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Big Brother im Stromzähler

Energie Smart Meter sollen sparen helfen - Datenschützer warnen

01.08.2011
2023-08-30T12:16:47.7200Z
4 Min

Bisher kommt nur einmal im Jahr der Moment der Wahrheit. Ein Vertreter des Energieversorgers liest den Zähler ab, dann kommt die Rechnung und mit ihr die Antwort auf die Frage: Nachzahlung oder Erstattung? Wenn es nach dem Willen der Bundesregierung und der EU-Kommission geht, wird damit bald Schluss sein. Stromzähler sollen elektronisch ablesbar sein, und das nicht jährlich, sondern jederzeit, sekundengenau.

So genannte Smart Meter - intelligente Stromzähler, die laut EU bis 2020 in 80 Prozent aller Haushalte installiert sein sollen - markieren eine technische Revolution. Umfang und Verlauf des Stromverbrauchs werden sekundengenau registriert und per Datenleitung oder Funk an den Versorger übermittelt, der diese Informationen wiederum via Internet oder Handy zu den Verbrauchern senden kann. Sogar der Bedarf einzelner Geräte wie Fernseher, Spül- und Waschmaschine oder Kühlschrank soll gemessen werden können.

Für Erik Schweickert "eröffnen intelligente Stromzähler viele Chancen zum Energiesparen". Allerdings beschwöre "die Übermittlung sensibler Daten die Gefahr des gläsernen Bürgers herauf, und diesem Risiko gilt es vorzubeugen", sagt der Verbraucherexperte der FDP-Fraktion. Ähnlich argumentiert Konstantin von Notz: Die "steuerbare Elektrizitätsnutzung" über Smart Meter sei ein "wichtiger Baustein der Energiewende", meint der Datenschutzexperte der Grünen-Fraktion. Doch trotz manch guter Aspekte schlössen die "mit heißer Nadel gestrickten" Bestimmungen einen problematischen Umgang mit Kundendaten nicht aus.

Ein "absoluter Befürworter" des neuen Systems ist Franz-Josef Holzenkamp: "Nur über intelligente Netze lässt sich der Energieverbrauch optimieren", sagt der Verbraucherpolitiker der CDU/CSU-Fraktion, und gegen Missbrauch habe man "genügend Vorsorge getroffen". Der schleswig-holsteinische Datenschutzbeauftragte Thilo Weichert indes kritisiert "gefährliche Regelungen", so werde die "Basis für den gläsernen Verbraucher" geschaffen.

Einzelne Testläufe mit den neuen Stromzählern wie etwa der Stadtwerke Münster oder des Vattenfall-Konzerns wurden in der Öffentlichkeit bisher kaum wahrgenommen. Dabei greift die Wundertechnik tief ins Privatleben ein.

Mit der neuen Technik können in den Haushalten "Stromfresser" ausfindig gemacht werden. In Kombination mit Tarifen, die von Tageszeit und Netzauslastung abhängig sind, möchte man die Verbraucher zudem animieren, etwa Spül- oder Waschmaschinen dann zu starten, wenn die Nachfrage nach Elektrizität gering ist. Denkbar ist auch, dass sich über intelligente Zähler Gefriertruhen automatisch nachts einschalten, wenn die Kilowattstunde wenig kostet. Energiesparen und eine gleichmäßigere Nachfrage durch das Kappen von Lastspitzen, um weniger Kraftwerke für Zeiten des Spitzenbedarfs zu benötigen: Darum geht es beim neuen Stromzähler.

Doch verträgt sich ökologisch Korrektes mit Freiheit und Datenschutz? Für die Mitorganisatorin der alljährlich verliehenen Big-Brother-Awards, Rena Tangens, droht der Stromzähler zur "Blackbox" zu werden. "Es entstehen Datenströme, die eine Ausforschung persönlicher Lebensgewohnheiten ermöglichen." Solche Rückschlüsse lässt der Elektrizitätskonsum zu: Wann wird gekocht und geschlafen, wann läuft der Fernseher, wie lange in der Nacht die HiFi-Anlage, wann ist jemand in Urlaub, wann geht es morgens zur Arbeit. "Vermieter oder Polizei könnten über Stromdaten kontrollieren, wie viele Personen sich in einer Wohnung aufhalten", fürchtet Tangens. In Medien wurde von Überlegungen in Kreisen der Stromversorgern berichtet, säumigen Zahlern als "Warnschuss" die Stromzufuhr etwa zum Fernseher zu sperren. Womöglich verfallen Behörden auf die Idee, bei Hartz-IV-Empfängern mit Hilfe der Messzahlen auf eine Reduzierung des Energieverbrauchs zu dringen. Stadtwerke wie in Münster offerieren Kunden die Zusendung von Mails, wenn der Stromkonsum bestimmte Grenzen überschreitet. Das ist bislang freiwillig. Was aber, wenn der Staat Richtwerte für den Verbrauch definieren und bei deren Nichteinhalten die Betreffenden per Pflicht-Warnmail unter Druck setzen sollte? Eventuell liegt in Briefkästen plötzlich spezielle Werbung: Die Spülmaschine und der elektrische Rasierer im Haushalt benötigten sehr viel Strom, weswegen man auf eine bessere Alternative der eigenen Firma hinweise.

Die Abgeordneten Schweickert und Notz hoffen, dass sich in den anstehenden Verordnungen zur Umsetzung der Gesetze noch manches für den Datenschutz erreichen lässt. Zudem plädieren sie für Freiwilligkeit: Die Verbraucher müssten entscheiden, ob und wie sie die intelligenten Stromzähler nutzen wollen. "Schon wegen des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung dürfen ohne ausdrückliche Zustimmung des einzelnen Kunden bei Vertragsabschluss mit seinem Versorger die Smart-Meter-Daten des Betreffenden nicht genutzt werden", sagt Schweickert. Auch müssten "die für den Netzbetrieb relevanten ausgelesenen Daten möglichst früh anonymisiert werden". Nach den bisherigen Regelungen ist erst bei einem Konsum von jährlich mehr als 6.000 Kilowattstunden Smart Meter Pflicht.

Keine Vergünstigungen

Notz kritisiert, dass Versorger Kunden, die der Übermittlung und Nutzung ihrer Stromdaten zustimmen, finanzielle Vergünstigungen gewähren könnten. Das solle untersagt werden. Auch dürfe über den Weiterverkauf von Verbraucherdaten zu Werbezwecken kein Geschäftsmodell entstehen. Schweickert betont, die FDP lege "Wert darauf, dass die Versorger dem Kunden genau mitteilen müssen, wozu sie die Verbrauchsdaten nutzen wollen. Dem muss der Bürger widersprechen können". Das sieht auch Holzenkamp so.

Ein bisher unterschätztes Problem ist laut Notz, dass die Verknüpfung der Zähler mit dem Internet die Möglichkeit für Angriffe von außen eröffne. So könnten Daten abgesaugt werden, auch könne man die Stromversorgung einzelner Geräte sabotieren. Nötig seien effektive Schutzvorkehrungen.

Die Verbraucherpolitiker der Union hätten die Gefahren rund um den gläsernen Verbraucher durchaus diskutiert, sagte Holzenkamp. "Intelligente Netze" würden aber nur auf der Basis bestimmter Informationen funktionieren. Im Sinne eines effizienten Energieverbrauchs sei man deshalb in einem "Abwägungsprozess" zu der Überzeugung gelangt, "dass wir diesen Weg gehen müssen". Jetzt gelte es, die Bürger für diese Technik zu gewinnen.