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Kruzifixe hängen weiter in deutschen Schulklassen

URTEIL Bekenntnis zum europäischen Föderalismus

28.03.2011
2023-08-30T12:16:40.7200Z
3 Min

Eine Bresche für den Föderalismus in Europa schlägt der Menschengerichtshof in Straßburg. So lässt sich der in der politisch-medialen Debatte wenig beachtete Kern des Kruzifix-Urteils der Europarats-Richter interpretieren: Die 47 Mitgliedsländer des Staatenbunds können frei und autonom entscheiden, wie sie in öffentlichen Schulen mit religiösen Symbolen umgehen.

Allerdings darf es im Bildungswesen nicht zu einer "Indoktrinierung" im Sinne einer bestimmten Religion kommen. Am Beispiel eines Streitfalls aus Italien entschied die Große Kammer, dass das Kruzifix in Schulen keine Verletzung der elterlichen Erziehungs- und Religionsfreiheit darstellt. Damit wurde das gegenteilige Urteil einer Kleinen Straßburger Kammer aufgehoben, das in seiner Konsequenz alle Europaratsnationen auf eine laizistische Trennung von Staat und Kirche verpflichtet hätte. Indes ist die Entscheidung der Großen Kammer eben kein Votum für das Kreuz: Die einzelnen Staaten können dies so praktizieren, dürfen das Kruzifix in Klassenräumen aber auch untersagen.

In Italien hatte eine Mutter vor den Gerichten vergeblich versucht, das Abhängen des Kreuzes in einer Schule durchzusetzen. Sie argumentierte, dieses Symbol lasse sich nicht mit den laizistischen Ideen vereinbaren, nach denen sie ihre beiden Söhne erziehen wolle. Insofern verletze das Kruzifix die Menschenrechtskonvention des Europarats mit ihrer Garantie der Erziehungs-, Bildungs- und Religionsfreiheit. 2009 gab die erste Straßburger Instanz der Klägerin sensationell recht und befand, staatliche Institutionen seien zu strikter weltanschaulicher Neutralität verpflichtet.

Proteste ausgelöst

Diese Entscheidung löste bei der römischen Regierung wie auch bei der katholischen und orthodoxen Kirche vielerorts in Europa Proteste aus. Zehn katholisch oder orthodox geprägte Länder wie etwa Russland, Griechenland oder Malta traten als Drittparteien der Revision Italiens vor der Großen Kammer bei.

Diese Runde lehnt es anders als die Vorinstanz ab, beim Verhältnis von Staat und Kirche die Menschenrechtscharta verbindlich für alle Nationen zu interpretieren. Die Europaratsländer seien zwar gehalten, das elterliche Recht auf Erziehungs-, Religions- und Gewissensfreiheit im Schulunterricht zu gewährleisten. Wie dies gehandhabt werde, unterliege jedoch dem "Beurteilungsspielraum" der einzelnen Staaten. Dies gelte auch für religiöse Symbole in Klassenzimmern.

So wird es in Europa wie bisher Länder mit Staatsreligionen wie Großbritannien oder Griechenland neben solchen mit einer laizistischen Trennung von Staat und Kirche wie Frankreich geben. Verfassungsmäßige Unterschiede und differierende Konzepte nationaler Identität werden nicht eingeebnet.

Passives Symbol

Freilich betonen die Europarats-Richter, dass Schüler nirgendwo religiös indoktriniert werden dürfen. Diese Gefahr sieht Straßburg in Italien nicht, wo das Schulkreuz ein "passives Symbol" sei. Zwar werde durch Kruzifixe die katholische Mehrheitsreligion an öffentlichen Schulen "dominant sichtbar", doch sei dies kein Beweis für eine "staatliche Indoktrinierung". In Italien existiere keine Pflicht zur Teilnahme an christlichem Religionsunterricht, auch sei das Tragen von Symbolen und Kleidern anderer Religionen nicht verboten.

Für die Unions-Bundestagsfraktion entspricht das Urteil "unserem Verständnis von Religionsfreiheit, dass Glaube nicht nur privat gelebt werden darf, sondern auch im öffentlichen Raum seinen sichtbaren Platz hat". Religion aus der Öffentlichkeit zu verbannen, bedeute eine "einseitige Bevorzugung des Atheismus", so die Kirchenbeauftragte Maria Flachsbarth.

Robert Zollitsch, Vorsitzender der katholischen Bischofskonferenz: "Der Staat muss sich, wenn er nicht seine Identität verlieren will, zu seinen Wurzeln, Werten und Traditionen bekennen können, freilich ohne jemandem eine Religion aufzuzwingen."

In vielen Regionen Deutschlands sind religiöse Symbole in Schulen unbekannt. 1995 entschied das Verfassungsgericht, dass Kreuze in Klassenzimmern gegen die Religionsfreiheit verstossen.