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Alarmglocken-Läuten

EUROPAPARLAMENT Die EU-Staats-und Regierungschefs treffen wichtige Entscheidungen immer öfter ohne die Volksvertretung, kritisieren die Abgeordneten. Sie…

21.06.2010
2023-08-30T11:25:58.7200Z
4 Min

Es war ein starkes Signal, und es kam kurz vor dem Gipfel. In seltener Einmütigkeit gingen in der vergangenen Woche die Vorsitzenden von Konservativen, Sozialisten, Liberalen und Grünen im Europaparlament (EP) an die Öffentlichkeit und forderten die Staats- und Regierungschefs auf, das EP stärker in ihre Entscheidungen einzubeziehen. "Wenn wir Vorsitzenden der vier größten Fraktionen im Europaparlament trotz unserer politischen Differenzen hier gemeinsam auftreten, dann deshalb, weil wir die Alarmglocke läuten wollen", sagte Joseph Daul, Fraktionschef der Europäischen Volkspartei. Alle vier Fraktionen wehrten sich dagegen, dass die Staats- und Regierungschefs zuletzt vermehrt Entscheidungen hinter verschlossenen Türen gefällt haben.

Der gemeinsame Auftritt zwei Tage vor dem Gipfel der 27 Staats- und Regierungschefs am vergangenen Donnerstag in Brüssel brachte den Unmut zum Ausdruck, der sich im EP ausbreitet. Mit dem Vertrag von Lissabon wurde das Parlament formal zwar aufgewertet. In der Praxis haben die Regierungen die zentralen Entscheidungen bei der Krisenbekämpfung der vergangenen Monate jedoch alleine gefällt. Auch die Kommission wurde an den Rand gedrängt. "Der Weg des Rates ist nicht akzeptabel", sagte Martin Schulz, Vorsitzender der Sozialisten im EP: "Die Fraktionen haben sich entschieden, ein starkes Signal eines kämpferischen Parlaments zu setzen."

Die Fraktionschefs untermauerten ihre Kritik mit einer Drohung: Sollten die Staats- und Regierungschefs die Rolle des Parlaments nicht so respektieren wie im Vertrag von Lissabon vorgesehen, dann könnte das EP wichtige Gesetzgebungsvorhaben - etwa den Haushalt für das kommende Jahr oder den geplanten Europäischen Auswärtigen Dienst -blockieren.

Der Vorstoß der Fraktionsvorsitzenden gewann noch an Brisanz, als in der vergangenen Woche bekannt wurde, dass Ratspräsident Herman van Rompuy die Staats- und Regierungschefs häufiger als bisher versammeln will. Konkret geplant hat er bereits einen Gipfel im September im Vorfeld der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York. Im Februar 2011 will er in Brüssel einen Gipfel zum Thema Energie veranstalten. Ursprünglich hatte van Rompuy sogar angekündigt, die nationalen Spitzen jeden Monat nach Brüssel einladen zu wollen. Der Vorschlag fand jedoch wenig Gefallen.

Besonders die Ergebnisse des eilig einberufenen Eurozonen-Gipfels am 7. Mai haben im EP deutliche Kritik ausgelöst. Die Institution fühlte sich übergangen, als die Staats- und Regierungschefs einen Rettungsmechanismus für notleidende Euroländer entwarfen. Im EP gibt es aus haushaltstechnischer und wirtschaftspolitischer Sicht Bedenken an der Konstruktion dieses 750-Milliarden-Euro-Rettungsschirms.

"Uns geht es nicht darum, das Instrument in Frage zu stellen", betont Reimer Böge (CDU), ständiger Berichterstatter im EP für die mehrjährige Finanzplanung. Allen im EP ist bewusst, dass die Märkte sehr sensibel reagieren würden, wenn nur der leiseste Zweifel an dem Rettungsmechanismus aufkäme. Die Haushaltsexperten fragen sich allerdings, auf welcher Rechtsgrundlage die Entscheidung Anfang Mai überhaupt gefallen ist. Die EU-Verträge sehen vor, dass der EU-Haushalt nur bei Naturkatastrophen oder außergewöhnlichen Umständen als Sicherheit eingesetzt werden kann. "Ich glaube nicht, dass die Wirtschaftskrise darunter fällt", sagt die polnische Abgeordnete Sidonia Elzbieta Jedrzejewska.

Die Parlamentarier sind nun wenig geneigt, die Beschlüsse des Rates einfach durchzuwinken, denn ihr Haushaltsrecht wurde eindeutig missachtet. "Man darf sich da nicht überrumpeln lassen", sagt der Abgeordnete Böge. Und auch aus dem Haushaltskontrollausschuss kommt Kritik. "Das ist ein Verstoß gegen das gute Miteinander", sagt die Abgeordnete Inge Grässle (CDU).

Nun stellt sich die Frage, wie mit dem Rettungspaket haushalterisch sauber umgegangen wird. "Muss vielleicht eine Reserve im EU-Haushalt gebildet werden, wenn tatsächlich einmal Geld fällig wird?", gibt Böge zu bedenken. An solche Fragen hatten die Staats- und Regierungschefs genauso wenig wie die Finanzminister bei ihren Nachtsitzungen Anfang Mai gedacht.

Klare Regeln

Das Parlament will eine grundsätzliche Klärung. "Wir müssen das für die Zukunft regeln", fordert Böge. Das Thema wird bei den Verhandlungen zur neuen interinstitutionellen Haushaltsvereinbarung im Herbst auf den Tisch kommen. "Es muss geklärt werden, wie die Institutionen vernünftig miteinander umgehen", verlangt er.

Nicht nur die Haushaltsexperten des EP kritisieren den Rettungsmechanismus. Auch der Krisenausschuss des Parlaments hat angekündigt, sich das Paket genauer anzusehen. Dessen Vorsitzender Wolf Klinz ist der Auffassung, das Parlament hätte konsultiert werden müssen. Er bezeichnet den Entstehungsprozess als "sehr undemokratisch" und befürchtet eine Entwicklung in Richtung Gemeinschaftsanleihe. "Das ist der erste Schritt hin zu Eurobonds", sagt der liberale Abgeordnete: "Ich persönlich lehne Eurobonds für die Finanzierung von Schulden von Mitgliedsländern ab."

Beim Gipfel am vergangenen Donnerstag sprachen sich die Staats- und Regierungschefs überraschend für eine Bankenabgabe aus - ein Projekt, das auch im EP stark befürwortet wird. Zunächst hatte es nicht danach ausgesehen, dass sich die Staats- und Regierungschefs darauf einigen könnten. Doch nun gab es doch noch einen Durchbruch. Vielleicht ist das auch eine Geste an die Parlamentarier.