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An den Ufern des Rubikons

BILANZ Christian Wulff glänzte mit Glaubwürdigkeit und scheiterte wegen fehlender Glaubwürdigkeit

20.02.2012
2023-08-30T12:17:25.7200Z
5 Min

Schnell hatte er sein Thema gefunden und schien damit alle Kritiker und Zweifler zum Verstummen zu bringen: "Zu allererst brauchen wir aber eine klare Haltung. Ein Verständnis von Deutschland, das Zugehörigkeit nicht auf einen Pass, eine Familiengeschichte oder einen Glauben verengt, sondern breiter angelegt ist", forderte der drei Monate zuvor gewählte Bundespräsident Christian Wulff zum 20. Jahrestag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 2010. Und er fügte an: "Das Christentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das Judentum gehört zweifelsfrei zu Deutschland. Das ist unsere christlich-jüdische Geschichte. Aber der Islam gehört inzwischen auch zu Deutschland."

Mit diesen wenigen, zuvor aber noch nie in dieser Klarheit ausgesprochenen Sätzen schien Wulff all jene widerlegt zu haben, die glaubten, dass der intellektuelle Joachim Gauck "der bessere Präsident" gewesen wäre, wie es der "Spiegel" vor der Bundespräsidentenwahl am 30. Juni 2010 verkündet hatte. Und Wulff verabschiedete sich damit auch vom Image des braven, aber farblosen Parteisoldaten, der ganz im Sinne der selbsternannten "bürgerlichen Mitte" von Union und FDP agieren würde. Denn dass der Islam ab sofort zu Deutschland gehören sollte, brachte ihm nicht nur den Zorn von Hans-Peter Friedrich (CSU) ein, der dies auf seiner ersten Pressekonferenz als frisch gebackener Bundesinnenminister im März 2011 als "Tatsache, die sich auch aus der Historie nirgends belegen lässt" kritisierte.

Mit dieser Äußerung tat Friedrich Wulff in gewisser Weise sogar einen - wenn auch ungewollten - Gefallen: Er zwang ausgerechnet Sozialdemokraten und Grüne, die Gauck zum neuen Herren in Bellevue hatten küren wollen, sich schützend vor den Präsidenten zu stellen.

Wulff konnte auch um so glaubwürdiger in der Rolle des Mittlers zu den Muslimen in Deutschland auftreten, weil er damit nahtlos an seine letzte wichtige Entscheidung als niedersächsischer Ministerpräsident anknüpfte. Im April 2010 hatte er im Zuge einer Kabinettsumbildung mit Aygül Özkan erstmals in Deutschland eine muslimische Ministerin in eine Regierung geholt.

So verwunderte es auch nicht, dass es die Türkische Gemeinde in Deutschland war, die als erstes am vergangenen Freitag ein Wort des Bedauerns zu Wulffs Rücktritt fand. "Wir haben dadurch inhaltlich einen guten Bundespräsidenten verloren", verkündete der Bundesvorsitzende des Dachverbandes, Kenan Kolat. Und mit Blick auf Wulffs Eintreten für einen EU-Beitritt der Türkei setzte er hinzu, dies sei "die Messlatte" für den nächsten Bundespräsidenten.

Glanz in Bellevue

Der 1959 in Osnabrück geborene Wulff verstand es als jüngster Bundespräsident in der Geschichte der Republik in den ersten Monaten durchaus, "bella figura" zu machen. Zu einem erheblichen Teil hatte er dies auch seiner 14 Jahre jüngeren Ehefrau Bettina zu verdanken, die er nach der Scheidung von seiner ersten Frau Christiane Vogt im April 2008 geheiratet hatte. Jung, selbstbewusst, sportlich und attraktiv verlieh sie ihrem stets etwas bieder wirkenden Ehemann etwas von jenem präsidialen Glamour, der in Washington und Paris zu bestaunen ist und den sich offenkundig viele Deutsche auch im Schloss Bellevue wünschen. Und die Boulevard-Presse wurde nicht müde, diesen Glanz ausgiebig zu polieren.

Zusammen mit ihren Kindern Anna-Lena und Leander, die Christian und Bettina Wulff aus ihren vorangegangenen Partnerschaften mit in die Ehe brachten, und dem gemeinsamen Sohn Linus Florian, vermittelte die Wulffs jene moderne Patchwork-Familie, die den Lebenswirklichkeiten des 21. Jahrhunderts entspricht. Seine persönlichen Lebensverhältnisse waren es dann auch, die dem Katholiken Wulff erneut Glaubwürdigkeit und Authentizität verliehen, als er Papst Benedikt VI. bei dessen Staatsbesuch öffentlich die Frage stellte, "wie barmherzig" die katholische Kirche "mit den Brüchen in den Lebensgeschichten von Menschen" zukünftig umgehen wird. Mit dieser Frage hatte er unverhohlen den Ausschluss von wiederverheiratet Geschiedenen von der Kommunion kritisiert und vielen Katholiken aus dem Herzen gesprochen.

Es sollte genau jene Glaubwürdigkeit sein, die ihm dann im Umgang mit den gegen ihn erhobenen Vorwürfen verloren ging. Mit seinen Anrufen bei "Bild" -Chefredakteur Kai Diekmann und Springer-Chef Mathias Döpfner war der sprichwörtliche Rubikon in der Tat übschritten, wie der zürndende Bundespräsident auf Dieksmanns Anrufbeantworter schimpfte. Doch er war es selbst, der ihn überschritt. Und im Gegensatz zu Caesar überschritt Wulff die Grenze nicht wie ein souverän agierender Staatsmann aus strategischem Kalkül. Es war eher eine Kurzschlussreaktion, die erstaunlich unsouverän wirkte für einen Mann, der auf über 30 Jahre politische Erfahrung zurückblicken kann und die "Ochsentour" der Berufspolitiker durchlaufen hat.

Musterkarriere

Bereits als 16-Jähriger war Wulff 1975 in die CDU und die Schüler Union eingetreten und legte neben seinem Jurastudium, das er 1990 mit dem zweiten Staatsexamen abschloss, eine mustergültige Karriere hin. Im Jahr 1983 war er bereits Landesvorsitzender der Jungen Union Niedersachsen, rückte ein Jahr später in den Landesvorstand der CDU auf, dessen Vorsitz er 1994 übernahm. Erste Erfahrungen als Mandatsträger sammelte er als Ratsherr von Osnabrück ab 1986, und 1994 trat er bei den Landtagswahlen bereits erstmals als Spitzenkandidat gegen Niedersachsens Ministerpräsident Gerhard Schröder (SPD) an. Auch vier Jahre später konnte er sich gegen Schröder nicht durchsetzen, erwarb sich aber als Oppositionsführer den Ruf, über Ausdauer und Standhaftigkeit zu verfügen. Den Durchbruch schaffte Wulff schließlich 2003 mit dem Sieg über Schröders Nachfolger Sigmar Gabriel. Als Ministerpräsident und einer von vier stellvertretenden Bundesvorsitzenden gehörte Wulff ab sofort zu den Granden in der Union.

Doch trotz all der Erfahrungen eines Polit-Profis agierte Wulff seit Ende des vergangenen Jahres wie ein Getriebener, der sich im Wochentakt mit neuen Vorwürfen konfrontiert sah. Seine Versuche, durch das Einräumen von Fehlern einerseits und die Selbststilisierung als Opfer einer Medienkampagne anderseits das Blatt zu seinen Gunsten zu wenden, löste in der Öffentlichlikeit zunehmend Unverständnis und einen galoppierenden Glaubwürdigkeitsverlust aus. So scheiterte Christian Wulff letztlich genau an jenem Vorwurf, den er Bundespräsident Johannes Rau im Januar 2000 im Zuge der sogenannten "Düsseldorfer Flugaffäre" gemacht hatte: "Es ist tragisch, dass Deutschland in dieser Zeit keinen unbefangenen Bundespräsidenten hat, der seine Stimme mit Autorität erheben kann." Diese Zeit hat er nun beendet.