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»Entscheidend aber ist Einmischen«

NIEDERLANDE Vizepräsidentin Petra Pau enthüllt Mahnmal für Kindertransporte

05.12.2011
2023-08-30T12:16:54.7200Z
3 Min

Als sie vor mehr als 70 Jahren in Hoek van Holland ankamen, waren sie alleine, verängstigt, unsicher. Vergangene Woche standen sie wieder dort, am Wasser, in der Novemberkälte. Um zu sehen, wie Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Die Linke) ein Mahnmal enthüllte, das an ihr Schicksal erinnert: an die Kindertransporte nach England, die zwischen November 1938 und September 1939 rund 10.000 jüdischen Kindern das Leben retteten. 1,6 Millionen wurden im Holocaust ermordet.

Etwa 40 der damals in England aufgenommenen Kinder waren zur Enthüllung gekommen. Die Bronzeskulptur des 1929 in Danzig geborenen Künstlers Frank Meisler - der selbst mit einem der letzten Transporte nach Großbritannien kam - ist eines von vier Mahnmalen, die den Kindertransporten gedenken. Das erste wurde 2006 am Bahnhof Liverpool Street in London - dem Ort, an dem die jüdischen Kinder aus Deutschland, Polen und der Tschechoslowakei ankamen - errichtet. 2008 und 2009 folgten je eines vor dem Bahnhof Friedrichstraße in Berlin und vor dem Bahnhof Danzig, also an den Orten, von denen aus die Kinder ihre Heimat verließen. Das Mahnmal in Hoek van Holland, heute ein Stadtteil von Rotterdam, bildet den Abschluss: Hier legten die Schiffe Richtung Großbritannien, Richtung Sicherheit ab. "Channel crossing to life", heißt das Denkmal. Es zeigt sechs Kinder. Sie warten. Neben ihnen Gepäck, Koffer, ein Geigenkasten. Ein Junge sitzt abseits, den Arm auf seinen Koffer gestützt. Vor ihm erstreckt sich der Hafen von Rotterdam.

"Wir müssen uns klar machen, dass ein Mahnmal nicht zum Selbstzweck errichtet wird", sagte Pau, die mit dem Bürgermeister von Rotterdam, Ahmed Aboutaleb, und einer Tochter des Künstlers das Denkmal enthüllte. Ein Mahnmal sei ein Ort der Erinnerung, der Trauer und des Engagements. "Erinnern heißt, für Gegenwart und Zukunft zu arbeiten und für Demokratie und Toleranz einzustehen", betonte Pau.

Diskriminierung heute

Noch heute gebe es "diesen plumpen, menschenfeindlichen Antisemitismus", der sich aus Rassenideologie speise. "Aber es gibt eben auch den neuen Antisemitismus aus anderen Wurzeln, den islamistisch aufgeladenen zum Beispiel und - da müssen wir uns nichts vormachen - es gibt auch den einen oder anderen, der sich als Linker versteht und trotzdem antisemitische Klischees bedient", sagte Pau. Die Politik müsse im Alltag ansetzen und sensibilisieren - in der Sprache, der Schule, am Stammtisch oder eben auch in der Familie. Pau hofft, dass es im kommenden Frühjahr im Parlament eine "sehr würdige Debatte" um den Antisemitismusbericht (siehe Artikel oben) und damit um die neuen Formen des Antisemitismus geben wird.

Die Enthüllung des Mahnmals war der Abschluss einer zweitägigen Reise der Bundestagsvizepräsidentin in die Niederlande. Auf dem Programm standen unter anderem der Besuch der Portugiesischen Synagoge in Amsterdam und der Essalam Moschee in Rotterdam, außerdem das Jüdisch Historische Museum und das Anne-Frank-Haus - das Versteck jenes jüdischen Mädchens, das mit 15 Jahren im Konzentrationslager Bergen-Belsen ums Leben kam und dessen Tagebuch weltberühmt wurde.

Während Paus Reise kam die Sprache immer wieder auf neue Formen der Geschichtsvermittlung. Gerade das Anne-Frank-Haus bemüht sich, die Verbindung zum heutigen Antisemitismus, aber auch allgemein zu Ausgrenzung, Vorurteilen und Diskriminierung herzustellen. So können Besucher am Ende der Ausstellung abstimmen: ob Kreuze in Klassenzimmern erlaubt sein dürfen oder wie der Staat mit Einwanderern ohne Aufenthaltsgenehmigung umgehen soll. Die grausame Konsequenz von Diskriminierung ist in den leer stehenden, verdunkelten Zimmern des Verstecks greifbar.

Es war ein Besuch, der Pau tief bewegte. "Gedenken ist wichtig. Erinnern ist wichtiger. Entscheidend aber ist Einmischen", schrieb sie in das Gästebuch.