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Eine Frage der Balance

WIRTSCHAFTSORDNUNG Plädoyer für ein kluges Design staatlicher und privatwirtschaftlicher Initiativen

11.01.2010
2023-08-30T11:25:45.7200Z
5 Min

Wenn es sie nicht gäbe, man müsste sie erfinden: die Landesbanken. Sie sind das teutonische Bollwerk gegenüber jeglicher Kritik am Markt. Sie sind das Totschlagargument in jeder Talkshow. Doch die horrenden Verluste einiger Landesbanken machen es den hiesigen Eliten zu leicht. Denn die Bürger werden zusehends skeptischer, was die Segnungen des freien Marktes angeht. Glaubten vor zwei Jahren erst zwei Drittel, dass die Folgen der Globalisierung nur durch einen starken Staat gemildert werden könnten, sind es nun schon drei Viertel, wie eine Forsa-Umfrage herausgefunden hat. Und die knapp 90 Prozent der Bürger im Kreis Rottal-Inn, die sich im November gegen die Privatisierung ihrer Krankenhäuser aussprachen, sind ein Fanal. Die Debatte Staat versus Markt muss aufrichtig geführt werden und nicht ideologisch oder mit dem Argument leerer Kassen.

"Der Markt kann es immer besser als der Staat", das ist der Schlachtruf der neoliberalen Revolution, die sich in den 1970er Jahren Bahn brach. Dahinter stand die Annahme, dass nur das Gewinnstreben der Privatwirtschaft für höheren Wohlstand werde sorgen können. Die Finanzkrise wird inzwischen in fast allen Ländern als der Wendepunkt angesehen. Der unregulierte Markt hat keinen guten Klang mehr. Länder, die wie Neuseeland sehr früh ihr Heil in der Privatisierung gesucht hatten, haben längst den Rückwärtsgang eingelegt und verstaatlichen wieder Unternehmen wie Eisenbahngesellschaften.

Schlüsse für die Zukunft

Nur in Deutschland verhindern die Landesbanken die Debatte um die richtige Balance zwischen Staat und Markt. Das ist bedauerlich. Einerseits trägt das Argument Landesbank nichts zur Aufklärung bei. Andererseits kann nur der, der das Versagen des Marktes versteht, die richtigen Schlüsse für die Zukunft ziehen. Die Finanz- und Bankenkrise mahnt uns, endlich Abschied zu nehmen vom Gegensatz Staat versus Markt. Die schlichte Wahrheit lautet: Der Staat ist vom Markt gar nicht zu trennen. In letzter Instanz ist alles Staat.

Unvergessen der Sonntagnachmittag des 5. Oktober 2008. Eine blasse Kanzlerin Angela Merkel (CDU) und ein ebenso bleicher Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) treten vor die Kameras und sprechen sie aus, die Garantie: "Wir sagen den Sparerinnen und Sparern, dass ihre Einlagen sicher sind", sagt die Kanzlerin, ohne viel Aufhebens zu machen. Und Steinbrück wiederholt den Satz in seinen Worten. Während sich die Medien noch Tage später mit der Frage beschäftigen, wie viele hundert Milliarden Euro die Garantie denn nun umfasse, wo das Gesetz bleibe, das die Garantie wasserdicht mache, und wo erst das Geld sei, das die Garantie decke, da passiert in der Bevölkerung etwas ganz Sonderbares: Der Run auf die Geldautomaten und Bankschalter ebbt ab, die Bürger fassen wieder Vertrauen. Die Kernschmelze ist durch ein paar Worte der Kanzlerin abgewendet worden. Ohne Gesetz. Ohne Geld.

Der Staat konnte Vertrauen herstellen, wo der Markt Misstrauen gesät hatte. Misstrauen, das das ganze System zerstört hätte, wäre der Run auf die Banken weitergegangen. Menschen sind nun mal keine rationalen Wesen, sondern Herdentiere. Wir orientieren uns an dem, was der Nachbar macht, an sozialen Normen. Wenn alle plötzlich Angst haben, dass ihr Geld morgen weg ist, werden alle versuchen, heute ihr Geld abzuheben und führen damit genau die Situation herbei, in der die Banken morgen kein Geld mehr haben werden. Solange Vertrauen herrscht, kommt es nie zu dieser Situation. Doch wehe, wenn Misstrauen herrscht.

Halten wir fest: Nur der Staat kann in der Wirtschaft Vertrauen schaffen. Das fängt schon auf dem einfachen Wochenmarkt an, wo die Händler ihre Ware auf Waagen wiegen, die ganz selbstverständlich geeicht sein müssen, also staatlich zertifiziert. Bevor es jetzt ordnungspolitisch wird, wir also den Sprung vom Neoliberalismus, der den Markt und die Privatwirtschaf verabsolutiert, zum Ordoliberalismus wagen, der immer verlangte, dass der Markt einen vom Staat gesetzten Rahmen sowie Regeln braucht, nochmal einen Schritt zurück: Warum bringen uns Landesbanken in der Debatte Staat versus Markt kein Jota voran?

Weil die nationale Bilanz - nämlich drei private gegenüber vier staatlichen Banken, die in Probleme gerieten - gar nichts klärt. Waren etwa die einst klangvollsten Namen der internationalen Bankenszene, die amerikanische Citigroup, die britische Royal Bank of Scotland oder die Schweizer UBS je staatlich? Sie alle hat die Krise dahingerafft. Denn nicht die Struktur der Eigentümer, sondern der Tätigkeitsbereich sowie die Art der Refinanzierung erklären die Bankenpleite. International betrachtet gerieten all jene Banken ins Schlingern, die im Verhältnis zum eigentlichen Kundengeschäft zu viel Kapitalmarktgeschäft hatten, also zu stark spekulierten. Dies erklärt auch, warum die knapp 500 Sparkassen, alles öffentlich-rechtliche Banken, die Krise bislang ganz hervorragend überstanden haben. Sparkassen haben nämlich mit dem Kapitalmarkt und der Zockerei so gut wie nichts zu tun.

Kurzum: Das Scheitern der Landesbanken beweist in der Frage, ob Politiker wirtschaften können, gar nichts. Auch in anderen Branchen schlägt sich der Staat nicht unbedingt schlechter als privates Kapital. Nehmen wir das Beispiel General Motors (GM) versus Volkswagen. Hier ein durch und durch privates Unternehmen (GM), das in den vergangenen 15 Jahren stark dem Shareholder-Value anhing und deshalb kaum Geld in Forschung und Entwicklung steckte, sondern lieber Aktien zurückkaufte und hohe Boni bezahlte. Dieses Unternehmen hat seine weltweit führende Stellung eingebüßt und gehört inzwischen dem amerikanischen Staat, der die Pleite nicht zulassen wollte. Dort die Firma VW: Sie stand immer unter erheblichen Staatseinfluss (bis heute hält das Land Niedersachsen noch eine Sperrminorität von 20 Prozent) und hat sich zum großen Gewinner gemausert. Nicht immer war die Rendite der Wolfsburger berauschend, aber sie stehen heute kurz vor dem Sprung an die Weltspitze.

Staat als Brauer

Und selbst Bier kann der Staat besser brauen als der Markt. Glauben Sie nicht? Die Kultmarke Tannenzäpfle ist ein Unternehmen, das zu 100 Prozent dem Land Baden-Württemberg gehört. Und Tannenzäpfle wächst seit Jahren ohne Übernahmen in einem schrumpfenden Markt und erzielt dabei noch hohe Renditen von mehr als 20 Prozent. So trivial ist die Frage nicht zu beantworten, wer der bessere Unternehmer ist. Dabei ist es natürlich nicht die vornehmste Aufgabe des Staates, Unternehmen zu führen. Viel wichtiger ist der Rahmen, den der Staat vorgeben muss, damit der Wettbewerb funktioniert. Nur so schützt das Marktergebnis Konsumenten, Beschäftigte und die Umwelt vor Ausbeutung. So weit, so ordoliberal. Aber was ist mit dem Marktversagen? Warum haben in England Millionen Menschen kein Giro-konto, obwohl fünf große Banken um Kunden kämpfen? Weil gewisse ärmere Kunden in England einfach kein Konto von der Privatwirtschaft angeboten bekommen.

Es gibt viele Fälle, in denen erst der Staat durch eigene Unternehmen, wie Sparkassen oder sozialen Wohnungsbau, dafür sorgt, dass das Marktergebnis insgesamt gut wird. Es kommt auf das kluge Design von staatlichen und privatwirtschaftlichen Initiativen an. Es ist an der Zeit, den Irrglauben des Neoliberalismus zu korrigieren. Oder um es mit dem Wirtschaftsweisen Peter Bofinger zu sagen: "Konzeptionell muss es in allen Bereichen des Wirtschaftslebens darum gehen, von einem Staat unter der Aufsicht des Marktes wieder zu einem Markt unter der Aufsicht des Staates kommen." Ganz konkret heißt das: Der Staat braucht kluge und gut bezahlte Experten, die das Design entwerfen. Und er braucht ausreichende finanzielle Mittel und darf nicht kaputtgespart werden.

Der Autor leitet die Wirtschaftsredaktion der "Frankfurter Rundschau".