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Der große Widerspruch

PARLAMENTSWAHL Die Griechen wollen den Euro, aber nicht die Parteien, die ihn garantieren

30.04.2012
2023-08-30T12:17:30.7200Z
4 Min

IIn einem Punkt sind sich die Kontrahenten einig: Die griechischen Parlamentswahl am 6. Mai ist eine Abstimmung über die europäische Zukunft des Landes. Allen Umfragen zufolge werden acht bis zehn Parteien ins Parlament einziehen, ohne dass sich auch nur entfernt eine Regierungsmehrheit für eine von ihnen andeutet. Inwieweit eine künftige Koalition erfolgreich sein kann, wird vor allem vom Konsens über die Fortführung des Sanierungskurses abhängen.

Als dessen Garanten erscheinen nach wie vor die beiden bisher großen Volksparteien, die sozialdemokratische Pasok und die konservative Nea Dimokratia. Sie sind die Pole eines politischen Systems, das Griechenland in die Krise geführt hat. Geschwächt werden sie nun von Abtrünnigen, die die Gegner der Sparauflagen von den Kreditgebern EU und Internationaler Währungsfonds (IWF) um sich versammeln.

Populisten EU und IWF verfolgen den Zerfall des griechischen Politsystems mit der Angst, nach den Wahlen keine verlässlichen Ansprechpartner mehr zu haben. Unter den Parteien, die es diesmal ins Parlament schaffen können, sind teils extrem populistische Gruppierungen. "Unabhängige Bürger" nennt sich eine rechtsorientierte Bewegung, "Soziale Übereinkunft" eine sozialistische. Die "Unabhängigen Bürger" hatte der ultrakonservative Panos Kammenos gegründet, nachdem er aus der Nea Dimokratia geworfen wurde, weil er einen EU-Kreditvertrag nicht mittragen wollte. Ähnlich erging es der ehemaligen Pasok-Ministerin Luka Katseli, nun Vorsitzende der "Sozialen Übereinkunft". Während sie kaum Chancen hat, Sitze im Parlament zu bekommen, bescheinigen Umfragen Kammenos Stimmenanteile bis zu zehn Prozent. Seine "Unabhängigen Bürger" vertreten die Ansicht, auch ohne Kredite und europäische Perspektive und wenn es sein muss auch ohne Euro aus der Krise finden zu können. Am Tag der Parteigründung der "Unabhängigen Bürger" besuchte Kammenos demonstrativ das Dorf Distomo, wo deutsche Truppen 1944 ein furchtbares Massaker angerichtet hatten.

Der Ton an den politischen Rändern wird rauher. Die "Goldene Morgenröte", eine Schlägerformation griechischer Rechtsextremer, die bisher kaum ein halbes Prozent zusammenbekam, dürfte erstmals bequem die Drei-Prozent-Hürde ins Parlament nehmen. Von ihren Methoden gaben Mitglieder der "Goldenen Morgenröte" bereits im Wahlkampf einen Vorgeschmack, als sie Pasok-Politiker mit Wasserkaraffen und Gläsern bewarfen und heftig beschimpften. Gern gebärden sie sich auch als "Bürgerwehr" gegen krisenbedingt steigende Kriminalität und illegale Einwanderer - und haben mit ihrer Strategie diese Probleme zum zweiten großen Wahlkampfthema gemacht.

Alternative Die Kommunisten, die bis heute dem Stalinismus nicht abgeschworen haben und die ehemaligen Eurokommunisten der Radikalen Linksallianz Syriza waren von Anfang an gegen Hilfskredite und Sparmaßnahmen, auch wenn das den Austritt aus dem Euro bedeuten würde. Sie konnten mit dieser Position kräftig zulegen und kommen nach Meinungsumfragen auf Stimmenanteile von jeweils über zehn Prozent. Vielen nicht ganz so radikalen enttäuschten Pasok-Wählern bietet sich die "Demokratische Linke" von Fotis Kouvelis als Alternative an. Der ehemalige Syriza-Funktionär will an der europäischen Perspektive festhalten, aber die Sparziele neu verhandeln. Er könnte sechs bis neun Prozent der Stimmen bekommen - und damit zu einem Koalitionspartner der Kräfte werden, die das Land angesichts des weiterhin drohenden Staatsbankrotts überhaupt noch als regierbar erscheinen lassen.

Das sind nach wie vor die Pasok und die Nea Dimokratia. Noch im Oktober 2009 war Pasok mit absoluter Mehrheit mit der Regierung unter Georgios Papandreou angetreten. Wie er wird auch dessen Nachfolger Evangelos Venizelos aber nun dafür verantwortlich gemacht, durch die Unterzeichnung der Kreditverträge und den damit einhergehenden Auflagen den Lebensstandard der Griechen über Nacht um 30 Prozent gesenkt, das Land in eine anhaltende Rezession gestürzt zu haben. Den Umfragen zufolge kann Pasok mit nicht mehr als 17 Prozent rechnen.

Venizelos versucht, aus seiner Amtszeit als Finanzminister im vergangenen Jahr politisches Kapital zu schlagen. Schließlich habe er sich auf europäischem Parkett Ansehen verschafft, Erfahrungen in den Verhandlungen gewonnen und er sei derjenige, der durch eine Fortführung des Sparkurses dafür sorgen könne, dass die bisherigen Opfer nicht vergebens blieben. Venizelos versucht die Griechen zu überzeugen, ihm doch noch einen Vorsprung vor seinem Gegenspieler Samaras einzuräumen, um Verhandlungen für eine Koalition einleiten zu können, die den europäischen Kurs des Landes garantiere.

Kehrtwende Adonis Samaras postuliert mit seiner konservativen Nea Dimokratia zwar ebenso vehement den Verbleib in der Eurozone. Doch Samaras hatte in der Opposition zunächst populistisch auf eine Ablehnung der Memoranden gesetzt und erst im vergangenen Winter eine Kehrtwende gemacht. Angesichts des immer bedrohlicher werdenden Staatsbankrotts gab er seinen Widerstand auf und beteiligte sich an der Übergangsregierung des Bankiers Lukas Papadimos, der den neuen Kreditvertrag und einen Schuldenschnitt in trockene Tücher brachte. Allerdings hatte Samaras diese Verhandlungen demonstrativ der Pasok überlassen, um nicht für den Sparkurs verantwortlich gemacht zu werden. Dennoch ist auch die Nea Dimokratia in der Gunst ihrer Wähler gefallen und wird mit vorausgesagten 20 bis 25 Prozent nicht allein regieren können. Samaras betreibt seinen Wahlkampf dennoch mit genau diesem Ziel und verspricht, die Verträge mit den Kreditgebern zumindest besser verhandeln zu können. Doch die Spielräume dafür sind mehr als eng. Zuletzt kündigte Samaras großzügige Entlastungen an: Der Spitzensteuersatz solle von 45 auf 32 Prozent gesenkt und die Mehrwertsteuer auf 19 Prozent von derzeit 23 Prozent reduziert werden. Zusätzlich will seine Partei den Verkauf von Staatseigentum vorantreiben: "Alles, was privatisiert werden kann, wird privatisiert", sagte Samaras.

Die Krise hat die griechische Parteienlandschaft radikalisiert. Doch so sehr die Griechen auch das alte Politsystem abstrafen wollen, so sehr wünschen sie sich andererseits Stabilität. Drei von vier Wählern wollen einen Verbleib im Euro und das wird unter den gegebenen Umständen wohl eine Fortführung der "Großen Koalition" von Nea Dimokratia und Pasok bedeuten müssen. Wenn es nicht gelingt, die europäische Orientierung hochzuhalten, wenn aggressive und extreme Ideen sich durchsetzen, werde sich Griechenland in ein Ruinenfeld der Einzelinteressen verwandeln, warnte jüngst die Zeitung To Vima.