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Bulgarien und Rumänien: Harte Landung nach dynamischer…

ERWEITERUNG 2007 Kritik an den jüngsten Mitgliedstaaten - Beäugt von der EU lavieren sich die beiden Balkanstaaten durch die Krise - Angst vor der…

26.07.2010
2023-08-30T11:26:01.7200Z
4 Min

Um 12 Uhr mittags eines jeden 2. Juni stockt das öffentliche Leben in Bulgariens Städten. Sirenengeheul lässt Autofahrer und Passanten für eine Minute innehalten und des Poeten Hristo Botev gedenken, der am 2. Juni 1876 von der türkischen Besatzungsmacht hingerichtet wurde. Wenige Wochen zuvor hatten Botev und seine Freischärler mit dem Dampfer Radetzky aus dem rumänischen Exil über die Donau nach Kosloduj übergesetzt, um das bulgarische Volk von seinem fast fünfhundert Jahre währenden "Türkenjoch", wie man damals sagte, zu befreien. Neben gelegentlicher Territorialstreits um die Schwarzmeer-Region Dobrudscha zählt Botevs gescheiterter Aufstand zu den raren historischen Ereignissen, die das slawische Bulgarien und das romanische Rumänien miteinander verbinden. Über die Epochen hinweg existierten die beiden Länder recht teilnahmslos nebeneinander her, selbst der gemeinsame Beitritt zur Europäischen Union zum Januar 2007 hat daran nicht viel geändert.

Gestörte Nachbarschaftspolitik

Symptomatisch für ihre nicht allzu konstruktive Nachbarschaftspolitik steht der von ständigen Verzögerungen geprägte Bau einer zweiten Donaubrücke zwischen dem bulgarischen Vidin und dem rumänischen Kalafat, der Ende 2011 endlich fertiggestellt werden soll. "Rumäniens bester Nachbar ist das Schwarze Meer", lautet ein geflügeltes Wort nördlich der Donau.

Beim Blick von Außen sind die Gemeinsamkeiten der beiden Balkanstaaten indes fast augenfälliger als ihre Gegensätze. Erfüllten sie zum Zeitpunkt ihres EU-Beitritts auch formal die Aufnahmekriterien, so warnten kritische Stimmen in Westeuropa schon damals, sie seien politisch und wirtschaftlich nicht reif für die Mitgliedschaft in der EU. Politische Ränkespiele zwischen Präsident und Ministerpräsident in Rumänien und eine Reihe von Korruptionsskandalen in Bulgarien schienen diese Befürchtungen in den folgenden drei Jahren zu bestätigen. Beide Länder sind noch immer mit Abstand die ärmsten in der EU, ihre ineffizienten Staatsverwaltungen hemmen die jeweilige Wirtschaftsentwicklung und begünstigen korrupte Praktiken. Alle sechs Monate evaluiert die Europäische Kommission den Stand beider Länder im Bereich Inneres, zuletzt äußerte sie im März 2010 in gewohnt diplomatisch verklausulierter Sprache Kritik an unzureichenden Fortschritten bei der Bekämpfung von Korruption und organisierter Kriminalität.

Von den schädlichen Nebenwirkungen der Globalisierung und der aktuellen Wirtschaftskrise zeigen sich Bulgarien und Rumänien in ähnlicher Weise betroffen; nach einigen Jahren dynamischer Wirtschaftsentwicklung mit Wachstumsraten des Bruttoinlandsprodukts von bis zu 8 Prozent erlebten sie im letzten Jahr eine harte Landung mit schrumpfender Wirtschaftskraft in derselben Größenordnung. Massive Steuerausfälle zwangen die Minderheitenkabinette des bulgarischen Ministerpräsidenten Boiko Borissov und des rumänischen Regierungschefs Emil Boc zu unpopulären Sparmaßnahmen, um den Staatshaushalt einigermaßen im Lot zu halten. Und so sorgte die Lage trotz einiger halbwegs wirksamer Krisenmaßnahmen schon für soziale Unruhe. "Die Spannungen könnten eskalieren, Streiks der Beamten sind nicht ausgeschlossen", warnt etwa Dimiter Manolov, Vizepräsident der bulgarischen Gewerkschaft Podkrepa (Unterstützung).

Proteste in Bukarest

Auf Bukarests Straßen protestierten bereits Mitte Mai tausende Rumänen gegen die von Premier Boc angekündigten Kürzungen der Beamtengehälter um 25 und der Renten um 15 Prozent. "Rumänien erlebt die schlimmste Wirtschaftskrise der letzten sechzig Jahre", wirbt Emil Boc um Verständnis für seine Politik. Seiner Ansicht nach hat das Land jahrelang über seine Verhältnisse gelebt, waren die Lohn- und Preissteigerungen in den Aufschwungjahren bis 2008 nicht durch entsprechende Produktivitätszuwächse gedeckt.

"Senken wir unsere Ausgaben nicht, steigt das Defizit in unserem Staatshaushalt auf 9,1 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) und wir müssen uns 11 Milliarden Euro leihen, um Gehälter und Pensionen zu bezahlen", rechnet Boc den Rumänen vor. Selbst mit den geplanten Einschnitten wird sich Rumäniens Defizit noch auf 6,8 Prozent des BIP belaufen, muss sich Rumänien bei der Weltbank und anderen Finanzinstitutionen 8,4 Milliarden Euro leihen, um den Staatsbankrott abzuwenden.

Optimistischere Töne

"Bulgarien steht in Europa am besten da und braucht keine Hilfe von außen", überraschte der für originelle Äußerungen bekannte bulgarische Ministerpräsident Boiko Borissov Ende April die interessierte Öffentlichkeit. Anspielen wollte er damit auf die katastrophale Finanzkrise beim südlichen Nachbarn Griechenland und die Tatsache, dass Rumänien mehr Kredite aufnehmen musste. Tatsächlich steht Bulgarien mit einem auf 3,8 Prozent des BIP veranschlagten Haushaltsdefizit für 2010 relativ gut da - im Vergleich zu Rumänien, aber auch zu den meisten anderen EU-Staaten.

Das 1997 mit dem Internationalen Währungsfonds vereinbarte Währungsboard disziplinierte die bulgarischen Wirtschaftspolitiker in den letzten Jahren über die Parteigrenzen hinweg. Seit 1997 sorgt es dafür, dass die bulgarische Währung "Lewa" durch einen fixierten Wechselkurs zunächst an die D-Mark (im Verhältnis 1:1) und später an den Euro (1 Euro = 1,956 Lewa) gebunden wurde. Dennoch zweifelte EU-Wirtschafts- und Währungskommissar Olli Rehn Mitte Juni "ernsthafte Zweifel" an den vom bulgarischen Finanzminister Simeon Djankov vorgelegten Wirtschaftsdaten. Dieser hatte innerhalb kurzer Zeit das prognostizierte Budget-Defizit für 2010 von zunächst "fast ausbalanciert" auf 3,8 Prozent nach oben korrigiert. Argwöhnisch aufgrund des abschreckenden Beispiels Griechenland, das der Europäischen Kommission jahrelang frisierte Haushaltszahlen vorgelegt hatte, kündigte Rehn die Entsendung von Experten des europäischen Statistikinstituts Eurostat nach Sofia an. Bulgarien ist damit das erste EU-Land, dessen volkswirtschaftliche Kennziffern Eurostat überprüfen wird. In der bulgarischen Öffentlichkeit stößt diese Maßnahme kaum auf Kritik, die Bulgaren vertrauen europäischen Institutionen traditionell eher als ihren eigenen.

Orientierungslos in Sofia

In seinem Bemühen, das Haushaltsloch zu begrenzen, beschloss und verwarf das Kabinett Borissov in den letzten Monaten in schneller Folge Anti-Krisenmaßnahmen. Wirtschaftsexperten wie Georgi Angelov, Volkswirtschaftler der renommierten Open Society-Stiftung mit dem Schwerpunkt auf Osteuropa, kritisieren diese Orientierunslosigkeit und mahnen stattdessen Strukturreformen etwa zur Verschlankung des Staatsapparats, im Gesundheitswesen und beim Rentensystem an. "Wir werden auch in diesem Jahr in der Rezession bleiben", fürchtet Georgi Angelov. Er schließt auch nicht aus, dass das Land "in eine ,griechische Spirale' geraten" könnte.

Der Autor ist freier Journalist mit dem Schwerpunkt Südosteuropa. Er lebt in Bulgarien.