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Nigerias Traumfabrik

VIDEO-INDUSTRIE In Nollywood werden mehr Filme gedreht als in Hollywood

07.03.2011
2023-08-30T12:16:39.7200Z
3 Min

Nigeria ist mit 140 Millionen Menschen das bevölkerungsreichste Land Afrikas. Laut einer Antwort der damaligen schwarz-roten Bundesregierung (16/7672) auf eine Kleine Anfrage der FDP-Fraktion (16/7553) sieht Deutschland die Schwerpunkte der bilateralen Zusammenarbeit insbesondere bei der Stromerzeugung und -verteilung und Fragen des Klima- und Umweltschutzes. Nigeria liefert hauptsächlich Erdöl und Lebensmittel, doch bald könnten es auch Filme sein. Im Frühjahr 2010 fand in Berlin die Uraufführung des Filmes "The Champion Sportsman" statt. Der Nigerianer Okoro gerät darin mit gefälschten Papieren in Not. Ihm droht die Abschiebung, doch das Blatt wendet sich. Sein illegal gekaufter Pass gehörte einem Topsportler, der im Fernsehen auftreten soll. Leider ist Okoro unsportlich…

Phänomen Nollywood

Mit dieser ersten deutsch-nigerianischen Koproduktion kam das erstaunlichste Phänomen der heutigen Filmwelt in der Bundesrepublik an: Nollywood. In Nigeria entstehen jedes Jahr doppelt so viel Filme wie in den USA und fast so viele Streifen wie in Indien. Es ist ein Entwicklungsland, das in zwölf Monaten 900 abendfüllende Filme produziert. Die Inder drehen 1100, die Amerikaner "nur" 450, Deutschland kommt lediglich auf 150. Mit dem "Sportsman" erfuhr man auch die Details der eigentümlichen afrikanischen Produktionsweise. Dazu gehört ein Star und viel Improvisationstalent. Was in Deutschland amateurhaft wirkt, hat in Nigeria System. "Wenn ich beschließe, einen Film zu machen", erzählte ein nigerianischer Regisseur den erstaunten Hollywood-Machern, "wende ich mich erst an einen Alhaji". In Nigeria bedeutet das Wort auch "Boss". Vom ihm leiht sich der Produzent 15.000 Dollar für zwei Monate mit einem Zinssatz von ungeheuerlichen 30 Prozent. "Dann rufe ich meinen Autor an", berichtete der Afrikaner weiter "und sage Sonny, ich brauche ein Skript. In einer Woche müssen die Dreharbeiten beendet sein. Und Sonny wird fragen, welche Art Skript ich will. Sonny, sage ich dann, du bist der Experte. Alles, was darin vorkommen muss, sind ein Autounfall, ein Sarg und ein Vampir. Aber ich brauche das Buch in zwei Tagen." Und das klappt.

Der Geburtstunde des nigerianischen Filmwunders war 1992. Der Händler Kenneth Nnebue saß auf vielen leeren VHS-Kassetten. Um sie besser verkaufen zu können, spielte er auf jede einen selbstproduzierten Film. Kenneth Nnebue wurde Umsatzmillionär und in Nigeria entstand eine Industrie, die 60 Millionen private Videorekorder beliefert und nach Erdöl und Landwirtschaft der drittgrößte Wirtschaftszweig ist.

Weltweite Berühmtheit

Die Filme aus Nollywood haben bereits den afrikanischen Kontinent erobert und sind auf dem Weg in die Welt. In Ghana wurde die heimische Filmproduktion von der nigerianischen Schwemme in den Ruin getrieben. In Kenia werden die Streifen von Straßenhändlern verkauft, in Namibia laufen die Filme im Fernsehen. Im Kongo wird der Originalton durch einen Erzähler in der Landessprache ersetzt. New Yorker Chinesen gucken die bunten Filme ebenso, wie Jamaikaner, die in London leben. In Holland werden die Nollywood-Stars bereits von Einwanderern aus Surinam auf der Straße erkannt.

Nollywood zeigt ein anderes Gesicht Afrikas. Die Helden sind keine Mitglieder einer postkolonial traumatisierten Gesellschaft, wie sie in französischgeförderten Kunstfilmen häufig auftreten, oder Opfer eines vom Bürgerkrieg geplagten Landes a la Hollywood. Sie sind Menschen auf dem Weg nach oben. Wie in jeder Seifenoper kommen Konflikte und Tragödien vor, doch am Ende werden alle Schwierigkeiten überwunden. Ein wiederkehrendes Thema ist die Sehnsucht nach Reichtum - und am Ende siegt immer das Gute. Nollywood ist die bunte Antwort auf unsere dunklen Schreckensbilder von Afrika. Im Land ist man stolz darauf, dass ohne fremde Hilfe eine bedeutende Industrie aufgebaut wurde, für die sich nicht bloß Hollywood interessiert, sondern auch die Kunstmesse Documenta und die Berlinale.

Der Autor ist Filmredakteur bei der Tageszeitung "Die Welt"