die Welt reist und den Präsidenten anderer Länder die Hände schüttelt." Dabei können wir nur gute Entwicklungspolitik machen und unserer Kontrollfunktion nur gerecht werden, wenn wir die Projekte und die Verhältnisse vor Ort mit eigenen Augen sehen. Das sind doch keine Vergnügungsreisen! Die sind oft sehr anstrengend und mit ganz erschütternden Erlebnissen verbunden.

Sie hören sicher oft, Entwicklungspolitik sei teuer und nutzlos. Die Ergebnisse sind tatsächlich mager. Was läuft schief?

Hoppe:

Entwicklungspolitik wird gelobt, wenn sie funktioniert, und natürlich sagen alle, wie wichtig sie ist. Aber wenn es zum Beispiel um die Interessen der Agrarlobby geht, darum, Überschüsse über den Weg der Agrarexportsubventionen zu entsorgen, nutzen leider auch fraktionsübergreifende Proteste der Entwicklungspolitiker nichts.

Pfeiffer:

Vieles spielt sich in der weiten Welt der Geber ab. Nehmen Sie die UN-Millenniumsziele. Da geht es um internationale Absprachen, um Koordination, individuelle Interessen. Es ist schwer, das durchzusetzen. Das kann nicht allein von Deutschland ausgehen.

So ist aber nicht zu erklären, warum es statt Fortschritten sogar Rückschritte gibt. Es hungern mehr Menschen denn je!

Hoppe:

Entwicklungspolitik hat, auch wenn sie erfolgreich ist, immer mit anderen Einflüssen zu kämpfen, die das Gegenteil bewirken. Wir haben im Ausschuss über das Thema "Land Grabbing" diskutiert...

...übersetzt "Landgrapschen".

Hoppe:

Ja, dabei eignen sich Investoren aus arabischen Staaten oder den USA Boden in den Schwellen- und Entwicklungsländern an, um damit zu spekulieren oder darauf für den eigenen Bedarf Nahrungsmittel oder Biokraftstoffe anzubauen. Das ist ein neues Phänomen, das zu einer Verschärfung der Nutzungskonkurrenz und zur Vertreibung von Kleinbauern führt.

Pfeiffer:

Wir sollten aber auch die Eigenverantwortung der Entwicklungsländer nicht vergessen. Man kann nicht endlos Programme machen, wenn sie vor Ort nicht unterstützt werden. Das Stichwort ist "Good Governance", also gute Regierungsführung. Wenn die gewährleistet ist, führt das in vielen Ländern innerhalb kürzester Zeit zu einer besseren Entwicklung.

Problematisch ist offenbar auch die schlechte Koordination der Geber...

Pfeiffer:

Da geht tatsächlich viel verloren. Es gibt viele nationale und internationale Interessen. Die in Einklang zu bringen, ist schwierig.

Hoppe:

Das größte Problem ist aus meiner Sicht nicht die Koordination, sondern die mangelnde Kohärenz der Geber. Auf internationaler Ebene gibt es riesige Widersprüche etwa zwischen Entwicklungspolitik und Handelspolitik. Nehmen Sie die Agrarexportsubventionen. Da entsteht mit internationalen Geldern ein erfolgreiches Molkereiwesen in Sambia oder Westafrika. Doch dann überschwemmt Milchpulver aus europäischer Überschussproduktion das Land. Was die eine Hand aufbaut, reißt die andere ein. Das gibt es sehr oft.

Selbst innerhalb der Bundesregierung gibt es unterschiedliche Interessen: Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner kämpft in Brüssel für Agrarexportsubventionen, während Entwicklungsministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul deren Abbau fordert.

Hoppe:

Ja, die beiden ziehen zwar an einem Strang, aber an entgegen gesetzten Enden und in verschiedene Richtungen. An dem Punkt wäre die Kanzlerin gefordert, sie müsste den Ressortstreit endlich beenden.

Pfeiffer:

Das ist sicher ein Problem, aber letztlich kann Deutschland allein überhaupt nichts tun. Gerade in der Agrarpolitik stehen wir oft machtlos daneben und gucken, was alles in Europa gemacht wird.

Deutschland ist das größte Mitgliedsland der Europäischen Union. Trotzdem so viel Ohnmacht?

Hoppe:

Die EU muss das mit allen Mitgliedern abstimmen. Deutschland kann sich für Veränderungen stark machen.

Pfeiffer:

Das hat noch nie funktioniert. Deutschland tritt leider immer ein bisschen zu leise auf in der EU.

Es scheint, es gibt noch viel zu tun, sollten Sie in sechs Wochen wieder in den Bundestag gewählt werden. Sind Sie mit der Legislaturperiode aus entwicklungspolitischer Sicht zufrieden?

Hoppe:

Durchaus. Ich fand es vor allem sehr positiv, dass wir viele Anträge interfraktionell verabschiedet haben. Wir haben mehrere Anträge zum Thema ländliche Entwicklung auf den Weg gebracht - ein Bereich, der lange vernachlässigt wurde. Der gemeinsame Antrag zur ecuadorianischen, sogenannten ITT-Initiative hat sogar bewirkt, dass die Bundesregierung jetzt einen Treuhandfonds mitfinanziert. Aufgrund dieser Initiative sollen Entschädigungen gezahlt werden, wenn Ecuador Öl im Boden lässt und damit einen wichtigen Nationalpark schont.

Pfeiffer:

Ein großer Erfolg waren auch die außergewöhnlichen Steigerungen im Haushalt in den vergangenen vier Jahren. Allein 2008 haben wir zwei Milliarden Euro mehr für Entwicklungszusammenarbeit zur Verfügung gestellt.

Was haben Sie sich für die kommende Legislatur vorgenommen?

Pfeiffer:

(lacht) Ich muss ja erst mal meinen Wahlkreis gewinnen. Aber so oder so sind die wichtigen Themen der nächsten Jahre neben der Bekämpfung des Klimawandels aus meiner Sicht die Gesundheitspolitik und die Förderung von Frauen. Ohne die Frauen ist Entwicklungspolitik überhaupt nicht möglich.

Hoppe:

Ich halte es für wichtig, dass die Regierung ihre finanziellen Zusagen einhält - egal, wer die Wahlen gewinnt Wir haben uns international verpflichtet, bis 2015 insgesamt 0,7 Prozent des Bruttonationaleinkommens für die Entwicklungszusammenarbeit aufzuwenden. Schon 2010 sollen es 0,51 Prozent sein. Die Steigerung der Mittel macht allerdings nur Sinn, wenn sie mit einer qualitativen Verbesserung der Entwicklungsarbeit einhergeht. Hier steht jede künftige Regierung in der Verantwortung.

Das Interview führte Johanna Metz.