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Das Land ohne Namen

MAZEDONIEN Ein von außen betrachtet bizarrer Namensstreit steht dem EU-Beitritt des Landes im Weg

26.07.2010
2023-08-30T11:26:01.7200Z
5 Min

Wo liegt eigentlich Mazedonien? Weder ein Blick in den Atlas noch in historische Karten kann eine befriedigende Antwort darauf geben. Seit die ehemalige jugoslawische Teilrepublik 1991 nach dem Zusammenbruch des sozialistischen Weltsystems unabhängig wurde, ist sie im internationalen Verkehr de facto namenlos. The Former Yugoslav Republic of Macedonia - F.Y.R.O.M - ist die offizielle Bezeichnung des Zwei-Millionen-Staates, der im Süden an Griechenland grenzt. Athen lehnt den Namen "Republik Mazedonien" ab und hat international sein Veto eingelegt, weil es im Norden eine gleichnamige griechische Region gibt. Es sei das griechische Gebiet, das dem antiken Mazedonien entspreche, argumentiert die griechische Regierung.

Aus dem Mazedonien des Altertums zog Alexander der Große im vierten Jahrhundert vor Christus aus, um ein Weltreich von Griechenland bis Indien zu begründen. Schon Josip Broz Tito nutzte den Bezug auf die legendäre Gestalt der Antike, um das Zusammengehörigkeitsgefühl unter den Bewohnern der jugoslawischen Teilrepublik Mazedonien zu stärken. Auch die aktuelle mazedonische Regierung führt diese Linie fort: beispielsweise mit der landesweiten Aufstellung von Statuen Alexanders des Großen. Die Benennung des internationalen Flughafens in der Hauptstadt Skopje 2006 nach Alexander dem Großen führte zu einem Eklat mit Griechenland. "Mit der Anspielung auf das antike Erbe wird weiteres Öl ins Feuer gegossen", sagt die Historikerin Marie-Janine Calic vom Südosteuropa-Institut der Ludwig-Maximilians-Universität in München. Doch die Regierung will auf den Namen Mazedonien nicht verzichten.

Die Suche nach einem Namen für Mazedonien ist inzwischen zu einer Schicksalsfrage für den ganzen Balkan geworden. 2004 stellte Mazedonien den Antrag auf EU-Mitgliedschaft. Doch Brüssel verlangt eine Einigung mit Griechenland über die Namensfrage, ehe die Beitrittsverhandlungen überhaupt aufgenommen werden. Auch die Nato macht eine Beilegung des Namensstreits zur Bedingung für eine Mitgliedschaft.

Mehrere internationale Vermittlungsversuche sind seitdem gestartet und erfolglos abgebrochen worden. Seit Monaten wird über einen Vorschlag von UN-Unterhändler Matthew Niemitz beraten, den Namen Nord-Mazedonien einzuführen. Athen besteht auf einer geografischen Abgrenzung im Namen. Skopje ist bislang aber nur bereit, diesen Namen bei bilateralen Beziehungen zu akzeptieren. Auf internationaler Ebene wollen sie als Republik Mazedonien anerkannt werden. Beobachter sind sich einig, dass inzwischen der Druck aus der eigenen Bevölkerung für beide Regierungen so groß sei, dass es ihnen nicht in erster Linie darum geht, einen Kompromiss zu finden, sondern ihr Gesicht zu wahren. "Beide Seiten nutzen den Streit, um politisch Kapital zu schlagen. Das darf nicht sein", sagt der Balkanexperte von Bündnis 90/Die Grünen, Manuel Sarrazin. Ein Beitritt in die EU ist für das ärmste und kleinste Land in Südosteuropa nicht nur für die wirtschaftliche Integration überlebenswichtig. Mazedonien verfügt über keine nennenswerte Industrie, ist also auf die Einfuhr von Gütern angewiesen. Die EU ist wichtigster Handelspartner. Die Arbeitslosenquote beträgt rund 32 Prozent und das Durchschnittseinkommen liegt mit 334 Euro monatlich in der untersten Skala Europas. Aber die Menschen verbinden mit einem EU-Beitritt auch die Hoffnung auf politische Anerkennung und mehr Stabilität für ihr Land. Vor allem die jungen Menschen identifizieren sich mit Europa und wollen nicht nur geografisch, sondern auch politisch dazugehören.

"Der Namensstreit ist eine rein politische Frage, die erst 1991 nach dem Auseinanderfallen von Jugoslawien aufgekommen ist", meint die Historikerin Calic. Seit Gründung der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien 1944 hieß die südlichste der fünf Teilrepubliken Mazedonien. Protest vom griechischen Nachbarn kam damals nicht, auch weil in dem Land der Zweite Weltkrieg fast direkt in einen Bürgerkrieg überging. Jugoslawien war der wichtigste Unterstützer der kommunistischen Partisanenbewegung in Griechenland.

In den kommenden Jahrzehnten war das sozialistische Jugoslawien ein willkommener Prellbock zwischen Ostblock und Westen. Der Namensstreit eskalierte erst, als die ehemalige Teilrepublik Mazedonien 1991 ihre Unabhängigkeit erklärte. Ein Passus in der Verfassung, dass die neue Republik sich als Vertreter für die Rechte des "mazedonischen Volkes" versteht, sorgte für weitere Spannungen. Auf Vermittlung der EU hat die Republik Mazedonien inzwischen offiziell erklärt, keine Gebietsansprüche gegenüber Griechenland zu haben. Auch deshalb nennt Calic das immer wieder vorgebrachte griechische Argument nach territorialen Ansprüchen vorgeschoben. Außerdem verweist sie auf die militärische Stärke Griechenlands gegenüber dem kleineren Nachbarn im Norden.

Die Ursachen für den Konflikt zwischen den beiden Nachbarstaaten gehen bis in die Antike zurück. Der Balkan sei immer eine Region von Völkerwanderungen, Assimilationen und ethnischen Überschneidungen gewesen, sagt Calic. In einer solchen Gemengelage sei ein geschichtsträchtiger Name "identitätsstiftend". "Damit sollen auch historische Ansprüche legitimiert werden", erklärt die Historikerin.

Den Namen F.Y.R.O.M. empfinden die Mazedonier als erniedrigend. Die Frage für sie ist, warum Mazedonien als einzige ehemalige jugoslawische Teilrepublik nicht seinen alten Namen behalten kann. Auch Calic sagt: "Die slawischen Mazedonier haben keinen anderen Namen für ihre Heimat. So nennen sie sich selbst." Inzwischen verwenden 121 Länder, unter ihnen die USA, Kanada und Russland, in bilateralen Beziehungen den Namen Republik Mazedonien. Am Namensstreit über die internationale Anerkennung ändert das aber nichts.

Der Politikwissenschaftler Dusan Reljic geht noch einen Schritt weiter. Wenn die Namensfrage nicht geregelt werde, "ist das Überleben des mazedonischen Staates in Frage gestellt", sagte der Balkanexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik. Mazedonien sei derzeit der problematischste Staat in Südosteuropa. Immer wieder haben blutige Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen Volksgruppen, wie zuletzt 2001 zwischen slawischen Mazedoniern und Albanern, das Land an den Rand des Zusammenbruchs geführt. Mit dem auf Vermittlung der EU geschlossenen Ohrider Rahmenabkommen wurde ein Burgfrieden erreicht. Der albanischen Minderheit wurden mehr Rechte eingeräumt, deren Umsetzung aber bis heute nicht vorangekommen ist. In dem Land bilden die slawischen Mazedonier mit 64 Prozent die größte Volksgruppe, ihnen stehen mit rund 25 Prozent die Albaner gegenüber. Türken, Roma, Serben und Bosniaken leben als kleinere Ethnien im Land.

»Antikes Erbe«

Einer Umfrage des renommierten Gallup-Institutes zufolge sind 63 Prozent der slawischen Mazedonier im Namensstreit unnachgiebig und lehnen weitere Verhandlungen mit Griechenland ab. Von den Albanern hingegen befürworten fast 80 Prozent einen Kompromiss. "Den Albanern in Mazedonien ist die Frage des Namens ziemlich gleichgültig", sagt Reljic. Für sie steht ein EU-Beitritt für die wirtschaftliche und politische Entwicklung des Landes an erster Stelle. Die Gründung eines großalbanischen Staates halten der Gallup-Umfrage zufolge hingegen etwa 50 Prozent aller Albaner in Albanien, Kosovo und Mazedonien "bald" für wahrscheinlich.

Trotz dieser Konflikte und der Wirtschaftskrise in Griechenland, die die Kompromisssuche nicht einfacher macht, sehen viele Beobachter Chancen auf eine baldige Beilegung des Namensstreits. So auch der liberale EU-Abgeordnete Jorgo Chatzimarkakis, der die Delegation des Europäischen Parlaments für die Beziehungen zu Mazedonien leitet: "Ich habe das Gefühl, dass wir dem Durchbruch bei der Lösung der Namensfrage noch nie so nahe waren", sagt er nach einer Reise nach Skopje.

Andere Experten hoffen, dass nationalistische Tendenzen in beiden Ländern zunehmend in den Hintergrund rücken. "Geschichte ist nicht dazu da, sich über Interpretationen politische Mehrheiten zu sichern", sagt der Grünen-Balkanexperte Manuel Sarrazin.