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Platz für die Kleinen

KINDERBETREUUNG Die Koalition ist trotz neuer Finanzdebatte zuversichtlich, das Ausbauziel zu erreichen

15.11.2010
2023-08-30T11:26:09.7200Z
4 Min

Der junge Mann klingt verbittert: "Wir haben unseren Sohn schon Monate vor der Geburt auf die Wartelisten von zahlreichen Kitas setzen lassen", klagt der Verlagsmanager aus Stuttgart: "Vergebens. Wir suchen heute noch einen Platz." Mittlerweile ist das Kind fast zwei Jahr alt. Seine Mutter, eine Journalistin, würde gerne wieder in Teilzeit arbeiten gehen, doch daran ist bislang wegen der schwierigen Betreuungssituation nicht zu denken.

Das Paar befindet sich in einer Situation, die es nach dem Willen des Gesetzgebers in naher Zukunft nicht mehr geben soll: Ab 2013 haben Eltern einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder unter drei Jahren. Bund, Länder und Kommunen hatten sich 2007 im Rahmen der Umsetzung des Kinderförderungsgesetzes darauf geeinigt, im Bundesdurchschnitt für 35 Prozent der unter Dreijährigen Angebote in Kindertagesstätten und bei Tagesmüttern zu schaffen. Grundlage für diesen Schwellenwert war ein erwarteter Bedarf von 32 Prozent in den westlichen und 50 Prozent in den ostdeutschen Flächenländern.

Skepsis bei der Opposition

Doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg: Laut Statistischem Bundesamt waren im März 2010 zwar rund 472.000 der Kleinkinder in Kitas oder bei Tageseltern - 55.000 mehr als im Jahr zuvor. Ihr Anteil an allen Kindern dieser Altersgruppe belief sich auf 23,1 Prozent, 2,7 Prozent mehr als im Vorjahr. Aber noch fehlen 220.000 Plätze.

Bundesfamilienministerin Kristina Schröder (CDU) ist zuversichtlich, die angepeilte Marke zu erreichen. "Fast überall geht der Ausbau der Kinderbetreuung jetzt deutlich schneller voran als früher", verkündete sie nach der Veröffentlichung der März-Zahlen. Man sei aber noch lange nicht am Ziel: "Wenn wir wie geplant bis 2013 eine bedarfsgerechte Kinderbetreuung erreichen wollen, muss die Dynamik aufrecht erhalten werden."

Die FDP-Familienexpertin Miriam Gruß teilt die Zuversicht der Ministerin. "Die Befragung der Jugendämter hat ergeben, dass die heutigen Planungen zum Ausbau der Betreuung zur Einhaltung des 35-Prozent-Zieles im Jahr 2013 führen werden", gab Gruß am vergangenen Donnerstag im Bundestag bei der Beratung des Berichts der Bundesregierung über den Stand des Ausbaus der Kindertagesbetreuung (17/2621) zu Protokoll.

Skeptischer zeigt sich die Opposition. So hat etwa die Grünen-Familienexpertin Katja Dörner Zweifel, ob die Finanzierung des Ausbaus gesichert ist. Zwar hatten sich Bund, Länder und Kommunen 2007 darauf verständigt, die Kosten von zwölf Milliarden Euro gleichmäßig zu teilen. Mitte Oktober dieses Jahres löste jedoch ein Urteil des Verfassungsgerichtshofs in Münster eine neue Debatte um die Finanzierung aus. Die Richter hatten entschieden, dass die Kommunen in Nordrhein-Westfalen nicht für den Ausbau der Krippenplätze aufkommen müssen und das Land die Mehrkosten tragen muss. Das Urteil könnte richtungsweisend auch für andere Bundesländer sein. Bundesweit sehen sich zahlreiche klamme Kommunen außer Stande, zusätzliche Kosten zu tragen. "Die Bundesregierung darf die Hilferufe der Kommunen nicht länger ignorieren", mahnt die SPD-Familienexpertin Caren Marks.

Schröder hatte dagegen nach dem Urteil die Rufe nach einer stärkeren Beteiligung des Bundes zurückgewiesen und die Länder aufgefordert, ihren Verpflichtungen nachzukommen. Es handele sich "um eine zentrale gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die wir nur gemeinsam stemmen können".

Die Opposition hat auch Zweifel, ob die Regierung den Bedarf richtig einschätzt. Die Annahme, "dass der Bedarf mehr als 35 Prozent beträgt und zudem über 2013 hinaus noch steigen wird, ist sehr berechtigt", sagt die Grünen-Abgeordnete Dörner. Sie rechnet eher mit 40 Prozent. Ähnliche Befürchtungen hatte bereits der Deutsche Städtetag geäußert. Für den familienpolitischen Sprecher der Linksfraktion, Jörn Wunderlich, bleibt es "noch immer fraglich, ob in den westdeutschen Ländern der tatsächliche Bedarf gedeckt werden kann".

Die westdeutschen Bundesländer hinken beim Ausbau dem Osten stark hinterher. Dort ist der Anteil der Betreuungsplätze mit rund 48 Prozent fast dreimal so hoch wie im Westen. In Sachsen-Anhalt liegt die Betreuungsquote nach aktuellen Angaben des Statistischen Bundesamts bei 56 Prozent, Brandenburg erreicht 51 und Mecklenburg-Vorpommern 50,8 Prozent. In Ostdeutschland existierten freilich schon früher deutlich mehr Betreuungsangebote für Kleinkinder. Dennoch ist dort das Ausbautempo höher, wie der Regierungsbericht feststellt.

Im Westen sieht es dagegen vergleichsweise mager aus. Unter den Flächenländern erreicht Rheinland-Pfalz mit 20,3 Prozent die höchste Quote. In Nordrhein-Westfalen haben Eltern die geringsten Aussichten auf einen Kita-Platz für ihren Nachwuchs - hier beträgt die Quote 14 Prozent. Immerhin: Im Vorjahr lag sie noch bei 11,6 Prozent.

Bayern möchte Musterschüler unter den westdeutschen Ländern werden: Dort soll die 35-Prozent-Quote bereits 2012 erreicht werden. Derzeit liegt sie noch bei 18,6 Prozent. "Anders als andere Länder schöpft der Freistaat die Mittel des Bundes voll aus und legt noch Geld drauf, um ohne Deckelung fördern zu können", sagt die CSU-Familienexpertin Dorothee Bär. Kein anderes Bundesland habe den Kommunen bisher so viele Mittel bewilligt wie Bayern. "Andere Bundesländer sollten sich ein Beispiel nehmen." Wenn sie denn - in finanzieller Hinsicht - können.