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Ein Urteil ohne Folgen

RECHT Bundestag lehnt Oppositionsvorlagen zur Ausweitung des Kündigungsschutzes ab

28.03.2011
2023-08-30T12:16:40.7200Z
3 Min

Ein Hirtenfladenaufstrich, zwei gebratene Fische, ein ausgesondertes Werkbankteil, drei Kiwis, Maultaschen. Die Liste vermeintlicher Kleinigkeiten, die einen Arbeitnehmer bereits den Job gekostet haben, ist lang. Das bekannteste Beispiel sind wohl zwei Pfandbons im Wert von insgesamt 1,30 Euro, die Ursache dafür waren, dass die Supermarktkassiererin Barbara Emmely ihren Arbeitsplatz verlor. Der als "Emmely" bekannt gewordenen Berlinerin war wegen der Unterschlagung dieser Bons nach mehr als 30 Jahren Betriebszugehörigkeit fristlos gekündigt worden - eine Maßnahme, die in der Öffentlichkeit für Empörung sorgte und im Juni vergangenen Jahres vom Bundesarbeitsgericht in Erfurt aufgehoben wurde. Nach einer mehr als zweijährigen Pause konnte die Frau wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren; für den Bundestag war der Fall jedoch noch nicht erledigt.

Am vergangenen Donnerstag befasste sich das Parlament mit zwei Gesetzentwürfe und einem Antrag der Fraktionen von SPD, Die Linke und Grünen mit dem Thema. Während sich Unions- und FDP-Fraktion einig waren, dass im Einzelfall entschieden werde müsse, wann eine Kündigung gerechtfertigt sei, wollten die Oppositionsfraktionen die Arbeitnehmerrechte bei Bagatellkündigungen stärken.

So spricht sich die SPD-Fraktion in ihrem Gesetzentwurf (17/648) dafür aus, bei Delikten mit nur geringem wirtschaftlichen Schaden beim ersten Mal eine Abmahnung auszusprechen. Die Linksfraktion geht in ihrem Entwurf (17/649) ein Stück weiter und fordert außerdem ein "Verbot der Verdachtskündigung". Auch die Grünen treten in ihrem Antrag (17/1986) für eine Pflicht zur Abmahnung bei verhaltensbedingten Kündigungen ein. Beide Gesetzentwürfe und der Antrag wurden abgelehnt.

Die Vorschläge liefen "ins Leere", gab die CDU-Abgeordnete Gitta Connemann zur Begründung der Ablehnung zu Protokoll. Sie seien "handwerklich lieblos und rechtlich haltlos bis radikal" und würden die bestehende Rechtslage nicht verbessern, argumentierte sie. Spätestens seit der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes zugunsten von "Emmely" hätten die Anträge ihre Berechtigung verloren.

Das fand die Linksfraktion "keineswegs". Das Urteil habe die Rechtssprechung an den Arbeitsgerichten enorm verändert, resümierte ihre arbeitsmarktpolitische Sprecherin Sabine Zimmermann. Es müsse nun darum gehen, "das neue Richterrecht in eine gesetzliche Form zu gießen" und eine klare Rechtslage zu schaffen.

Es war jedoch der Gesetzentwurf ihrer Fraktion, der besonders scharf kritisiert wurde. Die darin geforderte "ausnahmslose Unzulässigkeit der Verdachtskündigung" würde demnach auch "beim schwerwiegenden Verdacht des sexuellen Missbrauchs psychisch Kranker gelten", monierte Connemann. Zudem bleibe der Begriff der Bagatelle "nebulös". Diebstahl und Unterschlagung geringwertiger Sachen könnten durchaus ein Kündigungsgrund sein. Denn: "Straftat bleibt Straftat", unterstrich Connemann. Das Problem sei der Vertrauensverlust und nicht, wie viel Geld letztlich aus der Kasse gestohlen worden sei.

Strenges Arbeitsrecht

Und hier hätte der Fall "Emmely" gezeigt: "Unsere Rechtssprechung funktioniert", pflichtete Gabriele Molitor von der FDP-Fraktion bei. Es sei Aufgabe der Gerichte, die Einzelfälle zu betrachten, und nicht Aufgabe des Gesetzgebers, weitergehende Regelungen zu treffen. In vielen Fällen gäben die Gerichte zudem dem Arbeitnehmer recht. "Das dürfen Sie nicht einfach ausblenden", fügte Molitor an die Adresse der Opposition hinzu.

Die sah das anders. "Das Arbeitsrecht ist streng, viel strenger als das Strafrecht", urteilte etwa der SPD-Abgeordnete Ottmar Schreiner. So würden im Strafrecht die Verfahren bei Diebstählen bis zu 50 Euro regelmäßig eingestellt, während die Gerichte "die Arbeitnehmer für kleinste Vermögensdelikte mit einer außerordentlichen Kündigung" straften. Diese bedeute meist "Existenzvernichtung". Seiner Fraktion gehe es vor allem darum, das "Prinzip der Verhältnismäßigkeit als einen zentralen Grundsatz unserer Rechtsordnung" zur Geltung zu bringen.

Auch die Grünen-Fraktion forderte Rechtssicherheit vor allem für Arbeitnehmer, die "oftmals ohnehin schon ein geringes Einkommen erzielen". Sie glaube nicht, dass das Vertrauensverhältnis bei Bagatelldelikten unwiederbringlich gestört sei, zumal diese häufig aus Unwissenheit begangen würden, argumentierte die Grünen-Parlamentarierin Ingrid Hönlinger. Arbeitnehmer, die "willkürlichen Kündigungen" - oder einer "Rechtssprechung des kalten Herzens", wie die Linksfraktion es nannte - ausgesetzt seien, könnten nicht ihre volle Leistungsfähigkeit entfalten. "Das können wir weder in unseren betrieblichen Arbeitsverhältnissen noch gesamtgesellschaftlich anstreben", schloss Hönlinger.