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Wenn der »gelbe Drache« faucht...

CHINA ...bricht in Peking der Husten aus - Sandstürme legen die Metropole lahm

09.08.2010
2023-08-30T11:26:02.7200Z
6 Min

Liu Ping ist das dritte Mal dabei. Mit ihrer Schulklasse fährt die 16-Jährige zum Guanting-Stausee, 73 Kilometer von Chinas Hauptstadt Peking entfernt. "Eigentlich ist jeder Pekinger verpflichtet, einmal im Jahr einen Baum zu pflanzen", erzählt Liu Ping. Doch viele halten sich nicht an die Verordnung, die es bereits seit Jahren gibt. Die meisten würden sie gar nicht kennen, einige kauften sich heraus. Und überprüft würde die Anweisung auch nicht. "Dafür werde ich dieses Mal mindestens zwei Dutzend Setzlinge pflanzen", sagt Liu Ping nicht ganz ohne Stolz auf ihr Umweltengagement.

Es ist dem Einsatz von Liu Pings Lehrerin zu verdanken, dass es überhaupt zu dieser Aktion kommt. Dabei dürfte das Anliegen jedem Pekinger bekannt sein - spätestens wenn jedes Jahr im Frühling die 16-Millionen-Metropole von heftigen Sandstürmen heimgesucht wird. Vom "Gelben Drachen" ist im Volksmund dann die Rede. Die Luft verfärbt sich in der gesamten Stadt, dichter Staub verstopft die Atemwege und bringt weite Teile des öffentlichen Lebens zum Erliegen. Diese Stürme sind Resultat dessen, was sich in dieser staubigen und trockenen Gegend rund um dem Guanting Stausee vor den Toren Pekings das ganze Jahr über beobachten lässt: Desertifikation - die Ausdehnung der Wüste.

Gigantische 2,6 Millionen Quadratkilometer sind in China bereits Wüste oder kurz davor, zu Wüste zu vertrocknen. Das sind 28 Prozent des chinesischen Territoriums, heißt es in einem Bericht der staatsnahen chinesischen Akademie der Wissenschaft. Die Fläche entspricht dem Siebenfachen der Bundesrepublik Deutschland. "Binnenseen trocknen aus, jahrtausendealte Oasen müssen aufgegeben werden, Brunnen und Wasseranlagen drohen zu versanden", beschreibt Guido Kuchelmeister die Situation. "Kein Land hat so heftig mit der Wüstenbildung zu kämpfen wie die Volksrepublik."

Kuchelmeister ist Berater für Ressourcenschutz in Entwicklungsländern und arbeitet bereits seit vielen Jahren in China. Für die KfW-Entwicklungsbank betreut er mehrere Projekte zur Wüstenbekämpfung. "Mehr als 400 Millionen Menschen sind mittel- oder unmittelbar gefährdet", schätzt Kuchelmeister. Betroffen sind bei weitem nicht nur die Menschen nahe den großen Wüsten im Norden und Nordwesten. Auch über die Küstenregionen fegen die Stürme und Staubmassen - bis nach Japan und zur koreanischen Halbinsel. Sie sind so kräftig, dass selbst an der Westküste der Vereinigten Staaten von Amerika Staub aus der Wüste Gobi gefunden wurde. Sandstürme hat es in Nord- und Zentralchina zwar schon im Mittelalter gegeben, doch selten so häufig wie jetzt. Ihre Zahl hat sich in den vergangenen 50 Jahren auf etwa zwei Dutzend im Jahr versechsfacht, sagt die chinesische Akademie der Wissenschaft. Sie seien unmittelbare Folge der seit 30 Jahren beschleunigten Ausbreitung der Wüsten.

Schonungsloser Umgang

Verursacht wird die Desertifikation in China durch immer längere Dürreperioden aufgrund des globalen Klimawandels und durch den jahrzehntelangen schonungslosen Umgang der Menschen mit der Natur, der in großen Teilen noch immer anhält. Sprich: Überweidungen, Abholzungen und ein rapide steigender Wasserverbrauch der wachsenden Großstädte. "Wesentliche direkte Faktoren sind der Landverbrauch, unangepasste Land- und Wassernutzung besonders in den Steppen und Wüstensteppen sowie der aktuelle Klimawandel", sagt Kuchelmeister. Ein großes Problem sei dabei die Viehwirtschaft. Die Zahl der Nutztiere hat sich in den 1990er Jahren mehr als verdoppelt. Doch anstatt auf Stallviehhaltung überzugehen, haben viele Bauern und Hirten ihre Herden weiter ins Freie gelassen. Weil Futter dort kostenlos war, wurde schonungslos überweidet. Bodenerosion und damit noch mehr Verwüstung waren die Folge. Bereits 90 Prozent des Graslands gelten als degradiert. Weitere 7,73 Millionen Hektar wertvollen Ackerlandes sind bedroht.

Dabei ist das Problem der Desertifikation der chinesischen Regierung keineswegs neu. Im Gegenteil: Galt in der Zeit unter Mao noch die Parole, die Natur habe sich dem Willen des Menschen zu beugen - was dazu führte, dass ökologische Belange überhaupt keinen Stellenwert besaßen - nahm die Regierung unter Deng Xiaoping Ende der 1970er Jahre das Wüstenproblem unmittelbar in Angriff und wechselte den Kurs. "Das Thema Umweltschutz ist in China allgegenwärtig", sagt Johannes Pflug (SPD), Vorsitzender der deutsch-chinesischen Parlamentariergruppe im Bundestag. Bereits 1978 rief die Volksrepublik das Aufforstungsprojekt "Große Grüne Mauer" ins Leben, das von Ausmaß und Umfang mit dem Namensvetter mithalten sollte. Parallel zur chinesischen Mauer begann das Land auf einer Länge von 4.500 Kilometern, einen etwa 100 Kilometer breiten Waldstreifen zu bepflanzen. Gemein ist beiden Mauern ihre Schutzfunktion. Während die Große Mauer einst die Mongolen aus dem Norden vor einer Invasion abhalten sollte, soll die Grüne Mauer heute vor Wüstenstürmen schützen. Deshalb werden Millionen von Bäumen bis zum Jahr 2050 offiziell unter dem Namen "Drei-Norden-Schutzgürtel-Programm" gepflanzt. Durch diese neuen Wälder soll der Boden fester, die Windgeschwindigkeiten reduziert und die Erosion verhindert werden. Anfangs pflanzte die staatliche Forstbehörde vor allem schnell wachsende Pappeln und Tamarisken. Inzwischen werden auch gentechnisch veränderte Baumsorten gesät, die trotz des sandigen Bodens und der Trockenheit nicht gleich eingehen.

Und tatsächlich: Das bislang wohl größte Umweltprogramm und Aufforstungsprojekt, das die Welt je gesehen hat, steht - und zeigt Wirkung. Wertvolle Kulturflächen, aber auch Großstädte wie Peking, Tianjin, Urumqi oder Lanzhou bleiben von weiteren Sandstürmen verschont. "Die Grüne Mauer ist im Großen und Ganzen ein Erfolg", sagt die Sinologin und Umweltexpertin Eva Sternfeld von der Technischen Universität Berlin, die viele Jahre in Peking gelebt und unter anderem auch das chinesische Umweltministerium beraten hat. "Auch wenn natürlich sehr viel mehr Bäume aufgeforstet wurden, als letztlich überlebt haben." Mittlerweile hat das Projekt sogar Nachahmer in Afrika gefunden. Zwischen Dakar im Westen und Dschibuti im Osten des Kontinents soll ein 7.000 Kilometer langer und 15 Kilometer breiter Waldstreifen die Sahara in ihre Grenzen weisen (siehe Seite 10).

Das chinesische Projekt zeichnet sich dadurch aus, dass die ansonsten gegenüber zivilgesellschaftlichen Initiativen nicht gerade aufgeschlossene Regierung zahlreiche Nichtregierungsorganisationen einbezogen hat. "Grundsätzlich führt die Zusammenarbeit beim Thema Desertifikation zu einer Dezentralisierung und man kann durchaus von Demokratisierungstendenzen sprechen," sagt Johannes Pflug. So wurde in der Unruheprovinz Xinjiang, im Nordwesten Chinas, wo viele chinakritische Minderheiten leben, die Initiative "Xinjiang Conservation Fund" beteiligt. Und auch Hilfe aus dem Ausland nahm die chinesische Regierung bereitwillig in Anspruch: Viele japanische Organisationen sind an der Aufforstung beteiligt. Japan ist selber daran interessiert, die großen Staub- und Sandstürme aus China einzudämmen.

Für Umweltberater Kuchelmeister ist die Große Grüne Mauer dennoch ein Auslaufmodell. "China ist längst weiter", sagt der Experte. "Im Mittelpunkt neuer Programme stehen ein totales Weideverbot, daran gekoppelt, die Bauern auf Stalltierhaltung umzustellen." Kein leichtes Unterfangen. Denn zum Teil geht es um eine Umschulung jahrhundertealter Arbeitsweisen.

Rückgang der Sandstürme

Die Zentralregierung in Peking hat in den vergangenen fünf Jahren umgerechnet rund 2,6 Milliarden Euro ausgegeben, um das bestehende Grasland zu schützen und Fortbildungen für die Bauern zu finanzieren. Und das mit merklich zügigeren Erfolgen als bei der Großen Grünen Mauer. Im chinesischen Teil der Mongolei hat sich nach nur drei Jahren des totalen Weideverbots die Vegetationsrate von 20 auf über 60 Prozent erhöht. Lokale Sandstürme sind merklich zurückgegangen.

Kirk Mildner, Leiter des KfW-Büros in Peking, führt den Erfolg der Chinesen vor allem auf drei Ursachen zurück: Erstens ist der politische Wille zur Wüstenbekämpfung auf allen Ebenen vorhanden. Zweitens hat die Zentralregierung die institutionellen und finanziellen Voraussetzungen geschaffen, diesen Willen auch tatsächlich umzusetzen. Und die Regierung hat die lokale Bevölkerung von Anfang an aktiv in den Prozess miteinbezogen. "Durch die Schaffung von wirtschaftlichen Anreizen für Privathaushalte und Kleinunternehmen wird die Nachhaltigkeit der Maßnahmen gesichert", sagt Mildner.

Insgesamt sieht der chinesische Aktionsplan zur Wüstenbekämpfung vor, die Desertifikation in diesem Jahr zu stoppen. Ab 2030 sollen sich die von der Desertifikation bedrohten Flächen Jahr für Jahr verringern, so dass bis 2050 zumindest alle menschlich verursachten Sandflächen saniert sind. "Ein ehrgeiziges Ziel", findet Umweltexpertin Eva Sternfeld. Sie glaubt nicht daran, dass sich die Verwüstung ganz aufhalten lässt: "Was an einem Ort der Wüste abgetrotzt wird, geht an anderer Stelle verloren." Das Hauptproblem sieht sie vor allem in den zu dicht besiedelten Oasen. "Im Grunde könnte sich die Natur nur regenerieren, wenn die meisten Menschen wegziehen würden", sagt Sternfeld. Die Natur solle man einfach sich selbst überlassen.

Der Autor arbeitet als freier Journalist in Peking.