Wenn die Klinik krank macht
HYGIENE Die Zahl der Krankenhausinfektionen ist alarmierend hoch. Der Bundestag sucht jetzt nach Auswegen
Als Robert Koch im späten 19. Jahrhundert Bakterien als Ursache gefährlicher Krankheiten erkannte, hatte er es schwer, die Bedeutung einfacher Hygienemaßnahmen als wirksames Mittel gegen die Verbreitung der Erreger bekannt zu machen. Dass Händewaschen viel hilft, wissen heute dagegen in der Regel schon kleine Kinder. Nichtsdestotrotz sind Infektionen, die aufgrund von Hygienemängeln bei der Behandlung und Pflege in Krankenhäusern und anderen Einrichtungen des Gesundheitswesens entstehen, keine Seltenheit. Im Gegenteil: Von 400.000 bis 600.000 so genannten nosokomialen Infektionen mit 7.500 bis 15.000 Todesfällen pro Jahr in Deutschland geht die Regierungskoalition in einem Gesetzentwurf (17/5178) aus. Sein Ziel: Krankenhausinfektionen sollen künftig besser verhütet und bekämpft werden. Dieses Anliegen teilt die Opposition, freilich haben die Fraktionen jeweils eigene Anträge (17/4452, 17/4489, 17/5203) mit unterschiedlichen Strategien vorgelegt.
Bis zu 30.000 Todesfälle
Am vergangenen Mittwoch hatten in einer Anhörung des Gesundheitsausschusses die Experten das Wort. Schon im Vorfeld der Sitzung sorgte die Deutsche Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) in einer gemeinsamen Stellungnahme mit zwei weiteren Fachverbänden für Wirbel. Darin heißt es, die von Schwarz-Gelb genannten Zahlen seien zu niedrig angesetzt, es sei - bei knapp 18 Millionen im Krankenhaus behandelten Patienten pro Jahr - mit einer "Mindestzahl von 700.000" Fällen zu rechnen. Dementsprechend müsse auch die Zahl der Todesfälle "nach oben korrigiert" werden - auf "bis zu 30.000" pro Jahr. Die Korrektur der Zahlen erscheine "dringlich", damit deutlich wird, dass Krankenhausinfektionen "die größte infektiologische Herausforderung unter allen Infektionskrankheiten mit großer Bedeutung für die öffentliche Gesundheit sind", mahnen die Fachleute.
Damit nicht genug. Nach Auffassung des Leiters der Krankenhaushygiene am Universitätsklinikum Essen, Professor Walter Popp, geht auch die im Gesetzentwurf geäußerte Erwartung, dass durch geeignete Maßnahmen 20 bis 30 Prozent der Krankenhausinfektionen zu vermeiden sind, "völlig an der Realität vorbei". Neuere Untersuchungen zeigten, dass bei konsequentem hygienischen Handeln bis zu 100 Prozent der Fälle vermieden werden können.
Angesichts der Datenschelte ging in der Anhörung fast unter, dass der Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen bei der Mehrzahl der Fachleute auf grundsätzliche Zustimmung stößt. So lobte etwa der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) die vorgesehene Verpflichtung der Landesregierungen, die Krankenhaushygiene per Erlass von Rechtsverordnungen zu regeln. Krankenhaushygiene ist Ländersache - allerdings gibt es bislang nur in sieben von 16 Bundesländern entsprechende Verordnungen. Die Initiative der Koalition werde daher begrüßt, unterstrichen viele Verbände. Gleichwohl sei nicht nachvollziehbar, warum die Ausgestaltung der Regeln den einzelnen Ländern überlassen bleiben soll, betonte der Leiter der Abteilung Medizin des GKV-Spitzenverbandes, Bernhard Egger, und stützte damit die Haltung der Oppositionsfraktionen. Die Verbraucherzentrale Bundesverband befürchtete gar einen "Flickenteppich aus Länderregelungen".
Neben der besseren Einhaltung der Hygieneregeln konzentrieren sich der Gesetzentwurf der Koalition und die Oppositionsanträge auf den ausufernden - aus Sicht vieler Infektologen unsinnigen - Einsatz von Antibiotika. Dieser führe dazu, dass viele Bakterien gegen herkömmliche Mittel resistent geworden sind. Unter den gefährlichen Erregern ist der MRSA (Methicillin-resistenter Staphylococcus aureus) der wohl bekannteste, aber bei weitem nicht der einzige, wie Nils-Olaf Hübner vom Institut für Hygiene und Umweltmedizin an der Uni Greifswald sagte. Die Zunahme an Resistenzen macht den Infektologen Sorgen: Denn genau diese Erreger können beispielsweise nach Operationen Wundinfektionen oder Lungenentzündungen auslösen, die nur schwer oder gar nicht zu behandeln sind und häufig zum Tod eines Patienten führen.
Vom Nachbarn lernen
Die Niederländer haben das Problem besser im Griff: Im Nachbarland habe es im vergangenen Jahr 25 Patienten mit einer MRSA-Sepsis gegeben, in Nordrhein-Westfalen mit einer vergleichbaren Einwohnerzahl 1.000, erläuterte Alexander Friedrich. Der Leiter der Abteilung für Mikrobiologie und Krankenhaushygiene des Universitätsklinikums Gro- ningen hat das Euregio-Projekt MRSA-net mit aufgebaut. Das grenzübergreifende Netzwerk in der Region Münsterland/Twente versucht auf deutscher Seite, das niederländische MRSA-Niveau zu erreichen. Nicht alles lasse sich eins zu eins übertragen, sagte Friedrich, zu unterschiedlich seien die Gesundheitssysteme beider Länder. Dennoch könne Deutschland vom Nachbarn lernen - etwa beim maßvollen Antibiotika-Einsatz und vor allem bei der Ausstattung der Kliniken mit Fachpersonal. So gebe es in den Niederlanden in jeder Klinik einen Mikrobiologen, der sich etwa um die Diagnostik kümmere. "Es geht um die Menschen, die wissen, wie es geht", sagte Friedrich.
Umgehend warnte die Deutsche Krankenhausgesellschaft davor, die Kliniken zu schnell zur Einstellung entsprechend ausgebildeter Ärzte und anderer Spezialisten zu verpflichten. Entsprechendes Personal sei auf dem Arbeitsmarkt nicht verfügbar, sagte DKG-Hauptgeschäftsführer Georg Baum. Folgte man den Vorgaben der beim Robert-Koch-Institut angesiedelten Fachkommission, ergäben sich außerdem Personalkosten für Hygienefachkräfte von "400 bis 500 Millionen Euro" jährlich. Dafür sei im Gesetzentwurf kein Ausgleich vorgesehen, bemängelte Baum. Beim Infektionsschutz geht es eben auch immer um Kosten - eine Erfahrung, die übrigens auch schon der Vater der Bakteriologie, Robert Koch, vor mehr als 120 Jahren gemacht hat.