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Schlupflöcher schließen

LEIHARBEIT Der Fall Schlecker alarmiert die Politik. Wie strikt Zeitarbeit begrenzt werden muss, darüber streiten die Fraktionen

01.02.2010
2023-08-30T11:25:46.7200Z
6 Min

Für Schlecker ist diese Bundestagsdebatte eine Art Anti-Werbe-Spot. Was bei der Drogeriemarktkette geschehen sei, sei "unanständig", sagt Gitta Connemann (CDU), "das Gebaren dieses Konzerns empört wohl jeden hier im Haus." Klaus Ernst von der Linksfraktion hält die Vorgänge gar für "eine Sauerei", Und Gabriele Hiller-Ohm setzt noch einen drauf: Was bei Schlecker passiere, "das ist eine Sauerei XXL", schimpft die SPD-Politikerin. Die eineinhalbstündige Schlecker-Schelte flimmert übers Fersehen in tausende deutsche Wohnzimmer und Büros.

Der Fall der Drogeriemarktkette beschäftigt seit Monaten die Gewerkschaften. Am 28. Januar ist das Thema auch im Bundestagsplenum angekommen. Schlecker hatte tausende Beschäftigte aus regulären Arbeitsverhältnissen entlassen und ihnen angeboten, zu einer eng mit dem Unternehmen verflochtenen Leiharbeitsfirma zu wechseln - zu weit geringeren Stundenlöhnen. Erst nach massivem politischen Druck von außen hatte Schlecker Mitte Januar angekündigt, keine weiteren Verträge mit der Leiharbeitsfirma Meniar GmbH abzuschließen.

Jetzt ist die ganze Branche ins Visier der Politik geraten. Denn auch andere Unternehmen bedienen sich ähnlicher Methoden. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU), bekannt für ihren Instinkt für öffentlichkeitswirksame Aufregerthemen, hatte umgehend angekündigt, Missbräuche mit schärferen Gesetzen eindämmen zu wollen. Linksfraktion (17/426) und Grüne (17/551) sind nun vorgeprescht und haben jeweils einen Antrag mit konkreten Vorschlägen vorgelegt.

Das Thema ist heikel: Es geht um menschliche Schicksale, um den Ruf einer ganzen Branche und um die politische Hoheit beim Thema Arbeitsmarktpolitik, mit dem Politiker aller Parteien beim Wähler punkten wollen.

"Herr Kollege, sie haben nur eine Zwischenfrage, keine Zwischenrufe", ermahnte Bundestagvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) einen der Abgeordneten während der Debatte und sorgte mit dieser launigen Bemerkung für Heiterkeit im Saal, in dem an diesem Morgen erregt und bisweilen bissig diskutiert wurde.

Die Bandbreit der Argumente war groß: Während die einen die Leiharbeitsbranche als Niedriglohnsektor komplett verteufeln und meinen, Zeitarbeit diene überwiegend zum Lohndumping, betonen die anderen ihre segensreichen Wirkungen für Arbeitslose und Unternehmen.

"Das Problem dabei ist: All das, was die Firma Schlecker hier macht, ist vollkommen legal", sagte Klaus Ernst (Die Linke), "das ist ein absolut inakzeptabler Zustand". Der designierte Parteischef betonte, dass viele Zeitarbeiter ihr Einkommen durch Hartz IV aufstocken müssten. "Wir finanzieren mit Steuergeldern die billigen Löhne und den Reichtum von Anton Schlecker", wetterte er. Der Arbeitsmarktexperte zählte eine Reihe von Unternehmen auf, die viele Leiharbeiter beschäftigen. Wer bei diesem Problem sagt, es handele sich um Einzelfälle, der wolle die Realität nicht anerkennen.

Die Linksfraktion fordert daher im Einklang mit den Grünen, dass Zeitarbeitnehmer von Anfang an das gleiche Entgelt bekommen sollten wie Arbeitskräfte im Entleihbetrieb. Grundsätzlich müssen Zeitarbeitsunternehmen ihren Leiharbeitskräfen auch heute schon die gleichen Löhne zahlen und ähnliche Arbeitsbedingungen gewähren, die im Einsatzbetrieb gelten. Dies gilt aber nicht, wenn es für den Leiharbeiter einen eigenen Tarifvertrag gibt. Diese Ausnahme ist inzwischen zur Regel geworden.

Gleicher Lohn für gleich Arbeit

"Das Prinzip ,equal pay' darf nicht durch Tarifverträge ausgehebelt werden", betonte Ernst. Seine Fraktion sieht insbesondere die Tarife der Christlichen Gewerkschaften im Bereich Zeitarbeit kritisch, die mit dem Verband mittelständischer Personaldienstleister Verträge ausgehandelt hatten. Ob dies überhaupt rechtens war, darüber entscheidet demnächst das Bundesarbeitsgericht.

Wie die Grünen plädiert auch die Linksfraktion dafür, dass die Flexibilität der Leiharbeiter mit einer gesetzlich verankerten Prämie honoriert werden müsse. Beide Parteien verlangen einen Lohnzuschlag in Höhe von zehn Prozent des Bruttolohns. Zusätzlich will die Linksfraktion den Einsatz der Zeitarbeitnehmer auf drei Monate begrenzen, derzeit gibt es für die Unternehmen kein Limit.

"Korrekturen sind längst überfällig", begründetete Beate Müller-Gemmeke den Antrag der Grünen. Als die rot-grüne Bundesregierung 2004 die Zeitarbeitsbranche neu regelte, "da war nicht absehbar, dass viele Unternehmen ihre Belegschaften in die Wüste schicken", sagte sie selbstkritisch, "wir sehen die Fehlentwicklungen."

Die Grünen wollen etwa das so genannten Synchronisationsverbot wieder einführen. Die Klausel verhindert, dass Beschäftigte nur exakt für die Dauer eines Einsatzes in einem Verleihbetrieb eingestellt werden. "Damit wird das Beschäftigungsrisiko zukünftig von der Zeitarbeitsfirma und nicht mehr von den Zeitarbeitskräften getragen", begründet die Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen in ihrem Antrag die Forderung. Müller-Gemmeke plädierte nicht nur für einen Mindestlohn in der Branche, sondern auch, dass die konzerninterne gewerbsmäßige Arbeitnehmerüberlassung à la Schlecker gesetzlich verboten werden müsse.

Das "Zerrbild", das Grüne und Linke von der Branche zeichneten, mochte der Parlamentarische Staatssekretär Im Bundesarbeitsministerium Ralf Brauksiepe so nicht im Raum stehen lassen. Von rund 40 Millionen Erwerbstätigen in Deutschland seien gerade einmal 600.000 Zeitarbeiter, "das sind 1,5 Prozent." Es sei also falsch, so zu tun, als würde das Phänomen den Arbeitsmarkt in Deutschland prägen.

Kein Traumjob

"Ein Zeitarbeitsjob ist sicher kein Traumjob", sagte der CDU-Arbeitsmarktexperte, "aber er baut Brücken in den ersten Arbeitsmarkt, gerade für diejenigen, die sonst kaum Chancen auf eine Stelle hätten." Mehr als 62 Prozent der Zeitarbeiter seien zuvor arbeitslos gewesen, zitierte Brauksiepe aus dem Elften Bericht der Bundesregierung zum Thema Arbeitnehmerüberlassung. Will heißen: Die Arbeit für eine Zeitarbeitfirma ist allemal besser als Langzeitarbeitslosigkeit oder Schwarzarbeit.

Für die Unternehmen ist die Zeitarbeit nach Meinung des CDU-Arbeitsmarktexperten sozusagen überlebenswichtig. Sie könnten flexibler auf Nachfragespitzen und entsprechende Produktionsschwankungen reagieren. "Das schützt auch die Arbeitsplätze der Stammbelegschaften", argumentierte Brauksiepe. Mehr als 60 Prozent der Zeitarbeiter seien weniger als drei Monate beschäftigt, das zeige, dass die Mehrheit eindeutig Produktionsspitzen abdecke.

Gleichwohl betonte der CDU-Politiker, dass die Bundesreigeurng Mißbrauch in der Zeitarbeit nicht dulden werde. Für das weitere Vorgehen gelte daher: "Wir wollen nicht das Kind mit dem Bade ausschütten."

Damit deutet sich an, dass Schwarz-Gelb die Gesetzeslage behutsam nachjustieren wird. Sicher scheint nur eines: Es steht eine Gratwanderung an und viel intensive Detailarbeit, die nötig sein wird, um die Schlupflöcher zu schließen.

Bündnis 90/Die Grünen und die Linksfraktion hätten mit ihren beiden Anträgen schon einen "guten Aufschlag" gemacht, sagte Gabriele Hiller-Ohm (SPD) und kündigte für ihre Fraktion an, dass sie im Februar ebenfalls einen Vorschlag vorlegen werde. Vieles, was in den vorliegenden Anträgen steht, wird sich laut Hiller-Ohm darin wiederfinden: das Motto "gleicher Lohn für gleiche Arbeit", das Synchronisationsverbot, eine Begrenzung der Verleihdauer, das Verbot konzerninterner Leiharbeit.

Bis zu Beginn der Wirtschaftskrise "hat die Leiharbeit mit dazu beigetragen, die Arbeitslosekeit zu senken", betonte die SPD-Politikerin, die zugleich die großen Lohnunterschiede zwischen Zeitarbeitern und Stammbelegschaften kritisierte. Sie forderte einen flächendeckenden Mindestlohn von 7,50 Euro, der auch für die Zeitarbeiter gelten solle. Derzeit müsse der Staat eine halbe Milliaren Euro für Leiharbeiter zuschießen, die ihr Gehalt aufstocken müssten. "Das ist für die Beschäftigten zutiefst demütigend", sagte Hiller-Ohm.

Reinwaschen geht nicht

Dass die Väter und Mütter der Reform der Zeitarbeit jetzt "nichts mehr damit zu tun haben wollen" wundere ihn schon, frotzelte Heinrich Kolb von der FDP an die SPD gewandt. Sie sei für die heutige Gesetzeslage verantwortlich, und "ich lasse es nicht zu, dass sie in den Ganges steigen und sich reinwaschen".

Die Zeitarbeit leiste eine Integrationsleistung für Arbeitslose, "von der die Bundesagentur für Arbeit nur träumen kann", sagte der Arbeitsmarktexperte. Es gebe keine flächendeckende Flucht in die konzerninterne Zeitarbeit, betonte er: "Ich rate dazu, nicht in Aktionismus zu verfallen." Einen Mindeslohn für die Zeitarbeitsbranche lehnte Kolb ab, Löhne und Gehälte zu regeln sei Sache der Tarifparteien.

Eine besondere Spitze gegen die SPD hatte sich die CDU-Politikerin Gitta Connemann einfallen lassen. Sie zählte in der Debatte eine ganze Reihe von Zeitungen auf, an deren Verlagen die SPD beteiligt sei, und die Redakteure als Zeitarbeiter beschäftigten - darunter die "Frankfurter Rundschau" und die "Leipziger Volkszeitung".