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Pendler, Ehegatten und Millionäre

FINANZEN Die Fraktionen verfolgen in der Steuerpolitik sehr unterschiedliche Zielsetzungen - Koalition will Vereinfachungen - Opposition sucht Einnahmequellen

17.01.2011
2023-08-30T12:16:35.7200Z
5 Min

Für die Opposition war das Urteil schnell gefällt: Das seien "Mondzahlen" drin, spottete der SPD-Finanzexperte Joachim Poß über die Steuerpläne der christlich-liberalen Koalition für 2011. Union und FDP hatten Schätzungen genannt, wonach ihre Planungen zur Steuervereinfachung Unternehmen und Bürger um bis zu 4,5 Milliarden Euro entlasten könnten. Der Betrag käme bei Realisierung des Gesetzesvorhabens in erster Linie durch Einsparungen bei bisherigen Bürokratiekosten für die Wirtschaft zustande. Die Bürger selbst dürften nur minimale Entlastungen erfahren.

Allerdings hat Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) auch keine Steuerreform im Sinn, sondern tatsächlich nur minimale Erhöhungen von Freibeträgen und eine Reduzierung von Nachweispflichten für Bürger und Unternehmen. Die Frage, wann es zu einer größeren Steuerentlastung kommt, bleibt in der Koalition weiter umstritten. Die FDP fordert eine größere Tarifentlastung noch in dieser Legislaturperiode, und der CSU schwebt für 2013 eine Entlastung mit einem Volumen von 5,5 Milliarden Euro vor. Schäuble lehnt dies strikt ab. Schließlich muss er trotz einer sich erholenden Konjunktur und damit wachsender Steuereinnahmen die Schuldenbremse und die Maastricht-Kriterien für die Euro-Währung im Auge behalten.

Selbst an der eher geringen Erhöhung des Arbeitnehmerpauschbetrages in Schäubles Steuervereinfachungsgesetz scheiden sich bereits die Geister in der Koalition: Während Schäuble die Erhöhung dieses Freibetrages von 920 auf 1.000 Euro zum 1. Januar 2012 plant, drängen FDP und CSU darauf, die Senkung rückwirkend zum 1. Januar 2011 einzuführen, was technisch möglich wäre. Aus der Perspektive des Staatshaushaltes geht es ohnehin nicht um besonders viel Geld: 300 Millionen Euro Steuerausfälle kostet die Erhöhung des Arbeitnehmerpauschbetrages die Staatskassen.

»Ein Glühwein«

Beim Bürger kommt nicht besonders viel davon an. Nach einer Übersicht des Neuen Verbandes der Lohnsteuerhilfevereine (NVL) profitiert etwa die Hälfte der Arbeitnehmer überhaupt nicht von der Steuerentlastung, weil ihre Werbungskosten (meistens Fahrtkosten) den Pauschbetrag übersteigen und sie diese höheren Kosten dem Finanzamt direkt nachweisen. Für die anderen Arbeitnehmer ergebe sich eine Entlastung um allenfalls drei Euro im Monat. Andere Berechnungen kommen auf fünf Euro. Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin spottete, die "bahnbrechenden Maßnahmen" würden den Durchschnittshaushalt gerade mal um 60 Euro im Jahr entlasten. Dies reiche noch nicht einmal, um die gestiegenen Kassenbeiträge auszugleichen. Der Deutsche Gewerkschaftsbund sprach von "Klein-Klein". Die Pauschale werde "um einen Glühwein" erhöht.

Kindergeld

Die weiteren Maßnahmen des Steuervereinfachungspakets belasten die Staatskasse entweder geringer oder gar nicht. So ist in dem noch nicht in den Bundestag eingebrachten Entwurf vorgesehen, die Regelungen für das Kindergeld und die Kinderfreibeträge zu vereinfachen. Bisher gestaltetet sich die Gewährung von Kindergeld und -freibeträgen bei volljährigen Kindern in Schul- oder Berufsausbildung aufwändig. Eltern müssen sowohl gegenüber Familienkassen als auch gegenüber dem Finanzamt detaillierte Erklärungen über eventuelle eigene Einkünfte der Kinder abgeben. Auf diese Einkommensüberprüfung der Kinder soll in Zukunft verzichtet werden. Da dadurch mehr Eltern Anspruch auf Kindergeld und -freibeträge haben, gibt es Steuerausfälle, die auf 200 Millionen Euro geschätzt werden.

Auch bei der Anerkennung von Kinderbetreuungskosten sind Änderungen vorgesehen. So soll nicht mehr unterschieden werden, ob die Betreuungskosten beruflich oder privat veranlasst sind. Dadurch können auch die Steuerformulare vereinfacht werden. Da auch in diesem Fall mehr Menschen von der Absetzbarkeit der Kosten profitieren werden, wird mit Steuerausfällen in Höhe von 60 Millionen Euro gerechnet.

Wer abwechselnd mit öffentlichen Verkehrsmitteln und mit dem Auto zur Arbeit fährt, muss bisher dem Finanzamt detaillierte Berechnungen zur Höhe seiner Werbungskosten vorlegen. Das Verfahren soll durch den Entfall der täglichen Nachweispflichten vereinfacht werden.

Kapitaleinkünfte

Bei der Besteuerung von Kapitaleinkünften soll es zu einer weiteren Vereinfachung kommen. Bisher müssen Kapitaleinkünfte wie Zinsen und Dividenden nicht mehr angegeben werden, wenn die Abgeltungsteuer direkt abgezogen wurde. Dies galt nicht, wenn außergewöhnliche Belastungen oder Spenden beim Finanzamt geltend gemacht wurden. Künftig müssen Kapitaleinkünfte überhaupt nicht mehr angegeben werden, wenn die Abgeltungsteuer bezahlt wurde. "Der Verzicht auf diese Erklärungspflichten unterstreicht die bürokratiereduzierende Wirkung der Abgeltungsteuer", schreibt das Finanzministerium.

Zu den weiteren Vereinfachungsschritten gehört, dass "nicht unternehmerisch tätige Bürger" in Zukunft nur noch alle zwei Jahre eine Steuererklärung abgeben müssen. Die bürokratiereduzierende Wirkung dürfte eher gering sein, da die meisten Arbeitnehmer Erstattungen erhalten, die sie dem Staat nicht längere Zeit leihen wollen. Auch das Ministerium räumt ein, es gehe hier um Personen mit über die Jahre im Wesentlichen gleich bleibenden Einkünften. Weitere Vereinfachungen betreffen unter anderem Vermietung, Forstwirtschaft, Betriebsaufgaben und die elektronische Kommunikation mit dem Finanzamt.

Ehegattensplitting

Die Opposition zieht mit größeren Projekten in das neue parlamentarische Arbeitsjahr. So will sich die SPD mit dem steuerlichen Splittingvorteil für Ehegatten auseinandersetzen. Im Entwurf eines Fortschrittsprogramms der Partei wird dieser Vorteil für Eheleute als "nicht mehr zeitgemäß" bezeichnet. Beim Splitting wird das Einkommen beider Eheleute zusammengerechnet. Dann wird der Betrag halbiert, und die Steuer wird von der Steuertabelle abgelesen. Anschließend wird die Steuer verdoppelt. Durch die linear-progressive Tarifkurve kann dies zu einer erheblichen Steuerersparnis führen. Der Splittingvorteil ist am größten, wenn nur ein Ehepartner Einkünfte hat, weil sich der andere zum Beispiel um die Kindererziehung kümmert. Keinen Splittingvorteil haben Eheleute mit gleich hohen Einkünften. Die Bundesregierung hatte die Abschaffung des Splittings noch in einer Sitzung des Finanzausschusses am 6. Oktober 2010 mit dem Hinweis abgelehnt, das Splitting solle eine Erleichterung für die Entscheidung von Eheleuten für mehr Kinder sein.

Die Koalition stürzte sich sofort auf die SPD-Forderung. Das Splitting sei "keine beliebig gestaltbare Sondervergünstigung, sondern steuerrechtlicher Ausdruck des besonderen Schutzes, den Ehe und Familie in unserem Grundgesetz genießen", warnte die familienpolitische Sprecherin der Unionsfraktion, Dorothee Bär. Der finanzpolitische Sprecher der FDP-Fraktion, Volker Wissing meinte, die SPD befinde sich "im Steuererhöhungsrausch".

Millionäre im Blick

Die Grünen favorisieren eine Vermögensabgabe. Danach sollen Millionäre über einen Zeitraum von zehn Jahren mit insgesamt 100 Milliarden Euro belastet werden. Mit den Mehreinnahmen sollen Staatsschulden reduziert werden. Zahlen sollen diejenigen, die ein Vermögen von mehr als einer Million Euro besitzen. Für jedes Kind ist ein Freibetrag von 250.000 Euro vorgesehen. Der Steuersatz soll 1,5 Prozent betragen. In einem Papier der Grünen wird gefordert, in einer solidarischen Gesellschaft müssten "starke Schultern mehr tragen als schwache".

Die Linksfraktion will die Vermögensteuer als "Millionärsteuer" wieder einführen. Oberhalb eines Freibetrages von einer Million Euro soll sie fünf Prozent betragen. Erwartet wird ein jährliches Aufkommen von 80 Milliarden Euro. Die Linken-Finanzexpertin Barbara Höll nannte den Antrag ihrer Fraktion eine "wirkliche Alternative zur Politik des sinnlosen Schuldenmachens der Bundesregierung".