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Ein Luftangriff, zwei Wahrheiten

UNtersuchungsausschuss Koalition und Opposition ziehen Bilanz der Kundus-Affäre

29.08.2011
2023-08-30T12:16:47.7200Z
3 Min

Er hat 55 Sitzungen hinter sich gebracht und 41 Zeugen befragt, darunter Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Ex-Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD): Anderthalb Jahre lang hat der Kundus-Untersuchungsausschuss versucht, die Hintergründe des verheerenden Luftschlags auf zwei Tanklaster in Afghanistan im September 2009 aufzuklären. Die Bilanz der Fraktionen könnte unterschiedlicher nicht sein. Die Koalition nimmt die politisch Verantwortlichen in Schutz, besonders die Ex-Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) und Franz-Josef Jung (CDU): Deren Ressort wie auch das Kanzleramt hätten "größtmögliche Transparenz hergestellt, um Parlament und Öffentlichkeit über diesen militärischen Vorfall voll umfassend zu informieren". Von Fehlern und Versäumnissen auf allen Ebenen spricht die Opposition. Für die SPD-Fraktion ging es dem zum Zeitpunkt des Luftangriffs amtierenden Minister Jung und dessen Sprecher Thomas Raabe um "Verschleiern und Abwimmeln", aus Sicht des Abgeordneten Paul Schäfer von der Linksfraktion hat sich die Regierung in "Manipulation, Vertuschung und Grauzonenlaviererei geflüchtet", Omid Nouripour von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen sieht eine "lange Liste von Fehlern".

In der Nacht zum 4. September 2009 hatte der Bundeswehr-Oberst Georg Klein zwei von Taliban gekidnappte Tanklaster durch US-Piloten bombardieren lassen. Bis zu 140 Personen wurden getötet und verletzt, unter ihnen viele Zivilisten. Anfangs hatte das Verteidigungsressort die Existenz ziviler Opfer bestritten, später heruntergespielt. Wegen dieser Informationspolitik trat Jung, nach der Bundestagswahl 2009 ins Arbeitsministerium gewechselt war, zurück. Guttenberg, Nachfolger Jungs im Bendlerblock, bezeichnete den Luftschlag zunächst als "militärisch angemessen", später als "militärisch unangemessen". Für sein anfängliches Fehlurteil macht er den Generalinspekteur der Bundeswehr Wolfgang Schneiderhan und seinen Staatssekretär Peter Wichert verantwortlich, die ihm wesentliche Informationen vorenthalten hätten. Beide wurden von Guttenberg ihrer Aufgaben entbunden.

Ernst-Reinhard Beck und Joachim Spatz, die Berichterstatter von Unions- und FDP-Fraktion, konstatieren zwar die Verletzung von Nato-Einsatzregeln durch Klein. Das Bombardement wäre aus heutiger Sicht besser unterblieben. Indes habe der Oberst "nach bestem Wissen und Gewissen sowie zum Schutz seiner Soldaten gehandelt", seine Entscheidung sei "nachvollziehbar". Die Koalition bescheinigt Jung, Guttenberg und Merkel ein fehlerfreies Verhalten, die Schuld für Informationspannen trügen Schneiderhan und Wichert, sie hätten die Ressortspitze "lückenhaft" und "einseitig" unterrichtet.

Die SPD-Fraktion hingegen kritisiert es als "unanständige Verleumdung", dass Guttenberg Schneiderhan und Wichert zu "Sündenböcken" mache. Der SPD-Abgeordnete Rainer Arnold schreibt die "desaströse Kommunikation" nach der Bombennacht Jung und Raabe zu. Den Luftschlag selbst werten die Sozialdemokraten als "schweren militärischen Fehler". Klein sei es nicht vorrangig um die Abwehr einer Bedrohung des Bundeswehr-Feldlagers, sondern vordringlich um die Liquidierung von Talibanführern gegangen. Schäfer stuft den Angriff als "völkerrechtswidrig" ein. Nouripour meint, Kleins Befehl habe auf Falschinformationen beruht, die eventuell von afghanischer Seite gesteuert worden seien.

Der Bundestag will im Oktober über die Kundus-Affäre abschließend debattieren. Die SPD erwägt, für Soldaten im Auslandseinsatz eigene Rechtsgrundlagen zu schaffen. Auch müsse das militärische Nachrichtenwesen parlamentarisch effektiver überwacht werden. Klein hatte sich auf nur einen Informanten gestützt, nach dessen Angaben sich bei den Tanklastern keine Zivilisten aufhielten.