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Orte der Entbehrung

LITERATUR Von der Bibel bis Karl May: Wüsten als Thema

09.08.2010
2023-08-30T11:26:02.7200Z
4 Min

Nichts hat das Bild der Europäer von Wüsten so sehr geprägt wie die Literatur - von der Bibel über Karl May bis hin zu den zeitgenössischen Autoren. Doch wie wurden die Ödnis, wie ihre Bewohner, das Wüstenleben dargestellt?

Heiß, lebensfeindlich und erbarmungslos - in der Bibel war die Wüste ein Ort des Todes, der Entbehrung, aber auch der Erkenntnis. "Durch bewusste spirituelle Erfahrungen in der Wüste - wie Schweigen oder Fasten - erfährt man, was lebensnotwendig ist", sagt der Passauer Theologe Anton Cuffari: "Die Liebe zu den falschen, äußerlichen Dingen stirbt ab. So erging es Paulus nach seinem Erlebnis in Damaskus, Jesus nach seiner Taufe, Mose und dem Volk Israel beim Auszug aus Ägypten." Im letzten Fall dient die Wüste der Erziehung eines ganzen Volkes.

Auch griechischen und römischen Kriegern stellte sich die Wüste als Ort der Bewährung dar. Geschichtsschreiber wie Herodot, Diodor oder Lucan beschrieben nicht nur entbehrungsreiche Feldzüge durch die Wüste, sondern zeigten in ihren Berichten auch den Lebensraum Nordafrika - in Lucans "Pharsalia" als übermächtige Un-Natur. Ebenso erging es den Menschen des Mittelalters. Hinter der Mittelmeerküste begann die terra incognita, in der wilde Tiere, Mörder und Diebe hausten, Stürme und Feuerregen tobten, Hunger und Durst herrschten.

Erst ab Ende des 18. Jahrhunderts änderte sich dieses Bild, als Arabien und Nordafrika von europäischen Wissenschaftlern wie Carsten Niebuhr erforscht wurden. In seiner Beschreibung von Arabien (1772) bemerkt Niebuhr: "Andere europäische Reisende wollen die Araber als Heuchler, Betrüger, Räuber gefunden haben. Ich habe aber keinen Grund, mich hierüber zu beschweren, und kann nicht aus der schlechten Aufführung einiger Personen auf die Gesinnung der ganzen Nation schließen."

Einer, der Wüstenklischees nie in Frage gestellt und sie in den Köpfen von Millionen Lesern festgesetzt hat, war Karl May. Er schrieb Abenteuerromane, die in der Wüste spielen, und hatte nie eine gesehen. Für ihn war sie Ort des Abenteuers, wo das Recht des Stärkeren galt. Ferdinand Freiligrath dichtete ähnlich volkstümlich in "Wär' ich im Bann von Mekkas Toren" (1838): "O Land der Zelte, der Geschosse! O Volk der Wüste, kühn und schlicht! / Beduin, du selbst auf deinem Rosse bist ein phantastisches Gedicht!"

In der Moderne angekommen, geht es wie bei Thomas Lawrence (als "Lawrence von Arabien" unsterblich geworden) wieder realistisch zu. In "Die sieben Säulen der Weisheit" (1926) beschreibt er das qualvolle Leben "in der nackten Wüste unter einem mitleidlosen Himmel. Tagsüber brachte die brennende Sonne unser Blut in Gärung und der peitschende Wind verwirrte unsere Sinne. Des Nachts durchnässte uns der Tau, und das Schweigen unzähliger Sterne ließ uns erschauernd unsere Winzigkeit fühlen."

Die moderne Philosophie wandte sich eher der Wirkung der Wüste zu. In Werken wie "Also sprach Zarathustra" (1883-1885) stellte Friedrich Nietzsche das dumpfe, dekadente Denken in Europa dem klaren Denken in der Askese der Wüste entgegen.

Um die Wüste in uns allen ging es in Antoine de Saint-Exupérys bekanntestem Werk, in dem "Der Kleine Prinz" (1943) in so charmanten und einfachen Worten spricht: "Man ist ein bisschen einsam in der Wüste...". Die Antwort der Schlange: "Man ist auch bei den Menschen einsam."

In der afrikanischen Literatur stellt sich die Wüste meist als Strafe dar. "Da ist mein Leben bedroht, da will ich schnell wieder hinaus", erklärt Rita Wöbcke vom Asien-Afrika-Institut der Universität Hamburg diese Sichtweise: "In der Wüste Schönheit zu sehen, ist ein Luxus, den sich nur Romantiker oder Fotografen leisten." Im Roman "Why are we so blest?" des Ghanaers Ayi Kwei Arman ereignen sich Folterszenen in der Wüste. Und auch die Südafrikaner Alex La Guma und Athol Fugard beschreiben, wie Schwarze im Zuge der Apartheid in die Wüste abgeschoben wurden.

Wüste - das ist die Negation des Lebensnotwendigen. Der aktuelle Roman "Hydromania" des israelischen Schriftstellers Assaf Gavron spielt im Israel des Jahres 2067: China, Japan und die Ukraine kontrollieren Wasservorräte und Regenfälle. Das Trinkwasser ist knapp, die Menschen haben Angst vorm Schwitzen, Trinken ist Luxus. "9,3 Liter. Das ist alles, was ihr geblieben ist. Sie trinkt langsam, Schluck für Schluck. Es gelingt ihr, jedes Mal mit weniger Schmerz zu schlucken, indem sie die Flüssigkeit im Mundraum behält, alle Ecken und die Zwischenräume der Zähne befeuchtet, bevor sie das dünne Rinnsaal die Kehle hinunterlaufen lässt."

So schwankt die Literatur zwischen einer Wüste der Entbehrung und einer Wüste als Chance zur Reflexion. Lediglich der Tuareg-Schriftsteller Ibrahim al-Koni gewinnt dem Leben in der Wüste rein Positives ab. Ein Satz aus seinem wunderbaren Werk macht sein Bild der Sahara deutlich: "Die Wüste ist das Erwachen der Seele."

Der Autor arbeitet als freier Journalist in Passau.