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Schikane oder Steuerung?

HARTZ IV Der Bundestag streitet über die Sanktionen gegen Arbeitslosengeld-II-Bezieher

30.04.2012
2023-08-30T12:17:30.7200Z
3 Min

Für Union und FDP sind sie Kernbestandteil einer Politik des Förderns und Forderns. Die Linke sieht darin ein Instrument, das Menschen in Existenzangst stürzt: Die Sanktionen, die das Zweite Sozialgesetzbuch (SGB II) für Arbeitsuchende vorsieht, die Arbeitsangebote ablehnen oder sich nicht fristgemäß beim Jobcenter melden, spalten den Bundestag. Dies wurde einmal mehr in der Debatte am vergangenen Donnerstag deutlich. In namentlicher Abstimmung lehnte das Parlament mit den Stimmen der Koalition zwei Anträge der Grünen- (17/3207) und der Linksfraktion (17/5174) ab, die eine Aussetzung beziehungsweise Abschaffung der Maßnahmen zum Ziel hatten. Ein weiterer Antrag der Linksfraktion (17/9070) zur Abschaffung der Sonderregelungen für unter 25-Jährige wurde zur Beratung in den Ausschuss für Arbeit und Soziales überwiesen.

"Existenzangst"

Für Die Linke betonte deren sozialpolitische Sprecherin Katja Kipping, durch die Androhung von Sanktionen würden immer wieder Menschen "in Existenzangst gestürzt" und "schikaniert". Zudem übe die Sanktionspraxis Druck auf die Löhne aus: Dies belege ein Gutachten des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung. So führe allein die Existenz von Sanktionen dazu, dass die Bereitschaft von Arbeitnehmern steige, niedrige Löhne und familienunfreundliche Arbeitsbedingungen hinzunehmen. Den Grünen sind vor allem die "besonders rigiden Sanktionsregeln" für junge Erwachsene ein Dorn im Auge. Sie seien geeignet, kritisierte die Grünen-Arbeitsmarktexpertin Brigitte Pothmer, Betroffene in "Kleinkriminalität und Schwarzarbeit" zu treiben.

Nicht grundsätzlich gegen Sanktionen ist die SPD. Ihre Abgeordnete Gabriele Hiller-Ohm argumentierte, dass nur Leistungen erhalten solle, wer alles nur mögliche mache, um aus dem Leistungsbezug herauszukommen. Für diejenigen, die sich dem verweigerten, müssten Konsequenzen möglich sein. Das Bundesverfassungsgericht habe dies auch bestätigt, aber festgehalten, dass an der "physischen Existenz" nicht gekürzt werden dürfe. Wohnung, Essen, Trinken, Kleidung und medizinische Versorgung könnten kein Spielraum für Sanktionen sein. Deshalb müssten die Sonderregelungen für unter 25-Jährige "unter die Lupe" genommen werden, denn bei ihnen seien schnell "drastische Kürzungen bis Null" möglich. Hiller-Ohm forderte Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) auf, "verfassungsfeste Mindestsätze" zu schaffen und für Sanktionsregelungen zu sorgen, die die Existenz nicht antasteten.

Die Koalition sieht hingegen in den Sanktionen wirkungsvolle Steuerungsinstrumente. So sagte der CDU-Arbeitsmarktexperte Carsten Linnemann, in den europäischen Ländern sehe man die deutsche Politik des Forderns und Förderns als Beispiel, dem man nacheifere. Die Sanktionen seien ein Zeichen von "Fairness, Gerechtigkeit und Verantwortung" auch gegenüber den Arbeitnehmern, die durch ihre Arbeit die Leistungen erst ermöglichten. Eine Studie des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung sei zu dem Schluss gekommen, dass Jobcenter, die sich eng an das Regelwerk halten, bessere Vermittlungsergebnisse vorweisen könnten als die, die es damit nicht so genau nehmen.

Der FDP-Sozialexperte Pascal Kober betonte, es gehe bei den Sanktionen um den Grundsatz des Sozialstaates, dass Solidarität keine Einbahnstraße sei, sondern eine Wechselbeziehung zwischen verschiedenen Partnern. Kober lobte zugleich die Arbeitsmarktpolitik der Koalition und verwies darauf, dass die Lage auf dem Arbeitsmarkt so gut sei wie lange nicht mehr.

912.377 Sanktionen

Die Sanktionen sind Bestandteil des SGB II. So können Leistungen gekürzt oder gestrichen werden, wenn Arbeitsuchende ihren Pflichten nicht nachkommen. Für junge Erwachsene gelten dabei strengere Regeln: Weigern sie sich etwa, eine Arbeit an- oder eine Ausbildung aufzunehmen, wird ihnen die Regelleistung nicht nur wie bei Älteren um zunächst 30 Prozent gekürzt, sondern für maximal drei Monate ganz gestrichen. Im Falle wiederholter Pflichtverletzungen werden auch die Kosten für Unterkunft und Heizung nicht mehr erstattet. Laut Bundesagentur für Arbeit wurden im Jahr 2011 insgesamt 912.377 Sanktionen verhängt, in den meisten Fällen, weil gegen Meldepflichten verstoßen worden sei. Im Schnitt wurde den Betroffenen das Arbeitslosengeld II vorübergehend um 116 Euro im Monat gekürzt.