Piwik Webtracking Image

Selektiver Blick auf das Leben

PID Experten diskutieren in einer Anhörung ethische und verfassungsrechtliche Fragen

30.05.2011
2023-08-30T12:16:44.7200Z
3 Min

Bedeutet die Zulassung der Präimplantationsdiagnostik (PID) einen ethischen Dammbruch? So lautet eine der Kernfragen, die am vergangenen Mittwoch Abgeordnete wie Experten in einer mehrstündigen öffentlichen Anhörung des Gesundheitsausschusses zu den drei Gesetzentwürfen bewegten, die Befürworter wie Gegner des Verfahrens vorgelegt haben. Mit der PID werden im Reagenzglas erzeugte Embryonen vor der Einpflanzung in die Gebärmutter auf etwaige Krankheiten untersucht und eventuell vernichtet. Ein Dammbruch?

Der Berliner Theologieprofessor Richard Schröder, Befürworter des Gesetzentwurfes (17/5451), mit dem die PID eingeschränkt erlaubt werden soll, widersprach vehement. Wer etwa behaupte, mit der PID sinke die Akzeptanz von Menschen mit Behinderung, instrumentalisiere diese "für den Erhalt einer gesellschaftlichen Norm". Ein Dammbruch sei höchstens dann zu befürchten, wenn es Akzeptanz für die Haltung gebe, dass "der geborene Mensch vernichtet werden" dürfe, wenn "überzählige Embryonen vernichtet werden dürfen". Schröder sagte, es dürfe "keine Pflicht zur Behinderung geben". Ganz anders sah es Peter Radtke, der den Gesetzentwurf (17/5450) für ein ausnahmsloses PID-Verbot unterstützte. Der Schauspieler, der an der so genannten Glasknochenkrankheit leidet, bekannte, er habe sich "selten in der Gesellschaft so außen vor" gefühlt wie in der aktuellen PID-Debatte. "Die Glasknochenkrankheit würde ganz sicher zu den Krankheiten gehören, die für die PID in Frage kommen", fügte er hinzu.

Die Sozialwissenschaftlerin und Humangenetikerin Sigrid Graumann näherte sich der Frage von einer anderen Seite. Sie erinnerte daran, dass vor einigen Jahren die Pränataldiagnostik mit denselben Argumenten eingeführt worden sei, die heute pro PID genannt würden. Was als Ausnahme geplant gewesen sei - etwa die Fruchtwasseruntersuchung im ersten Schwangerschaftsdrittel - gehöre heute zum Standard und führe bei diagnostizierter Chromosomenstörung, obwohl vom Gesetzgeber nicht gewollt, oftmals zur Abtreibung aufgrund einer erwarteteten Behinderung des Kindes. Auch Graumann sprach sich für ein grundsätzliches Verbot der PID aus, wobei es eine Ausnahme für Paare geben solle, die die nachgewiesene Veranlagung haben, eine Fehl- oder Totgeburt zu erleiden. Diese Haltung liegt dem dritten vorliegenden Gesetzentwurf (17/5452) zugrunde.

Entscheidung naht

Der Bundestag will noch vor der im Juli beginnenden Sommerpause eine Entscheidung zum Umgang mit der PID treffen. Eine solche ist notwendig, da der Bundesgerichtshof in Leipzig im vergangenen Jahr entschieden hatte, dass das umstrittene Verfahren nach dem 1991 in Kraft getretenen Embryonenschutzgesetz nicht grundsätzlich untersagt ist. In der ersten Lesung am 14. April 2011 hatte sich im Bundestag keine Mehrheit für einen der drei, jeweils von interfraktionellen Parlamentariergruppen vorgelegten Gesetzentwürfe abgezeichnet. Von den 621 Abgeordneten schlossen sich 178 noch nicht per Unterschrift einem der drei Entwürfe an.

In der Anhörung spielten auch verfassungsrechtliche Fragen eine wichtige Rolle. Der Rechtsprofessor Matthias Herdegen betonte, der Schutz der Menschenwürde rechtfertige kein umfassendes Verbot der PID. Ein absolutes Verbot der PID begründe "einen Zwang zum Nichtwissen", was einen erheblichen Eingriff in die Grundrechte bedeute. Herdegen fügte hinzu, bei einer zu weitgehenden gesetzlichen Einschränkung der PID sei von einer Verfassungswidrigkeit auszugehen. Dagegen zeigte sich der frühere Richter am Bundesverfassungsgericht, Ernst-Wolfgang Böckenförde, davon überzeugt, eine Zulassung der PID sei aus mit der Garantie der grundgesetzlich garantierten Menschenwürde unvereinbar. Die PID habe folgende Konsequenz: "Wenn bestimmte genetische Defekte vorhanden sind, hört das Recht auf Leben auf." Denn bei dieser Methode gehe es nicht um den Wunsch nach einem Kind an sich, sondern nur um den Wunsch nach einem gesunden Kind, betonte der Professor.

Der frühere Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, Bischof Wolfgang Huber, sagte, mit der PID verbunden sei "ein selektiver Blick". Einer wie auch immer begrenzten Zulassung der PID wohnten "Ausweitungstendenzen" inne, warnte Huber. Die Medizinethikerin Bettina Schöne-Seifert wandte sich gegen ein Verbot und verwies auf das Leid betroffener Paare. Dieses nicht ernst zu nehmen, "wäre zynisch", sagte die Professorin. mpi z