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Transport am Grund der Ostsee

NORD STREAM Ein Viertel des zusätzlichen EU-Gasbearfs wird Russland über eine neue Pipeline liefern

12.04.2010
2023-08-30T11:25:53.7200Z
5 Min

Erdgas als wertvoller, sauberer Energieträger wird auch für Westeuropa immer wichtiger. Neben den eigenen Vorkommen - allen voran in der Nordsee - setzen die europäischen Energieversorger in Zukunft auch auf Lieferungen aus anderen Ländern der Welt. Ein wichtiges Erdgaslieferland für Westeuropa ist traditionell Russland, denn in Sibirien schlummern gewaltige Gasvorkommen. Diese zu erschließen und zu vermarkten, hat Russland zu einem strategischen Ziel erhoben.

Als idealer Transportträger erweist sich dabei einmal mehr die Pipeline. Anfang April startete die Verlegung der Ostsee-Pipeline. Sie verläuft künftig auf einer Gesamtstrecke von rund 1.220 Kilometern vom russischen Vyborg bis nach Lubmin bei Greifswald. Fast 7,4 Milliarden Euro investiert die Betreibergesellschaft Nord Stream AG, in deren Aktionärsausschuss auch der ehemaliege deutsche Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) sitzt, in die auf dem Meeresgrund zu verlegenden Leitungen. Zu den Gesellschaftern des Unternehmens, das sich als "Garant für beste Technologie, höchste Sicherheit und optimale Unternehmensorganisation" bezeichnet, gehören neben dem russischen Energieriesen Gazprom die europäischen Konzerne BASF, Eon, Ruhrgas und Gasunie.

Bereits kommendes Jahr soll die Ostsee-Pipeline, die aus zwei Röhrensträngen besteht - der Nord- und der Süd-Leitung - in Gestalt der Nord-Leitung zur Verfügung stehen. Im Jahr 2012 soll dann auch der zweite Strang seiner Bestimmung übergeben werden.

Jahrhundertvorhaben

Über die Ostsee-Pipeline kann die EU in Zukunft 25 Prozent ihres zusätzlichen Erdgas-Bedarfs einführen. Dieser zusätzliche Bedarf wird von Nord Stream bis zum Jahr 2030 mit etwa 200 Milliarden Kubikmeter Gas jährlich angegeben. 55 Milliarden Kubikmeter davon sollen durch die Pipeline fließen. Bei der Verwirklichung des Jahrhundertvorhabens stehen die Ingenieure des Joint-Ventures Nord Stream AG sowie die Lieferanten und Dienstleister vor großen technischen und logistischen Herausforderungen.

Die Umsetzung des Logistikkonzeptes mit der Auswahl von geeigneten Standorten hat bereits vor zwei Jahren begonnen. Bei Klaus Schmidt, Projekt Manager Logistik der Nord Stream AG und ausgewiesener Experte auf dem Gebiet des Baus von Pipelines, laufen seitdem alle Fäden zusammen. "Ein Projekt in dieser Größenordnung hat es im Ostseeraum bislang nicht gegeben. Neben regionalen Arbeitskräften setzen wir auf eine Vielzahl von internationalen Spezialisten, die über langjährige Erfahrung in der logistischen Planung von Pipelines verfügen", so Schmidt. Für die strukturschwache Region ist die Ostsee-Pipeline ein Gewinn. Allein am Standort Mukran konnten 200 neue Arbeitskräfte geschaffen werden.

25 Tonnen pro Rohr

Es geht für das Gesamtprojekt um insgesamt 200.000 Stahlrohre, die verlegt und verschweißt werden müssen. Bevor ein solches, netto gut zwölf Tonnen wiegendes Rohr auf dem Meeresboden verlegt werden kann, muss es dafür veredelt werden. Das bedeutet: Das Rohr wird mit einer Beton-Ummantelung versehen, die zwei wesentliche Aufgaben erfüllen soll. Erstens schützt sie das Rohr vor äußeren mechanischen Einflüssen. Zweitens bewirkt sie, dass das Rohr schwerer wird und damit nicht mehr "aufschwimmen" kann. Nach dem Beschichtungsvorgang verdoppelt sich das Gesamtgewicht auf rund 25 Tonnen pro Rohr.

Für die Rohrbeschichtung entstanden eigens zwei Spezialwerke im deutschen Ostseehafen Sassnitz-Mukran sowie im finnischen Kotka. Betreiber dieser Werke ist die zum südkoreanischen Korindo-Konzern gehörende französische Spezialfirma Eupec Pipe Coatings SA. Das Unternehmen kann auf eine mehr als 40-jährige Erfahrung auf dem Gebiet der Ummantelung von Stahlrohren mit einem Korrosions- und Thermoschutz zurückblicken. Der Auftrag hat einen Gesamtwert von 650 Millionen Euro - der größte Einzelauftrag in der Geschichte des Unternehmens. Seit Aufnahme der Produktion wurden bis März 2010 in den beiden Spezialwerken bereits rund 70.000 Rohre beschichtet.

Optimale Anbindung

Für den Standort Mukran sprachen gleich mehrere Punkte. So ist der Hafen optimal an das Hinterland-Schienennetz angebunden und befindet sich Nahe der künftigen Pipeline-Trasse. Seeseitig ist der Hafen sehr gut durch Schiffe ansteuerbar, ohne zeitraubende Revierfahrten und verfügt über eine Wassertiefe von bis zu 10,50 Meter. Es gibt ausreichende Terminal-Kapazitäten, die derzeit mit Hochdruck um einen weiteren, rund 175 Meter langen Liegeplatz ergänzt werden. Gut zehn Millionen Euro stecken das Land Mecklenburg-Vorpommern und der Bund in das Vorhaben, das in zwei Schritten bis Mitte 2010 abgeschlossen sein wird. Darüber hinaus verfügt der Hafenstandort über sehr viele Freiflächen. Ein weiteres Argument das gehört zu den Trumpfkarten für den Standort Mukran: In der Region gibt es keinen Arbeitskräftemangel.

Das in Mukran gebaute Werk wurde binnen eines Jahres nach dem ersten Spatenstich im Frühjahr 2008 in Betrieb genommen. Seit März 2009 arbeiten inzwischen mehr als 200 Beschäftigte im Zwei-Schichten-Betrieb an fünf Tagen in der Woche daran, dass die Stahlrohre mit dem Betonmantel versehen werden. Die in Mukran verarbeiteten Rohre werden bei der Firma Europipe in Mülheim/Ruhr produziert. Es handelt sich dabei um einen Umfang von insgesamt 120.000 Röhren.

Um möglichst viel Kohlenstoffdioxid einzusparen, werden die schweren Stahlrohre mittels Bahntransporten durch DB Schenker nach Rügen bewegt. Bis zu 15 Züge pro Woche rollen direkt von Mülheim nach Mukran. Die Rohre werden dort in gewaltigen Zwischenlagern konzentriert und auf kürzestem Wege vom Lager bis ins Ummantelungswerk befördert. Auch der für die Ummantelung benötigte Zement wird auf dem Schienenweg nach Mukran transportiert.

Viele technische Innovationen

Die ummantelten Rohre werden zum Teil anschließend in Mukran eingelagert. Ein anderer Teil der Rohre wird vom Hafen-dienstleister Buss Sea Terminal Sassnitz auf Seeschiffe verladen und zu weiteren Lagerstätten ins schwedische Karlskrona und nach Slite gebracht. Jedes Rohr ist mit einem eigenen RFID-Chip bestückt. Eine von vielen technischen Innovationen, die im Rahmen dieses Jahrhundertprojektes zur Wirkung kommen.

Das Logistikkonzept der Nord Stream setzt auf fünf Logistikstützpunkte entlang der Trasse. Neben den Produktions- und Lager-standorten Mukran und Kotka befinden sich Lagerstätten in Karlskrona und Slite sowie im finnischen Hanko. Hier liegen die Rohre für den Bau bereit. Die Logistiklager befinden sich in einem Abstand von gut 100 Seemeilen (knapp 190 Kilometer) zur Pipelineroute. Das hat den wesentlichen Vorteil, dass das Verlegeschiff nur kurze Wege vom jeweiligen Logistikstützpunkt bis hin zur Baustelle zurückzulegen hat. Durch diese Entscheidung konnte zum Beispiel die Zahl der Rohr-Zubringer-Schiffe von sechs auf drei halbiert werden. Die Versorgungshäfen werden über See versorgt, wobei die Rohre entweder in Kotka oder in Mukran aufgenommen werden. Die Frachter können um die 160 Röhren pro Abfahrt aufnehmen.

Die sehr sorgfältige Auswahl der Logistikstandorte auf der einen und die Wahl der umweltfreundlichen Verkehrsträger Seeschiff beziehungsweise Bahn auf der anderen Seite sollen dem zentralen Thema Nachhaltigkeit beim Jahrhundertprojekt "Ostsee-Pipeline" Rechnung tragen. In der Umsetzung bringt das im Vergleich zur Nutzung etablierter Standorte eine Einsparung von mindestens 190.000 Tonnen CO2-Emissionen für den Bau beider Pipelinestränge.