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Ewiges Gedenken

NS-VERBRECHEN In Berlin ist das zentrale Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma eingeweiht worden

29.10.2012
2023-08-30T12:17:40.7200Z
4 Min

Es war ein langer und mitunter steiniger Weg. Rund 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs und den barbarischen Verbrechen der Nationalsozialisten im Namen des deutschen Volkes ist am vergangenen Mittwoch in Berlin das Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma mit einer bewegenden Gedenkveranstaltung eingeweiht worden - 20 Jahre nach dem ersten Beschluss der Bundesregierung, ein solches Mahnmal zu errichten.

Wie viele Sinti und Roma dem Völkermord der Nazis zum Opfer gefallen sind, ist bis heute unklar. Der Zentralrat der Sinti und Roma beziffert die Zahl der Toten auf eine halbe Million. Der 75-jährige Holländer Zoni Weisz ist einer der Überlebenden. "Es darf nicht sein, dass unsere Lieben umsonst gestorben sind", sagte er sichtlich berührt vor den Teilnehmern der Einweihung. Unter ihnen auch Bundespräsident Joachim Gauck, Bundestagspräsident Norbert Lammert, Bundeskanzlerin Angela Merkel, Kulturstaatsminister Bernd Neumann und Berlins Oberbürgermeister Klaus Wowereit.

Weisz sprach stellvertretend für die rund 100 geladenen Überlebenden. In einer emotionalen Rede erzählte er, wie er den Nazis entkommen konnte. "Durch den Mut eines Einzelnen habe ich überlebt, andere nicht." Zu jenen, die nicht überlebten, gehört auch sein eigener Vater. Als kleiner Junge musste Weisz mit ansehen, wie sein Vater in einem Viehwagon in das Vernichtungslager Auschwitz deportiert wurde. Auch seine Mutter und Geschwister wurden umgebracht.

Die Gedenkstätte zwischen Tiergarten, Brandenburger Tor und Reichstagsgebäude war von dem israelischen Künstler Dani Karavan entworfen worden. Sie besteht aus einem kreisrunden See auf einer zwölf Meter großen Granitplatte. Auf einem dreieckigen Stein in der Mitte soll das ganze Jahr über stets eine frische Blume liegen. Für die Einweihung wurde die Blüte eines Eisenhuts ausgewählt, die die zwölfjährige Enkelin eines Überlebenden niederlegte.

Ort der Anteilnahme

Auf dem Rand der Brunnenkonstruktion ist in englischer und deutscher Sprache ein Zitat aus dem Gedicht "Auschwitz" des italienischen Roma Santino Spinelli angebracht. Akustisch untermalt wird der optische Eindruck des Denkmals von einem dauerhaften Geigenton, der von dem deutschen Sinto-Künstler Romeo Franz eingespielt worden ist. Umgeben ist das gesamte Ensemble von mehreren Informationstafeln, auf denen die Geschichte des Völkermords an den Sinti und Roma erzählt wird. Karavan begreift das von ihm entworfene Mahnmal als einen Ort innerer Anteilnahme. Für ihn ist es "vielleicht sogar das wichtigste" Mahnmal, das er bislang entworfen hat.

Das Denkmal gehört genau wie das Mahnmal für die ermordeten Juden Europas zum Gedenkstättenkonzept der Bundesregierung. Die Kosten von 2,8 Millionen Euro hatte der Bund übernommen und das Land Berlin das Grundstück zur Verfügung gestellt. Als Verantwortlicher für das Gedenkstättenkonzept betonte Kulturstaatsminister Neumann mit Blick auf die langen und teilweise unschönen Auseinandersetzungen um das Mahnmal: "Die Errichtung des Denkmals war ein langer und schwieriger Weg, aber es war richtig und wichtig, ihn zu gehen."

Warnung vor Rassismus

Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrates Deutscher Sinti und Roma, dankte Karavan, "der sich mit den Opfern und ihrem Leid auseinander gesetzt hat, und dessen Kunstwerk uns Raum gibt, der unzähligen Opfer zu gedenken". Es gebe keine Familie "unserer Minderheit, die nicht Angehörige verloren hat", sagte er. Rose hatte 1980 als einer der ersten mit einem Hungerstreik auf den lange vergessenen zweiten Völkermord der Nazis aufmerksam gemacht. Erst 1982 war der Völkermord an Sinti und Roma durch den damaligen Bundeskanzler Helmut Schmidt anerkannt worden. "Bis dahin waren die Überlebenden ausgeschlossen von jeder moralischen, rechtlichen und politischen Entschädigung", erinnerte Rose. Seine Freude über die Einweihung des Denkmals werde jedoch getrübt, weil "viele Überlebende diesen Tag nicht mehr miterleben können".

Das Denkmal in unmittelbarer Nähe zum Mahnmal für die ermordeten Juden Europas ist für Rose "Ausdruck der Verpflichtung, Antiziganismus ebenso wie Antisemitismus zu ächten". In seiner Rede warnte er zugleich vor "einem neuen und gewaltbereiten Rassismus" gegen seine Minderheit in Europa. Dieser Rassismus werde leider nicht nur von rechtsextremen Gruppierungen verbreitet, sondern finde "immer mehr Rückhalt in der Mitte der Gesellschaft". Der Umgang mit rechtsextremen Ideologien stelle den "Prüfstein" dar, ob und welche Lehren aus Krieg und Holocaust gezogen worden sind. Zoni Weisz gab eine ernüchternde Antwort auf diese Frage: Die Gesellschaft habe aus diesen Verbrechen "fast nichts" gelernt.

Ausgrenzung

Bundeskanzlerin Angela Merkel stellte sich dieser bitteren Einschätzung. Die bleibende Mahnung der NS-Verbrechen sei es, nicht wegzusehen, "wenn die Würde des Menschen verletzt wird". Dies sei man den Toten und den Überlebenden schuldig, betonte sie. Davon lebe jegliche Zivilisation, Kultur und Demokratie. An Weisz und die Überlebenden gewandt, sagte Merkel: "Sie alle können nicht vergessen und wir dürfen nicht vergessen." Jedes einzelne Leid des Völkermordes sei "eine Geschichte unfassbaren Leids und erfüllt mich mit Trauer und Scham." Merkel räumte ein, dass Sinti und Roma heute noch oftmals "unter Ausgrenzung und Ablehnung" leiden. "Deshalb ist es eine deutsche und eine europäische Aufgabe, sie dabei zu unterstützen, wo auch immer und innerhalb welcher Staatsgrenzen sie leben." Mit Blick auf Rumänien und andere EU-Staaten - deren Namen sie aber nicht explizit nannte - versprach Merkel, sich dafür einzusetzten, "dass die Rechte der Sinti und Roma gewahrt werden".