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Wenn Hoffen nicht reicht

PID Gentests an Embryonen könnten helfen, Erbkrankheiten zu erkennen. Gegner befürchten ersten Schritt zum »Kind nach Maß«

26.04.2011
2023-08-30T12:16:42.7200Z
5 Min

Dass ihre Tochter anders war als andere Kinder, ahnte Juliane Weber (Namen der Familie geändert) schnell. Nach einem Kaiserschnitt sah sie zunächst nur ein Foto von Paula, "und da hatte ich schon so ein Gefühl". Bestätigt wurde dieses Gefühl an Paulas fünftem Lebenstag im Gespräch mit einer Oberärztin in der Leipziger Klinik, in der das kleine Mädchen zur Welt gekommen war. "Sie teilte uns mit, dass Paula Trisomie 21, also das Down-Syndrom, hat", erinnert sich Juliane Weber, "und stellte auch gleich klar, dass man diese Chromosomenstörung bei einer Fruchtwasseruntersuchung hätte erkennen können - aber die hätten wir ja verweigert." Mit der Diagnose, ein behindertes Kind zu haben, mussten die Webers auch gleich eine Schuldzuweisung verdauen. "Das war hart", sagt Juliane Weber.

Bereut hat die Familie jedoch nie, auf eine Pränataldiagnostik verzichtet zu haben - obwohl Paula durch eine künstliche Befruchtung entstanden und ihre Mutter schon 40 Jahre alt war. "Wir wussten, dass wir damit ein höheres Risiko als andere Eltern hatten, dass unser Kind behindert sein könnte - und haben trotzdem auf unser Glück gehofft. Was wäre denn die Alternative gewesen? Eine Spätabtreibung hätte ich nicht verkraftet", sagt Paulas Mutter. Doch sie bekennt ebenso: "Wenn wir die Möglichkeit gehabt hätten, die Embryonen vor dem Einsetzen auf Schäden hin testen zu lassen, hätten wir das gemacht. Die Ärzte haben doch ohnehin nur die eingesetzt, die sich am besten entwickelt haben - wem hätte es denn weh getan, wenn zu diesem Zeitpunkt weitere Tests gemacht worden wären?"

»Eine Tortur«

Die Diskussion um die Präimplantationsdiagnostik (PID), bei der im Reagenzglas erzeugte Embryonen auf Krankheiten hin untersucht werden, hat Juliane Weber genau verfolgt. Dabei ist ihr ein Aspekt meist viel zu kurz gekommen: "Der Prozess einer künstlichen Befruchtung ist für die Paare eine Tortur, die niemand freiwillig auf sich nimmt - und schon gar nicht, um sich damit ein Designerbaby mit blauen Augen und blonden Haaren zu beschaffen. Wenn man diesen Menschen verwehrt, nur gesunde Embryonen einzusetzen und ihnen stattdessen zumutet, ein Kind abzutreiben, das schon monatelang im Mutterleib wächst, ist das einfach schizophren."

Doch egal, wie der Bundestag letztendlich über die Frage der Zulassung von Präimplantationsdiagnostik entscheiden wird: Eine PID, die feststellen soll, ob bei einem der Embryo, wie etwa bei Paula, eine Trisomie 21 vorliegt, wird es in Deutschland wohl nicht geben. Auch die Befürworter der Diagnostik knüpfen ihre Zulassung an eng definierte Voraussetzungen: Sie soll nur dann gestattet sein, wenn ein oder beide Elternteile die Veranlagung für eine schwerwiegende Erbkrankheit in sich tragen oder mit einer Tot- oder Fehlgeburt zu rechnen ist. Die Gegner des Verfahrens argumentieren hingegen, dass es der Menschenwürde widerspreche, Embryonen aufgrund bestimmter genetischer Defekte zu verwerfen (siehe unten).

Was aber wird bei einer PID eigentlich genau gemacht? Die PID erlaubt es, Aussagen über den genetischen Status von Embryonen zu treffen, die zuvor im Reagenzglas entstanden sind - etwa über Trisomien oder Erkrankungen wie Chorea Huntington, Mukoviszidose oder bestimmte Blutkrankheiten. Während in den meisten Staaten, in denen die PID zulässig ist, dem Embryo etwa drei Tage nach der Befruchtung Zellen entnommen und untersucht werden, ist die Methode in Deutschland anders.

Der Düsseldorfer Reproduktionsmediziner Jens Hirchenhain erklärt: "Hier entnehmen wir am fünften Tag nach der Befruchtung Zellen. Der Embryo wird in diesem Entwicklungsstadium als Blastozyste bezeichnet und hat bereits die erste Differenzierung hinter sich: in Zellen, die die Plazenta bilden und Zellen, aus denen der spätere Fötus wird. Nur erstere werden untersucht; dabei wird der eigentliche Embryo nicht geschädigt, wie es in einem früheren Stadium der Fall sein könnte." Das ist im Embryonenschutzgesetz geregelt: Dieses nämlich definiert als Embryo auch totipotente Zellen, aus denen sich komplette Individuen entwickeln können. Deutsche Reproduktionsmediziner müssen also bei der Untersuchung der Embryonen länger warten als ihre ausländischen Kollegen, weil sie keine Zellen zerstören dürfen, aus denen theoretisch ein Mensch werden könnte.

Das Verfahren ist - unabhängig vom Tag, an dem es durchgeführt wird - aufwändig und teuer: Rund 5.000 Euro koste die PID, wenn es sich um das Erkennen einer relativ häufigen Krankheit handelt, sagt Experte Hirchenhain. Bei seltenen Defekten könnten Kosten von bis zu 20.000 Euro entstehen. "Leichtfertig wird das niemand machen. So etwas kommt allenfalls für Paare in Frage, die schon Kinder durch schwerste Erbkrankheiten verloren haben."

An der Grenze

Auch wenn die PID technisch schon lange möglich ist: In Deutschland gingen Fachleute jahrelang davon aus, dass sie durch die Vorschriften des Embryonenschutzgesetzes verboten sei. Einigermaßen überraschend sprach jedoch der Bundesgerichtshof im Juli 2010 einen Berliner Reproduktionsmediziner frei, der die PID angewendet und sich 2006 selbst angezeigt hatte. Für die Politik bedeutete das: Wenn die PID Einschränkungen unterliegen soll, müssen gesetzliche Grenzen her. Denn bei allen offenen Fragen rund um die Diagnostik gibt es einen gesellschaftlichen Konsens darüber, dass niemand das Recht hat, sich Kinder nach Maß zu züchten.

Doch wie weit oder eng die Grenzen der PID gesteckt werden sollen, darum ringen nicht nur die Abgeordneten. Während für Behindertenverbände und die Katholische Kirche in Deutschland klar ist, dass die PID die Möglichkeit des Dammbruchs in sich trägt und deshalb konsequent verboten sein sollte, tut sich die evangelische Kirche schwerer damit, eine Haltung zu finden. Zwar hat sich der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) in einer Stellungnahme in diesem Februar dazu bekannt, dass die PID verboten werden sollte, er betont aber auch, dass es dazu im Gremium unterschiedliche Überzeugungen gibt. So hatte der EKD-Ratsvorsitzende Nikolaus Schneider noch im November 2010 gesagt, er habe Mitleid mit den Eltern, die an schweren Erbkrankheiten litten und in ihrer Not die PID als Hilfe ansehen würden.

Saskia Schuppener, Leipziger Professorin für Geistigbehindertenpädagogik, hat ebenfalls Verständnis für diese Paare, befürchtet aber, dass die PID ein Schritt in eine gefährliche Richtung ist: "Im Grunde weigern wir uns nicht nur, uns auf Menschen mit Behinderungen einzulassen, sondern sorgen über eine Auswahl von Embryonen dafür, dass sie gar nicht erst geboren werden. Würde daraus irgendwann ein moralischer Imperativ, unperfekte Menschen abtreiben zu müssen, wäre das verheerend für unsere Gesellschaft." Davon ist auch Juliane Weber überzeugt: "Wie glücklich und wertvoll ein Mensch ist, hängt nicht vom Zustand seiner Chromosomen ab" - das habe sie von Paula gelernt.