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Alles andere als lahm

USA Die Demokraten haben bei der Kongresswahl im November zwar ihre Mehrheit verloren. Doch die Zeit bis zur Neukonstituierung am 3. Januar haben sie ausgiebig…

03.01.2011
2023-08-30T12:16:34.7200Z
5 Min

Nach der herben Niederlage der US-Demokraten bei der Kongresswahl im November schien das Jahr für die Partei und ihren Präsidenten gelaufen zu sein. Die Republikaner hatten die Mehrheit im Repräsentantenhaus errungen und ihre Position im Senat ausgebaut. Die bisherigen Sitzinhaber würden im Dezember als "lahme Ente" zurückkehren - und die Tage absitzen, bis am 5. Januar der neu gewählte Kongress zusammentritt. Nach Thanksgiving, dem Erntedankfest Ende November, fing die Ente an zu watscheln. Doch schon bald rieben sich die ersten Beobachter die Augen: Sie watschelte ganz schön schnell.

In rascher Abfolge verabschiedete der tot geglaubte 111. Kongress in seinen letzten Wochen ein Gesetz nach dem anderen. Die Abgeordneten und Senatoren einigten sich auf einen parteiübergreifenden Steuerkompromiss und auf eine Verlängerung der Bezugsdauer für das Arbeitslosengeld, führten strengere Regeln für die Lebensmittelsicherheit ein und schafften eine Regel ab, wonach Homosexuelle nicht offen im Militär dienen durften. Ein Placet für das Budget für das seit Oktober laufende Fiskaljahr 2011 konnte Präsident Barack Obama den Republikanern zwar nicht abringen, immerhin jedoch ein Überbrückungsgesetz, mit dem die Finanzierung der Regierungsgeschäfte bis März gesichert ist. Und am Schluss brachte Obama sogar noch sein außenpolitisches Lieblingsprojekt zum Abschluss: die Ratifizierung des neuen Start-Abkommens über die bilaterale nukleare Abrüstung mit Russland durch den für internationale Verträge zuständigen Senat.

Nicht jedem gefiel die enorme Produktivität so kurz vor Toresschluss. Die demokratischen Kongressführer sollten in den letzten Wochen den Ball flach halten, empörten sich Republikaner in beiden Kammern. Für große Projekte fehle ihnen das Mandat des Wählers. Als Senats-Mehrheitsführer Harry Reid drohte, die Sitzungsperiode über die Weihnachtsfeiertage auszudehnen, falls der Start-Vertrag bis dahin nicht in trockenen Tüchern sei, wurde er aus dem anderen Lager als der "Grinch" beschimpft - als das grimmige grüne Monster, das in einem berühmten Kinderbuch Weihnachten stehlen wollte.

Kein Leerlauf

Tatsächlich hatten schon viele versucht, der lahmen Ente das Watscheln zu verbieten. 1932 verlegte der 20. Verfassungszusatz den Beginn einer neuen Legislativperiode von März auf Januar vor, wie übrigens auch die Amtseinführung eines neu gewählten Präsidenten. Damit sollte der bisher übliche monatelange Leerlauf nach einer Wahl vermieden werden. Die Revolution des Transportwesens durch den modernen Flugreiseverkehr hatten die Verfasser damals nicht vorhergesehen. Heute können Abgeordnete am Heiligabend abstimmen und am ersten Weihnachtsfeiertag mit ihren Lieben um den Tannenbaum sitzen. So war es auch letztes Jahr, als der Senat am 24. Dezember seinen Entwurf der Gesundheitsreform passierte.

Abgesehen von vereinzeltem Grummeln hat die Opposition sich jedoch mit Kritik an der Ente zurück gehalten. Das mag zum einen daran liegen, dass in der jüngeren Vergangenheit beide Parteien von den Dezemberwochen ohne Wählermandat schamlos Gebrauch gemacht haben. So waren die Republikaner nach ihrer Wahlniederlage 1998 unverdrossen ins Kapitol zurückgekehrt, um ein Amtsenthebungsverfahren gegen den damaligen demokratischen Präsidenten Bill Clinton anzuleiern.

Demokraten viel zugemutet

Doch anders als damals kann niemand ernsthaft behaupten, Obama habe seine Gegner in den letzten Tagen der alten Mehrheitsverhältnisse überrollt. Im Streit um die Verlängerung der von seinem Vorgänger George W. Bush beschlossenen Steuersenkungen, die ohne Handeln des jetzigen Kongresses am 1. Januar ausgelaufen wären, gab das Weiße Haus dem Wunsch der Republikaner nach, nicht nur die Mittelklasse, sondern auch Spitzenverdiener weiter zu entlasten. Am 15. Dezember stimmte der Senat mit 81 Stimmen zu 19 Stimmen für eine auf zwei Jahre befristete Verlängerung der Steuersenkungen. Zwei Tage später besiegelte das Repräsentantenhaus den ersten echten parteiübergreifenden Kompromiss der Obama-Regierung mit den Stimmen von 139 Demokraten und 138 Republikanern.

Für das Image des Präsidenten war der 858 Milliarden Dollar teure Deal wie ein Facelifting. "Ist Barack Obama das neue Comeback Kid?", fragte die Zeitung "USA Today" - so hatten die Medien Bill Clinton genannt, als der nach dem Verlust der Zwischenwahlen 1996 zwei Jahre später die Wiederwahl zum Präsidenten mit Leichtigkeit gewann. In der "Washington Post" beantwortete der konservative Kolumnist Charles Krauthammer die Frage mit Ja. "Obama hat seine Rückkehr als relevanter Politiker aus dünner Luft geformt."

Dabei hat er vor allem den eigenen Demokraten viel zugemutet. Seine Partei musste nicht nur die Steuergeschenke für Reiche hinnehmen, sondern dabei noch die Kröte schlucken, dass die Erbschaftssteuerpflicht künftig erst ab einer Hinterlassenschaft von fünf Millionen Dollar pro Person einsetzt. Allerdings handelte Obama auch einige Zugeständnisse für seine Klientel heraus - darunter die Verlängerung der Arbeitslosenbezüge um weitere 13 Monate.

"Es gibt wahrscheinlich niemanden hier, der dieses Gesetz mag", klagte der demokratische Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus, Steny Hoyer. "Die Frage ist: Ist es besser als nichts zu tun?" Die bittere Wahrheit für die Demokraten ist, dass sie unter den neuen Mehrheitsverhältnissen nicht einmal auf diesen Minimalkompromiss hätten hoffen können.

Komfortable Mehrheit

Eine weit geringere Chance hätte nach Jahresende auch die "Don't ask, don't tell"-Regel gehabt, die es Schwulen und Lesben im US-Militär bisher verbot, ihre sexuelle Ausrichtung öffentlich zu machen. Die Entscheidung fand zwar in diesen Tagen viele republikanische Befürworter und wurde mit einer komfortablen parteiübergreifenden Mehrheit getroffen: 255 stimmten im Haus dafür, 65 im Senat. Dennoch wäre es ab Januar eng geworden. Denn unter den neu gewählten republikanischen Abgeordneten im Repräsentantenhaus sind viele erzkonservativ - nicht nur in fiskalischen, sondern auch in sozialen Fragen.

Prominente Fürsprecher

Die Krönung der lahmen Entenzeit ist für Obama die Ratifizierung des Start-Vertrages, ohne die er den Neustart in den Beziehungen mit Russland hätte begraben können. In dieses Projekt hat der US-Präsident viel politisches Kapital investiert. Er hat prominente Fürsprecher wie den Ex-Präsidenten George W. Bush gewonnen und sich des Rückhalts anderer westlicher Regierungschefs versichert. In den Tagen vor der Abstimmung warben Obama, aber auch sein Vize Joe Biden sowie Außenministerin Hillary Clinton und Verteidigungsminister Robert Gates telefonisch um die Stimmen der Zögerer, die fürchten, die Einigung über die beidseitige Reduzierung der aktiven nuklearen Sprengköpfe sei zu Russlands Vorteil und gefährde die nationale Sicherheit der USA. Einer nach dem anderen wurden sie bearbeitet, bis die nötige Zweidrittel-Mehrheit stand - und sich die Senatoren in diesem Jahr ihre Weihnachtsferien schon am 22. Dezember verdient hatten.