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Kurt rezensiert : Angelesen

24.01.2011
2023-08-30T12:16:35.7200Z
3 Min

Zu Recht wird der Erinnerungsband von Claude Lanzmann in Frankreich als Buch des Jahres gefeiert. Dabei ist die Biografie mehr als "nur" ein literarisches Ereignis: es ist ist ein Dokument der europäischen Zeitgeschichte des 20. Jahrhunderts. Der Autor wurde nicht primär durch sein Privatleben berühmt - die Liebesbeziehung mit Simone de Beauvoir oder die Freundschaft mit Jean-Paul Sartre -, sondern durch seinen epochalen Film "Shoah". Die Idee zum Film, gesteht der Autor, hatte ein befreundeter israelischer Diplomat. Im Kern müsse es darum gehen, nicht einen Film über die Shoah zu drehen, sondern einen Film, der die Shoah ist. Schließlich gebe es bislang keinen Film über den Holocaust aus Sicht der Juden.

Als Kind jüdischer Eltern überlebte Lanzmann die Nazibesatzung und schloss sich noch als Schüler der Résistance an. Später engagierte er sich in der Studentenbewegung von 1968 und kämpfte gegen die Todesstrafe. Lanzmann öffnet ein weiteres Fenster: Der Leser taucht ein in die Welt vergessener Diskussionen, wie die Rechtfertigung des palästinensischen Terrorismus durch Sartre.

Claude Lanzmann:

Der patagonische Hase. Erinnerungen.

Rowohlt Verlag, Hamburg 2010; 682 S. 24,95 €

In ihrer bemerkenswerten Studie analysiert die Politikwissenschaftlerin Katja Leikert die US-Sicherheitspolitik gegenüber Iran und Nordkorea. Die Autorin kann nachweisen, dass es der jeweils amtierenden Exekutive

allein durch ihre alarmistische Rhetorik gegenüber den beiden sogenannten "Schurkenstaaten" gelang, die sicherheitspolitische Lage als besonders bedrohlich erscheinen zu lassen. Gleichzeitig unterließ es die Regierung allerdings, eine stringente Verbindung zwischen ihrer aggressiven Rhetorik einerseits und ihrer politischen Strategie andererseits herzustellen. So blieb es der amerikanischen Öffentlichkeit letzlich verborgen, warum die Administrationen von Präsident Bill Clinton und George W. Bush gegenüber Iran eine Eindämmungspolitik be- trieben, während sie gegenüber Nordkorea auf Verhandlungen setzten. Leikert kommt zu dem Ergebnis, die beiden Präsidenten hätten durch ihre beinharte Rhetorik ihren sicherheitspolitischen Kurs innenpolitisch durchsetzen wollen.

Besonders spannend ist ihre Darstellung der Arbeit der israelnahen Lobbyisten, die die Iranpolitik der USA bestimmen.

Katja Leikert:

Zwischen Eindämmung und Diplomatie.

Nomos Verlag, Baden-Baden 2010; 285 S., 54 €

Tamim Ansarys hat eine Mission - er möchte den Westen aufklären und die "wahre Geschichte" erzählen: Während seiner Tätigkeit in einem Verlag habe er festgestellt, dass die amerikanischen Schulbücher kaum Informationen über islamische Geschichte enthielten. Dies müsse korrigiert werden. Ansary ist zwar kein Historiker, aber nach ihrem Vorbild wollte er "das Rohmaterial der Geschichte auswerten". Konkret ging es ihm darum, die Geschichte der islamischen Länder von den Anfängen des Islams bis zum "Triumph der weltlichen Modernisierer" und der "islamische Reaktion" nachzuerzählen. Herausgekommen ist allerdings ein oberflächliches Sammelsurium, das er aus einigen sehr guten, aber auch schlechten Büchern zusammengeschrieben hat.

Die Hauptthesen Tamim Ansarys über die westliche Unterdrückung der islamischen Welt und die vom Westen verdrängte Geschichte der Muslime ist eine Litanei, die bei selbsterklärten "anti-imperialistischen Autoren" immer wieder auftaucht. Die Konflikte in Iran und Irak, in Tschetschenien und in Kaschmir interpretiert der Autor ausschließlich als einen "heftigen" Kampf gegen die "endgültige Auslöschung" des islamischen Universums. Auch für die verfahrene Situation in Afghanistan macht er auschließlich die USA verantwortlich.

Tamim Ansary:

Die unbekannte Mitte der Welt. Globalgeschichte aus islamischer Sicht.

Campus Verlag. Frankfurt/M. 2010; 367 S. 24,90 €