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Amerika - der gefesselte Riese

SICHERHEITSPOLITIK I Die verschuldeten USA werden Lasten verringern und abgeben

08.10.2012
2023-08-30T12:17:39.7200Z
5 Min

Amerika sieht seine vitalen Interessen bedroht, aber es ist in seiner Handlungsfähigkeit enorm eingeschränkt. Die massiven sozioökonomischen Probleme im Innern wirken sich auf das Selbstverständnis im außenpolitischen Handeln und auf den Aktionsradius der Weltmacht aus.

An den Rändern des politischen Spektrums argumentieren auf der einen Seite libertäre Republikaner und auf der anderen gewerkschaftsnahe Demokraten aus ganz unterschiedlichen Gründen gegen das internationale Engagement der USA: Die libertär gesinnten Republikaner - vor allem die Anhänger der Tea-Party-Bewegung - sehen die "innere kapitalistische Ordnung" und das wachsende Haushaltsdefizit mit Sorge und stellen sich gegen das kostspielige militärische Engagement, während die traditionellen, den Gewerkschaften nahestehenden Demokraten die "sozialen Interessen Amerikas" verteidigen und befürchten, dass Mittel für internationale Angelegenheiten oder militärische Zwecke aufgewendet werden, die dann im Etat für innere soziale Belange fehlen.

Wegen der prekären wirtschaftlichen und innenpolitischen Lage kann der globale Hegemon USA künftig nicht mehr die erforderlichen Leistungen wie Sicherheit, freien Handel und eine stabile Leitwährung bieten, sondern wird vielmehr versuchen, seine Interessen rücksichtsloser durchzusetzen und Lasten auf seine Konkurrenten und Verbündeten abzuwälzen. Besonders in der Sicherheitspolitik hat das gravierende Auswirkungen für Europa.

Butter und Kanonen

Barack Obama hat ein schweres Erbe übernommen: eine miserable wirtschaftliche Lage und leere Haushaltskassen. George W. Bushs Butter-und-Kanonen-Politik, also Steuersenkungen trotz immenser Kriegsausgaben, hatten den Staatshaushalt stark belastet. Hinzu kamen dann auch unter Obamas Führung milliardenschwere Maßnahmen, um die größte Wirtschafts- und Finanzkrise seit den 1930er Jahren zu beheben. Mit den Rettungs- beziehungsweise Konjunkturprogrammen wurde der ohnehin schon angespannte Staatshaushalt noch mehr belastet.

Aufgrund der wiederholten jährlichen Rekordhaushaltsdefizite von neun bis zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes (zuletzt 1,3 Billionen US-Dollar im Haushaltsjahr 2011) ist die Gesamtschuldenlast der USA mittlerweile auch politisch untragbar geworden. Die USA müssen eher früher als später die in den letzten Jahrzehnten angehäuften Schuldenberge abbauen - auch um ihre Kreditwürdigkeit aufrechtzuerhalten. Die inländische Sparquote trägt wenig zur Beseitigung des Problems bei, da sie traditionell niedrig ist und viele private Haushalte sogar hoch verschuldet sind. So wird der Staat seine Ausgaben umso drastischer senken müssen, je weniger das Ausland fähig oder bereit ist, Amerikas Staatsschulden zu finanzieren.

Nach der politischen Selbstblockade zwischen dem Präsidenten und dem Kongress und der Herabstufung der Kreditwürdigkeit der USA durch die Ratingagenturen im Sommer 2011 ist ab Januar 2013 zu erwarten, dass - mit wenigen Ausnahmen - Ausgabenbereiche nach dem Rasenmäherprinzip gekürzt werden. Zusammen mit den ohnehin geplanten Einsparungen sollen in den nächsten zehn Jahren allein im Verteidigungsetat etwa eine Billion US-Dollar eingespart werden.

Washington hat bisher auf die kostspielige Strategie massiver Militärpräsenz gesetzt, um seine Energieressourcen und Handelswege zu sichern. Diese Strategie lässt sich wegen der schlechten sozioökonomischen Verfassung Amerikas und wegen des schwindenden innenpolitischen Rückhalts im eigenen Land nicht länger aufrechterhalten. Aufgrund dieser Faktoren wandelt sich die amerikanische Außen- und Sicherheitspolitik. Folgende Trends sind bereits absehbar: Um die innenpolitischen und finanziellen Kosten von Auslandseinsätzen zu verringern, wird die Weltmacht ihren so genannten militärischen Fußabdruck verkleinern und geostrategisch wichtige Gebiete etwa durch eine Flotte unbemannter Flugkörper (Drohnen) mitsamt den dafür weltweit nötigen Basen kontrollieren. Der Einsatz von Drohnen zur Überwachung, Unterstützung und Bekämpfung feindlicher Ziele, aber auch zur Spionage und Aufklärung hat enorm zugenommen.

Neuartige Luftangriffe

Die Verlagerung der Kampf- und Aufklärungsarbeit auf Drohnen führt dazu, dass die klassische Luftwaffe an Bedeutung verliert und in diesem Bereich wie auch im Bereich konventioneller Truppen Investitionen massiv zurückgefahren werden. Bereits 2007 machte Präsidentschaftskandidat Obama kein Hehl daraus, dass er im Notfall auch ohne Billigung Islamabads und der internationalen Staatengemeinschaft auf dem souveränen Staatsgebiet Pakistans militärische Gewalt gegen Terroristen einsetzen werde. Als Präsident hat Obama den Einsatz von Raketenangriffen unbemannter Drohnen im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet forciert und auf Somalia und Jemen ausgeweitet, zum Teil mit Erfolg. Es gelang, wichtige Anführer von Al-Qaida gezielt zu töten. Washington riskiert damit, die Bevölkerungen dieser Länder gegen sich aufzubringen, Terrorgruppen die Rekrutierung zu erleichtern und diplomatischen Kollateralschaden zu verursachen. Am Ende könnte es mit diesem aus innenpolitischen, weil Kosten sparenden Gründen gleichwohl opportunen Vorgehen gerade jene Alliierten verprellen, mit denen es Lasten teilen möchte - so auch die eindringliche Warnung von John B. Bellinger III, dem langjährigen Sicherheitsberater des amerikanischen Außenministeriums.

Die ursprünglich als Vorhut im weltweiten Kampf gegen den Terror eingesetzten unbemannten Aufklärungs- und Kampfflugzeuge können selbstredend auch gegen eine andere am Horizont aufziehende Gefahr in Stellung gebracht werden: gegen China, die aufstrebende Wirtschaftsmacht in Asien, die für ihr weiteres Wachstum immense Energieressourcen benötigen wird. Indem sie diese zunehmend militärisch sichert, gerät sie in Konflikt mit den so genannten vitalen Interessen der USA. Die Außen-und Sicherheitspolitik der USA wird sich weiterhin auf Regionen konzentrieren, in denen vitale Sicherheitsinteressen, insbesondere die Energie-Interessen der USA betroffen sind, etwa im Mittleren Osten, Afrika und Asien. Der Schwerpunkt amerikanischer Sicherheitspolitik verlagert sich in den Pazifik, um ein Gegengewicht zu dem erstarkenden China aufrechtzuerhalten. Um die wichtigsten Handelsstraßen zu sichern, vereinbarten die USA und Australien eine Sonderbeziehung. Ebenso wurden die Beziehungen zu anderen gleichgesinnten Ländern wie Japan und Südkorea auf eine neue Basis gestellt.

Mit der Hinwendung nach Asien trägt Amerika nicht nur dem Rechnung, was es als neue sicherheitspolitische Bedrohung wahrnimmt, sondern auch seiner wirtschaftlichen Abhängigkeit und dem Wunsch, die Lasten weltweiter Verantwortung neu zu verteilen. Auf der einen Seite fordert es die alten westlichen Alliierten auf, ihren Beitrag zum Militärbündnis zu erhöhen, auf der anderen Seite werden die Demokratien in Asien angehalten, ebenfalls zum Fortbestand beziehungsweise Ausbau einer liberalen Weltordnung finanziell und militärisch beizutragen. Dazu sollen mittel- bis langfristig multilaterale Organisationen wie die Vereinten Nationen und die Nato reformiert werden. Zudem will Amerika Institutionen in Asien, etwa das Asiatisch-Pazifische Wirtschaftsforum (Apec) oder den Verband Südostasiatischer Staaten (Asean) zur Umsetzung seiner eigenen Ordnungsvorstellungen in der Region einspannen.

Europa gerät zusehends aus dem Fokus amerikanischer Sicherheitspolitik; gleichzeitig wird der Druck auf die europäischen Partner steigen, sich an internationalen Einsätzen zu beteiligen.

Neue Strategien

Weil die Finanzkrise die Nato-Staaten zum Sparen zwingt, muss das Militär mit weniger Geld mehr leisten. Deshalb sollen Fähigkeiten gebündelt werden, Staaten Souveränität abgeben. Diese Idee stammt von Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen. Er nennt sie "Smart Defense". Die EU nennt diese Verteidigungskooperationen "Pooling" und "Sharing", also Zusammenlegung und Teilung. Ob es den Europäern gelingt, diese Worthülsen mit Inhalten zu füllen, wird Auswirkungen auf die Allianz haben. Denn die USA erwarten, dass die Europäer ihre Rüstungsausgaben besser koordinieren und bei der Stabilisierung prekärer Staaten wie Afghanistan, Pakistan oder Libyen mehr Verantwortung übernehmen (zum Beispiel bei der Ausbildung von Polizeieinheiten). Sollten die Europäer nicht willens oder fähig sein, die ihnen zugedachten Lasten zu schultern, werden ihnen die stichhaltigen Argumente gegen eine Globalisierung der Nato (siehe Artikel unten) ausgehen.

Der Autor ist USA-Experte der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. In seinem aktuellen Buch

"Der amerikanische Patient" analysiert Braml die Folgen wirtschaftlicher und

innenpolitischer Probleme auf die

Außen- und Sicherheitspolitik der USA.