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Söhnke Callsen
Kurz notiert

Gegen eine Schulreform

Eingemischt hat sie sich schon als 15-Jährige. Damals machte sie mobil gegen eine Gruppe Rechtsextremer, die in ihrem Heimatort Bensheim Kinoplakate des Sexualaufklärers Oswald Kolle mit Hakenkreuzen beschmierten.

Jetzt, fast 40 Jahre später, sind es nicht mehr prüde Rechte, gegen die sich Benita von Brackel-Schmidt auflehnt. Im Fokus ihrer Kritik steht eine Partei der bürgerlichen Mitte: die FDP. Doch der Stein des Anstoßes ist für die 53-Jährige nicht weniger skandalös. Es geht um die Schulreform in Schleswig-Holstein. Besser gesagt: um die Reform der Reform. 2007 hat die schwarz-rote Landesregierung das bestehende Schulsystem durch die Einführung der Gemeinschaftsschule revolutioniert. Drei Jahre später regiert die CDU mit neuem Koalitionspartner. Und der will gerade dem Herzstück der Reform an den Kragen, so sehen es zumindest die Gegner. Nach dem Gesetzentwurf sollen die 134 Gemeinschaftsschulen im Lande selbst entscheiden, ob und wie lange sie das gemeinsame Lernen weiterführen. Und auch die Gymnasien können wieder zwischen G8 und G9 wählen. "Die Politik verwässert das Profil der Gemeinschaftsschule und erschwert ihnen die Einrichtung der gymnasialen Oberstufe", sagt Benita von Brackel-Schmidt. Ziel sei ein Reformstopp für alle Schulformen bis 2013. Erst dann könne man sehen, wo es hakt.

Druckreif spricht sie, wenn es um die Bildungspolitik im Lande geht. Kein Wunder. Seit sie und ihre Mitstreiter der Initiative "Schulfrieden Schleswig-Holstein!" im Oktober der Landesregierung den Kampf angesagt haben, telefoniert sie fast täglich mit Journalisten, sammelt Unterschriften auf der Straße und beantwortet E-Mails. Über 50 bekomme sie jeden Tag.

Doch was bewegt eine Mutter von fünf Kindern, sich neben ihrem Job als Ernährungsberaterin mehr als 20 Stunden in der Woche politisch zu engagieren? "Ich sehe immer häufiger, dass Politiker die Interessen ihrer Partei über den Willen der Bürger stellen. Dagegen muss man sich doch wehren." In eine Partei wolle sie nicht eintreten: Sie habe Angst, sich "für Macht zu korrumpieren". Auch auf Demonstrationen sei sie selten gegangen. "Es bringt nichts, nur dagegen zu sein", findet sie. Man müsse konkret werden, sich mit den politischen Gegnern auseinandersetzen. "Das macht die neue Generation der Protestler besser als die 68er". Der Protest 2010 sei pragmatischer, kompromissfähig und weniger radikal.

Deshalb engagiert sie sich seit elf Jahren im Landeselternbeirat von Schleswig-Holstein, seit über 13 Jahren im Elternbeirat der Fridtjof-Nansen-Schule in Flensburg. Das Projekt der Gemeinschaftsschulen liegt ihr besonders am Herzen. Schließlich haben alle ihre fünf Kinder eine solche besucht. Drei haben dort bereits das Abi gemacht, obwohl sie Legastheniker sind, mittlerweile studieren sie. Vom gemeinsamen Lernen hätten aber alle profitiert. Nicht nur die Leistungsschwächeren. "Meine jüngste Tochter ist zwar von den Noten überdurchschnittlich, aber ihr würde etwas fehlen, wenn sie nur unter Hochbegabten wäre."

20.000 Unterschriften will die Elterninitiative bis Ende des Jahres sammeln. Dann entscheidet der Landtagspräsident, ob sich das Kieler Parlament mit den Bedenken der Reformgegner nochmal auseinandersetzt. "Wenn das nichts hilft, wird es weitergehen", sagt von Brackel-Schmidt kämpferisch. "Notfalls bis zum Volksentscheid". Damit hat schon mal das Bürgertum eine Schulreform zu Fall gebracht, nur eine Autostunde südlich von Kiel.

Aus Politik und Zeitgeschichte

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