Piwik Webtracking Image

Der Zar der Veränderung

BIOGRAFIE Am 2. März wird Michail Gorbatschow 80 Jahre alt. Ein Porträt von György Dalos

14.02.2011
2023-08-30T12:16:37.7200Z
3 Min

Schon damals ging es um Afghanistan. Und die Direktive klang ähnlich wie heute: "In zwei Jahren müssen wir uns dort davon machen, müssen jährlich 50 Prozent der Streitkräfte abziehen. Wir müssen die soziale Basis des Regimes erweitern und die reale Verteidigung der politischen Kräfte in der Führung sichern. Sie sollen selbst in ihrem eigenen Kessel kochen mit ihrem orientalischen Pluralismus!" Michail Gorbatschow, seit 1985 Generalsekretär der Kommunistischen Partei der Sowjetunion und damit de facto Staatschef, war stinksauer: Der Apparat sabotierte lange Zeit seinen Befehl, aus Afghanistan abzuziehen. Erst nach zehnjähriger Besatzung verließ die Supermacht 1989 das Land am Hindukusch - 14.000 sowjetische Soldaten waren fern der Heimat gefallen.

Mit dem Abzug aus Afghanistan begann Gorbatschow, die Sowjetunion von ihren zahlreichen Altlasten zu befreien: Rüstungsindustrie und Armee fraßen bis zu 40 Prozent des Haushalts, während die Goldreserven wie Eis in der Sonne schmolzen. Als Bezahlung für ihre Weizenlieferungen, mit denen das Riesenreich ernährt werden musste, akzeptierten die kapitalistischen Länder nur noch das kostbare Edelmetall. Längst hatten der fallende Ölpreis und die kostspielige Unterstützung der Satellitenstaaten die Sowjetunion an den Rand des Staatsbankrotts getrieben. Gorbatschow stand mit dem Rücken zur Wand, als er die Perestrojka-Revolution initiierte.

Zu Beginn seiner Gorbatschow-Biografie unterzieht György Dalos, der aus Ungarn stammende Wahl-Berliner, die bisher veröffentlichten Lebensbeschreibungen einer kritischen Bewertung und räumt mit einigen Legenden auf. Die Vergleiche, die er zwischen Gorbatschow und seinen Nachfolgern Putin und Medwedew zieht, zeigen, dass die Probleme langfristiger Natur sind: zum Beispiel die Abhängigkeit des Landes vom Ölpreis als einziger relevanten Devisenquelle und der allgegenwärtige Alkoholismus. Wie bereits in der Regierungszeit Gorbatschows werden auch im heutigen Russland immer noch jährlich bis zu 27.000 Menschen Opfer ihres übermäßigen Alkoholkonsums.

Der Autor lässt seine Leser nicht nur an den Interna des Moskauer Politbüros teilhaben. Hinzukommen Berichte, die die Endzeit-Stimmung und die Grabenkriege mit Boris Jelzin lebendig werden lassen. Der Richtungsstreit in der sowjetischen Elite, der am Ende die Legitimationskrise der KPdSU offenbarte und schließlich zum Zerfall des kommunistischen Imperiums führte, runden das Bild ab. Der Leser erfährt eindrucksvoll, wie es angesichts der wirtschaftlich und militärisch maroden Supermacht zu Gorbatschows Perestrojka und zur Friedenspolitik kam. Unmissverständlich macht Dalos klar, dass es nicht Gorbatschow war, der die UdSSR zugrunde richtete. Tatsächlich glaubte der Generalsekretär an den Sozialismus und suchte das Imperium durch Reformen zu retten. Vielmehr führte das sozialistische Regierungssystem mit seiner Planwirtschaft selbst den ressourcenreichsten Staat der Erde nach 70 Jahren an den Rand des Zusammenbruchs.

Über den Charakter Gorbatschows, dessen wankelmütige Politik ihn am Ende das Präsidentenamt kostete, hatte bereits sein Berater Alexander Jakowlew intime Details veröffentlicht. "Gorbatschow unterlag nicht selten und leicht fremdem Einfluss", berichtet er. Er habe "eine schlechte Menschenkenntnis" besessen und sei gegen Ende seiner Macht ein "einsamer Mensch" gewesen. "Alle seine Worte und Taten nach dem Dezember 1991 bezeugen, dass er sich damit abquälte, sich selbst zu verteidigen, zu rechtfertigen und sein Gesicht zu wahren."

Laune der Geschichte

Der Totengräber der Sowjetunion war jedoch Boris Jelzin, der im Dezember 1991 Gorbatschow und Jakowlew anlässlich seiner Machtübernahme einlud. Nach dem Essen trank auch der Abstinenzler Gorbatschow "ein paar Gläschen". Danach musste er einen Erholungsraum aufsuchen. Als Jakowlew das Zimmer betrat, lag Gorbatschow "auf der Couch, in den Augen standen Tränen. ‚Da hast du es, Sascha, so ist es', sagte er. Ein Mensch, der noch gestern der Zar der grundlegenden Veränderungen in der Welt und in seinem Land war und damit auf das Schicksal von Milliarden Menschen einwirkte, war heute das kraftlose Opfer einer Laune der Geschichte". Jakowlew war zutiefst davon überzeugt, dass Gorbatschow das "Allerbeste für sein Land wollte, aber er konnte das Erdachte nicht zu Ende führen".

Es passt, dass ausgerechnet György Dalos eine Biografie zum 80. Geburtstag Gorbatschows am 2. März veröffentlichte. Vom Autor liegen bereits hervorragende Bücher über die Entwicklung in Osteuropa vor, die auf einem gründlichen Studium der Originalquellen und scharfsinnigen Analysen basieren. Allein deshalb ist das Buch lesenswert, auch wenn es keinen wissenschaftlichen Neuigkeitswert hat: Dem Autor gelingt eine Würdigung des Lebenswerkes des ersten und letzten sowjetischen Präsidenten, dessen Politik nicht nur das Schicksal der Menschen in der Sowjetunion und in Osteuropa veränderte, sondern der entscheidenden Einfluss nahm auf den Fortgang des Weltgeschehens.

György Dalos:

Gorbatschow. Mensch und Macht. Eine Biografie.

Verlag C.H. Beck, München 2010; 288 S., 19,95 €