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Ausgezeichnet

JOURNALISMUS Der FAZ-Wirtschaftsredakteuer Jan Grossarth erhält den Medienpreis Politik des Deutschen Bundestages

30.01.2012
2023-08-30T12:17:24.7200Z
4 Min

Wer erinnert sich an Astrid Grotelüschen? Mutter, Unternehmerin in einem Familienbetrieb, Kommunalpolitikerin, CDU-Bundestagsabgeordnete, Landwirtschaftsministerin von Niedersachsen bis zum Rücktritt im Dezember 2010. Astrid Grotelüschen war keine Berufspolitikerin, sondern eine Quereinsteigerin in die Politik, gemeinsam mit ihrem Mann betreibt sie eine Mastputenbrüterei. Die Puten wurden ihr politisch zum Verhängnis. Wie es dazu kam, hat Jan Grossarth geschildert, 30-jähriger Wirtschaftsredakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ). Für seinen Beitrag über "Die Putenministerin", veröffentlicht am 26. März 2011, hat Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) ihm am 25. Januar den Medienpreis Politik 2011 des Deutschen Bundestags verliehen.

Der Medienpreis Politik ist mit 5.000 Euro dotiert und wird seit 1993 ausgelobt. Jan Grossarth ist der 21. Preisträger, zwei Journalisten erhielten bislang den finanziell nicht dotierten Sonderpreis für ihr Lebenswerk. Dass die Wahl in diesem Jahr auf Grossarth fiel, ist der siebenköpfigen Jury zu verdanken, die aus insgesamt 56 eingereichten Beiträgen vorab drei nominiert hat.

Nominiert für den Preis war auch Robin Alexander von der Tageszeitung "Die Welt" mit einer Artikelserie zur Präimplantationsdiagnostik (PID). Der Bundestag hatte am 7. Juli 2011 namentlich über drei fraktionsübergreifende Gesetzentwürfe abgestimmt. Bei der PID werden künstlich befruchtete Embryonen vor der Einpflanzung in die Gebärmutter auf Krankheiten untersucht und gegebenenfalls vernichtet. Die Auseinandersetzung um die PID zählt zu den bedeutendsten Parlamentsdebatten des vergangenen Jahres. Selbst ein Gegner der PID, sei es Alexander in seiner Serie gelungen, alle Facetten dieses Konflikts aufzuzeigen, lobte der Jury-Vorsitzende Peter Limbourg, Informationsdirektor von Pro 7/Sat 1.

Eine weitere wichtige Entscheidung des Bundestages hatten die ebenfalls nominierten ZDF-Autoren Thomas Reichart, Sonja Schünemann und Dominik Rzepka aufgegriffen. In einem gut vier Minuten langen Beitrag für die Sendung "Berlin direkt" vom 12. Juni 2011 setzten sie sich unter dem Titel "Die große Hast" kritisch mit der parlamentarischen Beratung von Atomausstieg und Energiewende vor der Sommerpause auseinander. Angesichts der umfangreichen Gesetzesvorlagen, die den Abgeordneten damals recht kurzfristig zugingen und die dennoch umfassend beraten werden wollten, räumte mancher Abgeordnete eine gewisse Überforderung ein.

Warum dann die Entscheidungen für "Die Putenministerin"? Limbourg sagte, dem Autor Grossarth sei es gelungen, die Person der "handfesten Seiteneinsteigerin" Astrid Grotelüschen in wenigen Worten nahezubringen. Die niedersächsische Landwirtschaftsministerin war im Dezember 2010 entnervt nach einer für sie anhaltend negativen Medienberichterstattung zurückgetreten, in der sie als Putenministerin, Putenlieschen oder als "Symbolfigur der Massentierhaltung" geschmäht worden war. Sie hatte schon vor ihrer Zeit als Politikerin zusammen mit ihrem Mann eine Mastputenbrüterei als Familienbetrieb geführt.

Während ihrer Ministerzeit in Hannover verbreiteten Tierschützer Putenfotos aus den Ställen der Brüterei. Einem Fernsehteam gelang es, ein sterbendes Tier zu filmen, die Aufnahmen wurden von anderen Medien übernommen. Der mediale Druck auf die Ministerin wuchs, bis zu ihrem Rücktritt. "Es geht um die Macht der Bilder und derjenigen, die die Bilder produzieren", sagte Peter Limbourg in seiner Laudatio. "Von tausend gefilmten Puten war nur eine krank und blutig." Aber die Ministerin sei auf die Regeln der Medienrealität nicht vorbereitet gewesen: "Die Medien haben skandalisiert, nicht recherchiert. Jan Grossarth hält ihnen den Spiegel vor."

Realität und Vorurteile

Jan Grossarth sagte zum preisgekrönten Beitrag: "Astrid Gortelüschen war eine Quereinsteigerin, keine Berufspolitikerin." Es habe keinen einzigen Artikel gegeben, der sie mal zu Wort habe kommen lassen, als "Lügnerin" oder "Lobbyistin der Fleischindustrie" sei sie beschimpft worden. Doch die Realität sei spannender als die Vorurteile.

Für Limbourg stellt sich die Frage, wann die legitime Recherche umkippt und Journalisten in die "Rolle der Inquisition zurückfinden". Die Medien seien nicht die Wellness-Oase der Nation, sie müssten berichten, "was ist und was nicht gut läuft". Die Jury jedenfalls habe sich jedenfalls erfreut gezeigt über die Qualität der aus dem ganzen Bundesgebiet eingegangenen Bewerbungen. Mit dem Medienpreis Politik würdigt der Bundestag jährlich publizistische Arbeiten in Tages- oder Wochenzeitungen, in regionalen oder überregionalen Medien, in Printmedien, Online-Medien oder in Rundfunk und Fernsehen, die zu einem besseren Verständnis parlamentarischer Praxis beitragen und zur Beschäftigung mit den Fragen des Parlamentarismus anregen. Für Limbourg ist der Medienpreis Politik der "Maybach unter den Medienpreisen", was Bundestagspräsident Norbert Lammert mit der Bemerkung konterte, dass der Maybach soeben eingestellt wurde - was für den Medienpreis aber nicht zu erwarten sei.

Spannungsverhältnis

Sowohl Lammert als auch Limbourg griffen das Thema Pressefreiheit auf. Friedrich der Große zum Beispiel hatte sechs Tage nach seinem Amtsantritt am 5. Juni 1740 die Zensurbestimmungen gelockert, sie aber drei Jahre später nach dem ersten Schlesischen Krieg wieder aufgehoben mit der Begründung, die Zeitungen hätten "von der ihnen verstatteten Zensurfreiheit üblen Gebrauch gemacht". Und sein Nachfolger Friedrich Wilhelm II. hatte 1788 geschimpft, die "Pressfreiheit" in Berlin sei in "Pressfrechheit" ausgeartet. Für Lammert sind dies Indizien dafür, dass es auch schon in der "vermeintlich guten alten Zeit ein bisschen komplizierter" gewesen sein muss. Aber: "Das Spannungsverhältnis ist erhalten geblieben."