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Kurz notiert

Gegen eine Schulreform

Eingemischt hat sie sich schon als 15-Jährige. Damals machte sie mobil gegen eine Gruppe Rechtsextremer, die in ihrem Heimatort Bensheim Kinoplakate des Sexualaufklärers Oswald Kolle mit Hakenkreuzen beschmierten.

Jetzt, fast 40 Jahre später, sind es nicht mehr prüde Rechte, gegen die sich Benita von Brackel-Schmidt auflehnt. Im Fokus ihrer Kritik steht eine Partei der bürgerlichen Mitte: die FDP. Doch der Stein des Anstoßes ist für die 53-Jährige nicht weniger skandalös. Es geht um die Schulreform in Schleswig-Holstein. Besser gesagt: um die Reform der Reform. 2007 hat die schwarz-rote Landesregierung das bestehende Schulsystem durch die Einführung der Gemeinschaftsschule revolutioniert. Drei Jahre später regiert die CDU mit neuem Koalitionspartner. Und der will gerade dem Herzstück der Reform an den Kragen, so sehen es zumindest die Gegner. Nach dem Gesetzentwurf sollen die 134 Gemeinschaftsschulen im Lande selbst entscheiden, ob und wie lange sie das gemeinsame Lernen weiterführen. Und auch die Gymnasien können wieder zwischen G8 und G9 wählen. "Die Politik verwässert das Profil der Gemeinschaftsschule und erschwert ihnen die Einrichtung der gymnasialen Oberstufe", sagt Benita von Brackel-Schmidt. Ziel sei ein Reformstopp für alle Schulformen bis 2013. Erst dann könne man sehen, wo es hakt.

Druckreif spricht sie, wenn es um die Bildungspolitik im Lande geht. Kein Wunder. Seit sie und ihre Mitstreiter der Initiative "Schulfrieden Schleswig-Holstein!" im Oktober der Landesregierung den Kampf angesagt haben, telefoniert sie fast täglich mit Journalisten, sammelt Unterschriften auf der Straße und beantwortet E-Mails. Über 50 bekomme sie jeden Tag.

Doch was bewegt eine Mutter von fünf Kindern, sich neben ihrem Job als Ernährungsberaterin mehr als 20 Stunden in der Woche politisch zu engagieren? "Ich sehe immer häufiger, dass Politiker die Interessen ihrer Partei über den Willen der Bürger stellen. Dagegen muss man sich doch wehren." In eine Partei wolle sie nicht eintreten: Sie habe Angst, sich "für Macht zu korrumpieren". Auch auf Demonstrationen sei sie selten gegangen. "Es bringt nichts, nur dagegen zu sein", findet sie. Man müsse konkret werden, sich mit den politischen Gegnern auseinandersetzen. "Das macht die neue Generation der Protestler besser als die 68er". Der Protest 2010 sei pragmatischer, kompromissfähig und weniger radikal.

Deshalb engagiert sie sich seit elf Jahren im Landeselternbeirat von Schleswig-Holstein, seit über 13 Jahren im Elternbeirat der Fridtjof-Nansen-Schule in Flensburg. Das Projekt der Gemeinschaftsschulen liegt ihr besonders am Herzen. Schließlich haben alle ihre fünf Kinder eine solche besucht. Drei haben dort bereits das Abi gemacht, obwohl sie Legastheniker sind, mittlerweile studieren sie. Vom gemeinsamen Lernen hätten aber alle profitiert. Nicht nur die Leistungsschwächeren. "Meine jüngste Tochter ist zwar von den Noten überdurchschnittlich, aber ihr würde etwas fehlen, wenn sie nur unter Hochbegabten wäre."

20.000 Unterschriften will die Elterninitiative bis Ende des Jahres sammeln. Dann entscheidet der Landtagspräsident, ob sich das Kieler Parlament mit den Bedenken der Reformgegner nochmal auseinandersetzt. "Wenn das nichts hilft, wird es weitergehen", sagt von Brackel-Schmidt kämpferisch. "Notfalls bis zum Volksentscheid". Damit hat schon mal das Bürgertum eine Schulreform zu Fall gebracht, nur eine Autostunde südlich von Kiel.

Gegen Stuttgart 21

Ein einziges Mal hat Gangolf Stocker eine der Stuttgarter Montagsdemos verpasst: Da machte er einige Tage Urlaub im Schwarzwald und konnte nicht kommen. Bei allen anderen Protestversammlungen gegen den Bau des neuen, unterirdischen Bahnhofes in Stuttgart war er dabei - von Nieselregen oder Schnee lässt sich der 66-Jährige nicht abschrecken.

Durch sein Engagement gegen "Stuttgart 21" hat es Gangolf Stocker zu einer gewissen Prominenz gebracht: In überrregionalen Zeitungen erschienen Porträts des unbeugsamen Bahnhofs-Gegners, die Financial Times Deutschland ernannte ihn zum "härtesten Gegner für Stuttgart 21".

Am Anfang waren es nur eine Handvoll Aktivisten, die gegen das geplante Bahnhofsprojekt kämpften. "Damals waren noch zwei Drittel der Bevölkerung für Stuttgart 21", erzählt Stocker. Er sichtlich zufrieden, dass es inzwischen weit weniger Unterstützer gibt. Dass Gangolf Stocker zu einem prominenten Gesicht der Proteste gegen Stuttgart 21 geworden ist, entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Schließlich gilt die Bewegung gegen den Bahnhofsneubau als Prototyp eines neuen, bürgerlichen Protestes, getragen von rechtschaffenen Angehörigen der Mittelschicht. Gangolf Stocker hingegen war jahrelang Mitglied der Kommunistischen Partei, arbeitete für die PDS und ist Stadtrat des linken Bündnisses "Stuttgart Ökologisch Sozial", das mit der Linkspartei zusammenarbeitet.

Mitte der 90er Jahre sei es ein "linker Haufen" gewesen, der sich im Protest gegen den Umbau zusammengefunden habe, erzählt Stocker: "Fünf Milliarden Mark - so hieß es damals - um einen Bahnhof zu vergraben, das haben wir nicht eingesehen". Er habe schon früh erkannt, dass man auch das "bürgerliche und das großbürgerliche Lager" in Stuttgart einbeziehen müsse, wenn man was ausrichten wolle, erzählt Stocker. Obwohl der Sohn eines Hilfsarbeiters mit solchen Leuten sonst wenig zu tun habe.

Während bei den Montagsdemos viele dabei sind, die vorher noch keinmal auf einer Demonstration waren, geriet Stocker schon jung in Konflikt mit den Autoritäten: Er verweigerte Bundeswehr und Zivildienst, saß zwei Wochen in Haft, wurde verurteilt und floh nach Frankreich, wo er sich im Verband der Kriegsdienstverweigerer engagierte.

Dann kehrte er zurück, gründete eine Familie, brauchte ein Auskommen und arbeitete 25 Jahre lang als Sachbearbeiter bei einem Stuttgarter Verlag. Ein Jahr nach Berufsantritt gründete er mit anderen einen Betriebsrat, an dessen Spitze er 13 Jahre lang stand.

Heute ist er hauptberuflicher Protestierer und genießt die neue Aufmerksamkeit: Nach den Montagsdemos klingelt alle fünf Minuten sein Handy, Journalisten erkundigen sich nach den Teilnehmerzahlen der gerade zu Ende gegangenen Versammlung.

Vielen gilt Stocker als Vertreter radikaler Ansichten mit dubioser politischer Vergangenheit. Doch den Schlichtungsgesprächen zu Stuttgart 21 schloss sich Stocker an - und sah sich daraufhin Protesten von noch radikaleren Gegnern ausgesetzt. Auch ist er für die Einhaltung von Vereinbarungen: Als Demonstranten die Straße nach einer Montagsdemo nicht zur ausgemachten Zeit räumen, ärgert ihn das sichtlich: "Das schafft uns keine Freunde."

Den Schlichterspruch Heiner Geißlers hat Stocker kritisiert, die Montagsdemos organisiert er weiterhin: Sie sind sein Baby, er hat sie entstehen und wachsen sehen. Und als ein Protest-Blasorchester nach der Demonstration noch durch die Bahnhofshalle zieht, blickt er den Jugendlichen nach wie ein stolzer Vater.

Gegen eine neue Moselbrücke

Katharina Prüm wollte das, wofür sie heute kämpft, nicht immer haben. Wann sie denn das Weingut ihrer Eltern an der Mittelmosel übernehme? Noch vor wenigen Jahren war sie empört, wenn jemand diese Frage stellte. Sie hat Jura studiert, war in Amerika, in der Welt. Hat promoviert, hatte alle Möglichkeiten. Und ist 2006 an die Mosel zurückgekehrt. 31 Jahre jung, Winzerin. "Eine Lebensentscheidung" nennt sie das. Jetzt will sie das, wofür sie sich entschieden hat, auch bewahren.

Auf riesigen Stelzen führt eine massive Autobahnbrücke über das grüne Moseltal hinweg. Ein grässlicher Anblick für Katharina Prüm, eine schlanke Frau mit Pferdeschwanz und wachen Augen. Das Bild ist nur eine Fotomontage. Bislang. Denn die Bauarbeiten an der neuen Bundesstraße 50, die nicht nur die Mosel, sondern auch das Tal überqueren soll, haben bereits begonnen. 160 Meter hoch und neun Kilometer lang soll die Brücke werden, vierspurig, mit 16 Meter breiten Pfeilern. Der Hochmoselübergang will Eifel und Hunsrück verbinden, ein Entwurf aus den 60er Jahren. Die Trassen sollen oberhalb der besten Weinlagen an der Mosel verlaufen, für die Deutschland in der ganzen Welt bekannt ist.

Die junge Winzerin nennt die Brücke ein "Monster", das die über 2.000 Jahre alte Kulturlandschaft verschandele und Steuergelder verschlinge. Derzeit ist von 330 Millionen Euro Kosten die Rede, noch Mitte der 80er rechnete man mit 70 Millionen Mark.

Katharina Prüm ist entschlossen zu kämpfen, für Tradition und Kulturgut, gegen die Brücke und bauwütige Politiker. Auch wenn sie es nicht als gerechten Kampf sieht. "Ich denke oft an dieses Bild vom Pekinger Tian'anmen-Platz, Mann gegen Panzer, so kommt mir das hier vor. Wir wurden nicht aufgeklärt, einfach platt gemacht."

Prüm ist eine der jüngsten der Bürgerbewegung, war zu Beginn der Pläne noch gar nicht geboren. Schon Anfang der 80er Jahre gingen Bürger und Winzer auf die Barrikaden, "viele haben bereits resigniert". Jahrzehntelang wurde das Projekt wegen Geldmangel aufgeschoben, mit dem Konjunkturpaket scheint es plötzlich finanzierbar.

Katharina Prüm nippt an ihrem Riesling, hält das Weißweinglas in drei spitzen Fingern. Sie hat das alles verfolgt, ist aktiv in Bürgerinitiative und Zusammenschluss der Winzer. Sie ist zierlich, aber nicht kleinlaut. Bürgerlich, nicht linksradikal. Überhaupt nicht radikal. Ein "Totschlagargument" nennt sie den Vorwurf der Politiker, dass durch die Proteste in Deutschland kaum noch etwas verändert werden könne. "Wir sind keine hysterischen Fortschrittsverhinderer, sondern durchaus interessiert an Entwicklung." Die junge Winzerin kennt die vorgebrachten Argumente für die Brücke und weist sie zurück. Fernstraßenverbindung? "Überholt. Seit den 70ern ist die Autobahn 61 der kürzere Weg von Rotterdam nach Frankfurt." Anbindung zum Flughafen Hahn? "Der wird immer unbedeutender." Touristenattraktion? "Wohl kaum. Touristen sind eher am unverwüsteten Moseltal interessiert."

Rechtlich scheinen alle Wege ausgeschöpft, sämtlich Klagen wurden abgewiesen. Doch Katharina Prüm hofft, die Politik noch wachzurütteln. "Für Vernunft kann es nie zu spät sein." Sie blickt aus dem Fenster auf die verschneite Mosellandschaft. Jetzt, im Winter, ruhen die Reben, im Keller gären die Weine. Die Bauprojekte laufen weiter.

Ute Vogt, SPD

Ob die Auseinandersetzung um Stuttgart 21 anders verlaufen wäre, wenn Ute Vogt heute Ministerpräsidentin von Baden-Württemberg wäre? Wer weiß. Immerhin stand die 46-Jährige, die 2001 und 2006 als Spitzenkandidatin der SPD in Baden-Württemberg erst Erwin Teufel und dann Günther Oettinger (beide CDU) herausforderte, für einen neuen Politikstil. Als volksnah, pragmatisch, diskursiv wurde die damalige Hoffnungsträgerin der SPD beschrieben. "Die Bevölkerung muss als Verbündeter gewonnen werden, das Parlament ist es nicht allein": So gab die "Welt" ihr Credo im Juni 2000 wider.

Vieles ist anders gekommen, als es sich Ute Vogt damals erhofft hat: Die Juristin, der viele in der SPD zugetraut hatten, das Stammland der CDU im Südwesten der Republik für die Sozialdemokraten zu erobern, zog sich nach der deutlichen Wahlniederlage gegen Oettinger 2006 zunächst vom Fraktions-, 2009 auch vom Parteivorsitz der baden-württembergischen SPD zurück, heute sitzt die ehemalige parlamentarische Staatsekretärin von Ex-Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) als einfache Abgeordnete im Bundestag. Stuttgart 21 aber lässt Vogt auch in Berlin nicht los. Denn der Hauptbahnhof der Landeshauptstadt, um den seit vielen Monaten so heftig gerungen wird, liegt mitten in ihrem Wahlkreis.

Kaum eine Fahrt mit der Straßenbahn daheim, erzählt sie, während der sie nicht auf Stuttgart 21 angesprochen wird. "Hunderte Zuschriften habe ich erhalten", erzählt Vogt, die nicht so recht zu wissen scheint, ob sie sich über dieses massive öffentliche Interesse am Bahnhofsumbau freuen oder ob sie sich darüber ärgern soll, dass er seit Monaten alle anderen politischen Themen in den Hintergrund drängt. Politisch Kapital aus dem Unmut weiter Teile der Bevölkerung über Stuttgart 21 zu schlagen ist für Vogt ohnehin schwierig. Immerhin hat sie sich in ihrer Zeit als Oppositionsführerin im Stuttgarter Landtag stets für das milliardenschwere Infrastrukturprojekt ausgesprochen - und tut es heute noch. Als Vogt im September 2010 gemeinsam mit führenden Genossen für eine landesweite Volksabstimmung über Stuttgart 21 plädierte, wurde ihr daher von vielen eine politische Kehrtwende vorgehalten.

Nachvollziehen kann sie diesen Vorwurf nicht. "Das Ergebnis einer solchen Abstimmung könnte das Projekt, das ich nach wie vor für richtig halte, ja auch bestätigen", erläutert sie. "Doch ich glaube, nur indem wir die Bevölkerung über Stuttgart 21 entscheiden lassen, können wir den Frieden in der Stadt wiederherstellen."

Ihrem Credo jedenfalls, dem gemäß sich politische Entscheidungen gegen den Willen der Bürgerinnen und Bürger nicht durchsetzen lassen, ist Ute Vogt treu geblieben.

Cornelia Conrad, FDP

Dem Protest der Bürger entkommt Cornelia Conrad, Landtagsabgeordnete der FDP in Schleswig-Holstein, dieser Tage nicht. Trotz Eiseskälte stand bis vor kurzem eine Mahnwache vor dem Kieler Landtag. Mit Plakaten protestierten Mütter und Väter für eine Erneuerung des Gastschulabkommens zwischen Hamburg und Schleswig-Holstein. Auch wenn sich die Länder inzwischen geeinigt haben - zurücklehnen kann sich Cornelia Conrad, bildungspolitische Sprecherin der FDP-Landtagsfraktion, nicht. Gegen die geplante Schulreform der Liberalen hat sich unlängst eine Bürgerinitiative gegründet. Erst 2007 hatte die schwarz-rote Landesregierung das Bildungssytem durch die Einführung der Gemeinschaftsschule revolutioniert. Nach den Plänen von Conrads Fraktion soll diesen Schulen nun freigestellt werden, ob sie wieder nach Leistung trennen. Die Gründer von "Schulfrieden Schleswig-Holstein!" wollen dieses Vorhaben notfalls mit einem Volksentscheid stoppen. Cornelia Conrad versteht die Aufregung nicht: "Prinzipiell kann jede Schule ihr Konzept behalten, wenn die Akteure vor Ort dies wünschen." Aber niemand solle zur Gemeinschaftsschule gezwungen werden. Dass die Initiative die Mehrheit der Menschen im Land repräsentiert, glaubt sie nicht. "Wir sind immerhin von fast 15 Prozent der Wähler auch wegen unseres Bildungskonzepts in den Landtag gewählt worden."

Widerstand gegen ein parlamentarisch beschlossenes Projekt ist der Realschullehrerin aber nicht fremd. Schließlich kandidierte sie 2009 aus Protest gegen die Schulreform des schwarz-roten Bündnisses für den Landtag. "Ich habe in der Praxis selbst erlebt, dass gemeinsames Lernen in einer heterogenen Schülerschaft nicht überall zu realisieren ist", sagt sie. Damals entschied sie sich "mit einem lachenden und einem weinenden Auge", ihre zehnte Klasse abzugeben, um gegen diese "Hau-Ruck-Reform" vorzugehen.

Die Politik reizte sie schon immer. Seit sieben Jahren engagiert sich die gebürtige Kielerin in ihrer Heimatgemeinde Molfsee als Gemeindevertreterin und Vorsitzende im Kultur- und Sozialausschuss, seit 2008 auch als Abgeordnete im Kreistag Rendsburg-Eckernförde. "In der Kommunalpolitik kann man einfach sehr schnell etwas bewegen", so die 53-jährige Mutter von zwei Söhnen. Das ist auf Landesebene schwieriger, muss sie nun feststellen.

Sieht sie eine Gefahr für die Partei der bürgerlichen Mitte, wenn sich genau diese Klientel jetzt gegen Projekte der FDP richtet? "Wir haben bisher kaum Austritte diesbezüglich zu verzeichnen", sagt sie. Grundsätzlich sei Protest ein legitimes demokratisches Mittel. Aber er müsse fair bleiben. Dann habe sie für alle ein offenes Ohr. Ob sie sich auch mit der Bürgerinitiative an einen Tisch setzen würde? "Na klar. Noch hat mich aber niemand gefragt."

Kornelia Wehlan, Die Linke

Seit Jahren wird am Flughafen Berlin-Schönefeld gebaut. Der Airport soll Berlin Brandenburg International (BBI) heißen und wird auf 1.470 Hektar Gelände erweitert. Das entspricht 2000 Fußballfeldern. Investoren träumen von einem Verkehrs-Drehkreuz. Doch für die Anwohner sind das keine schönen Aussichten.

Die Landtagsabgeordnete und Verkehrsexpertin der Fraktion Die Linke, Kornelia Wehlan, hat ein Problem. Auf der einen Seite ist man sich landesweit und parteiübergreifend einig, dass der neue Flughafen einen großen Gewinn für die Hauptstadtregion bedeuten kann. Schon vor Aufnahme des Flugbetriebes sind die positiven Auswirkungen unübersehbar. Unternehmen erkundigen sich in der Region nach Standorten, neue Arbeitsplätze entstehen, Familien aus allen Teilen Deutschlands siedeln sich an, moderne Wohngebiete werden geplant und gebaut. Auf der anderen Seite schäumen die Anwohner - und potientiellen Wähler - vor Wut. Sie fürchten den Fluglärm sowie eine Wertminderung ihrer Grundstücke.

Die rot-rote Landesregierung Brandenburgs steht zwischenden Fronten. Trotz ihres vormaligen Widerstandes gegen den Standort muss die Linkspartei den Regierungskurs halten und versuchen, Frieden zu schaffen.

Streit gibt es vor allem über die Planung der Flugrouten. Im September veröffentlichte die Deutsche Flugsicherung neue Abflugrouten. Nach den "alten" Unterlagen sollten die Flugzeuge in gerader Linie starten. Nach den neuen Planungen fliegen einige Maschinen nach dem Abflug einen kleinen Bogen.

Die nordwestliche Route würde so entlang der Berliner Stadtgrenze an mehreren Wohngebieten entlangführen. Viele Familien haben sich aber hier ihre Häuser gekauft. Die Flugrouten stoßen auf erbitterten Widerstand der Anwohner, die sich bisher ungestört glaubten. Sie haben sich in 27 Bürgerinitiativen zusammengeschlossen und protestieren lautstark.

"Es ist für uns keine einfache Situation", sagt Wehlan. "Wir sind nicht verfahrensbevollmächtigt, haben aber als Land eine große Verantwortung für die Öffentlichkeit und die Kommunikation." Sie kritisiert, dass die damaligen Entscheidungsträger für den geplanten Großflughafen einen "denkbar ungünstigen Standort" ausgewählt hätten und ist der Ansicht, dass der ganze Ärger damit bereits programmiert gewesen sei. Besonders Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) kritisiert die brandenburgische Politikerin der Linkspartei scharf. Dieser könne doch die Flugsicherung auffordern, sich zu den einzelnen Varianten zu äußern, fordert Wehlan. Beim Minister vermisst sie Verständnis für die Sorgen der Anwohner: Ramsauer solle sich "einfach mal anzuhören, wie Bürgerinnen und Bürger, die betroffen sind, darüber reden", findet die Abgeordnete.

Brigitte Pothmer,

Ein beachtlicher Korso tuckerte im August durch die niedersächsischen Dörfer bei Hildesheim: Mit Sonnenblumen geschmückte Trecker und Bläserkorps sorgten für Aufruhr in der ländlichen Gegend. Die Wut der Bürger richtet sich gegen den geplanten Bau von Hochspannungsleitungen. Eine Verschandelung der Natur, heißt es, Bürgerinitiativen fordern Erdverkabelung statt "Megamasten". Mehrere tausend Menschen haben sich dem Protest angeschlossen, auch die grüne Bundestagsabgeordnete Brigitte Pothmer, 55, mischt mit.

Es ist keine ganz leichte Aufgabe für eine Grüne. Seit Jahren wartet die Partei auf den Netzausbau, damit Wind- und Sonnenenergie besser genutzt und Atomkraftwerke endlich abgeschaltet werden können. Der Ausbau der Trassen ist die entscheidende Voraussetzung für die Ökowende. Schon als Umweltminister versuchte Jürgen Trittin einen Ausbau der Stromnetze zu erreichen - damals scheiterte das Gesetz am Widerstand von Union und FDP.

Brigitte Pothmer versucht den Kompromiss. In Luttrum und Hohenassel beispielsweise, zwei vom Trassenausbau betroffene Ortschaften nahe Hildesheim: Wenn Demonstrationen anstehen, postiert Pothmer sich vor Ort, schwingt sich auch mal auf den Trecker. Es ist ihr Wahlkreis, sie will das Feld nicht den Konservativen überlassen. "Die Megamasten können wir nicht gegen den Willen der Bürger bauen, wir müssen gemeinsam an einem Kompromiss arbeiten", sagt Pothmer. Sie führt Projekte aus der Schweiz an, wo Probleme bei Infrastrukturprojekten mit allen Beteiligten gelöst wurden. Die Chance gebe es in Hildesheim auch: Die die Menschen hätten längst verstanden, dass grüne Energie den Ausbau der Netze voraussetzt.

Pothmer will Akzeptanz schaffen. Beschleunigen tut das den Prozess kaum. Auch Pothmer sieht die Gefahr eines Stillstandes: Mehrere hundert Einsprüche sind gegen die Masten eingegangen, über drei Jahre dauert der Protest inzwischen. Ausgerechnet der Netzausbau, so warnte die Deutsche Energie-Agentur (dena) jüngst, könnte zum Bremsklotz für die Ökowende werden. Bis 2020 würden 3.600 Kilometer neue Stromübertragungsnetze benötigt, gebaut wurden bislang aber weniger als 100. Erdkabel, der erwünschte Kompromiss, könnte den Strom verteuern, laut dena würden sie das Neunfache kosten. Zahlen, die Pothmer für zu hoch hält. Berechnungen der Bürgerinitiativen würden zeigen, dass es auch billiger gehe. Am liebsten wäre Pothmer allerdings, wenn der Zwang zur Erdverkabelung gesetzlich festgeschrieben würde.

In den einzelnen Bundesländern müssen unterschiedlich viele Bürger ein Anliegen unterstützen, damit ein Volksbegehren zustande kommt und sich der Landtag mit dem Thema beschäftigen muss. Beim Volksentscheid stimmen die Bürger selbst über ein Anliegen ab. Damit ein Vorschlag angenommen wird, muss er mehr Ja- als Nein-Stimmen erhalten, außerdem muss die Wahlbeteiligung hoch genug sein. Das "Quorum" gibt an, wie viel Prozent der Wahlberechtigten mit Ja stimmen müssen, damit der Entscheid gültig ist. Eine Übersicht:

Baden-Württemberg

Für ein Volksbegehren muss ein Sechstel der wahlberechtigten Bürger innerhalb von 14 Tagen auf dem Amt ihre Unterschrift abgeben. Bei gesetzgebenden Verfahren muss ein Drittel der Berechtigten zustimmen, bei verfassungsändernden die Hälfte.

Bayern

Einem Volksbegehren müssen zehn Prozent der Stimmberechtigten innerhalb von 14 Tagen zustimmen. Bei einem Volksentscheid über Gesetzesänderungen genügt die Mehrheit der abgegeben Stimmen, bei Verfassungsänderungen müssen es mindestens 25 Prozent der Stimmberechtigten sein.

Berlin/Brandenburg

In Berlin kommt ein Volksbegehren zustande, wenn mindestens sieben Prozent (bei Verfassungsänderungen 25 Prozent) der Wahlberechtigten innerhalb von vier Monaten zustimmen. Beim Volksentscheid gilt ein Gesetz als angenommen, wenn die Mehrheit der Teilnehmer und mindestens ein Viertel der Wahlberechtigten zustimmen. In Brandenburg beträgt das Quorum rund vier Prozent. Volksentscheide zur Gesetzgebung müssen ein Quorum von 25 Prozent erreichen (Verfassungsänderungen 50 Prozent).

Bremen

Das Quorum für Volksbegehren zu Gesetzesänderungen liegt bei fünf, für Verfassungsänderungen bei 20 Prozent. Die Frist beträgt drei Monate. Das Quorum eines Volksentscheides ist identisch mit Berlin.

Hamburg

Mit einem Fünf-Prozent-Quorum und freier Sammlung in 21 Tagen sind die Hürden für Volksbegehren in Hamburg niedrig. Ein Volksentscheid ist erfolgreich, wenn er die Mehrheit der abgegebenen gültigen Stimmen und mindestens eines Fünftels der Wahlberechtigten erhalten hat (bei Verfassungsänderungen: mindestens zwei Drittel der abgegebenen Stimmen und die Hälfte der Wahlberechtigten).

Hessen/Saarland

In diesen beiden Ländern sind verfassungsändernde Volksentscheide nicht möglich. Eine Entscheidung über Gesetzesänderungen muss im Saarland von der Hälfte aller Wahlberechtigten unterzeichnet werden. In Hessen hingegen existiert kein Quorum. Für den Erfolg eines Volksbegehrens müssen 20 Prozent der Stimmberechtigten ihre Unterschrift innerhalb von 14 Tagen abgeben.

Mecklenburg-Vorpommern

Die Unterschriftensammlung für Volksbegehren unterliegen keiner zeitlichen Befristung. Das Quorum liegt bei 8,5 Prozent. Volksentscheide analog zu Berlin.

Niedersachsen

Zehn Prozent der Niedersachsen müssen einem Volksbegehren innerhalb einer sechsmonatigen Unterschriftensammlung zustimmen. Gesetzgebende Volksentscheide erfordern ein Quorum von 25 Prozent, verfassungsändernde 50 Prozent.

Nordrhein-Westfalen

Innerhalb von zwei Monaten müssen acht Prozent der Wahlberechtigten einem Volksbegehren zustimmen. Ein Volksentscheid ist erfolgreich bei einem 15-Prozent-Quorum, ein verfassungsändernder analog zu Berlin.

Rheinland-Pfalz

Ein Volksbegehren bedarf einer Zustimmung von einem Zehntel der Wahlberechtigten in zwei Monaten. An Volksentscheiden müssen sich mindestens 25 Prozent der Wahlberechtigten beteiligen (Gesetzesänderung), Verfassungsänderung analog zu Berlin.

Sachsen

Volksentscheide zu Gesetzesänderung erfordern kein Quorum, zur Verfassung 50 Prozent. Volksbegehren müssen in acht Monaten zwölf Prozent erreichen.

Sachsen-Anhalt/ Schleswig-Holstein

Sechs Monate stehen zur Unterschriftensammlung zur Verfügung. In Sachsen-Anhalt müssen elf Prozent, in Schleswig-Holstein fünf Prozent Quorum erreicht werden. Volksentscheide analog zu Berlin.

Thüringen

Zehn Prozent bei freier Sammlung in vier Monaten, acht bei amtlicher in zwei Monaten - diese Wahl steht bei Volksbegehren frei. Für Volksentscheide müssen 20 Prozent der Wähler mobilisiert werden (Verfassungsänderungen: 40 Prozent).