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Der mysteriöse Einzeltäter

NSU-AUSSCHUSS Früherer MAD-Präsident und Ex-Innenstaatssekretär räumen Versäumnisse ein

03.12.2012
2023-08-30T12:17:42.7200Z
4 Min

Draußen hat sich längst die Dunkelheit über Berlin gesenkt. Drinnen debattiert der Untersuchungsausschuss schon seit dem Vormittag über die Rolle des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) bei den erfolglosen Ermittlungen zu der Mordserie, die dem "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) angelastet wird.

Harte Vorwürfe

Der ehemalige MAD-Chef Karl-Heinz Brüsselbach und Christof Gramm, zwischen 2008 und 2012 im Verteidigungsministerium für den Bundeswehr-Geheimdienst zuständig, müssen sich harte Vorwürfe anhören. Es sei eine "Unverschämtheit", erregt sich SPD-Obfrau Eva Högl, dass man beim MAD und im Ministerium schon bald nach der Enttarnung des NSU im November 2011 über die Befragung des später zum NSU-Terroristen mutierten Uwe Mundlos 1995 während seines Wehrdiensts und über dessen Personalakte im Bilde gewesen sei, dies aber sei den Abgeordneten erst im September 2012 mitgeteilt worden.

Das sei "nicht optimal gelaufen", räumt Gramm zerknirscht ein, "verbuchen Sie es unter Ungeschick oder Dummheit". Von "Mea culpa" redet auch Brüsselbach: "Das war nicht angemessen, das bedauere ich aus heutiger Sicht."

Nun sind Schuldzuweisungen das eine, zukunftsweisende Analysen das andere. Nach manch scharfen Wortwechseln spricht Gramm einen solchen Knackpunkt an, der als eine zentrale Erkenntnis aus den beiden Sitzungen der vergangenen Woche gelten kann. Dem MAD obliegt die Bekämpfung von Extremismus in der Armee. Doch was geschieht mit den Informationen, die der Dienst gesammelt hat? Das sei ungeklärt, meint Gramm, "da hat das MAD-Gesetz eine Lücke".

Der Bundeswehr-Geheimdienst scheint recht nah dran gewesen zu sein an dem 1998 untergetauchten "Bombenbastler-Trio" aus Jena, aus dem später der NSU wurde. Im Ausschuss stand der Verdacht im Raum, das Wissen des MAD hätte vielleicht genutzt werden können, um die Gruppe frühzeitig dingfest zu machen. Unions-Obmann Clemens Binninger überraschte Brüsselbach und das Publikum auf der Galerie mit dem Hinweis, der Geheimdienst habe schon um das Jahr 2000 erfahren, das Trio bewege sich "in Richtung Rechtsterrorismus", sei vormals beim "Thüringer Heimatschutz" aktiv gewesen und halte sich eventuell an einem bestimmten Ort auf. Brisante Informationen, die aber "versandeten", ärgerte sich Binninger. Die Erkenntnisse lösten offenbar weder beim Verfassungsschutz noch bei der Polizei irgendwelche Aktivitäten aus, auch wenn der MAD seine Informationen an den Inlandsgeheimdienst weiterleitete.

Ungereimtheiten

Noch andere Ungereimtheiten stoßen den Abgeordneten auf. Linke-Sprecherin Petra Pau warf dem MAD vor, selbst nach dem Auffliegen des NSU Akten zum Rechtsextremismus vernichtet zu haben - etwa über die fränkische Szene, zu der die Jenaer Gruppe Kontakte unterhalten habe. Wolfgang Wieland (Grüne) hielt Brüsselbach vor, in den 1990er Jahren hätten selbst ausgewiesene Rechtsextremisten ihren Wehrdienst ableisten und dabei den Umgang mit Waffen lernen können - zum Beispiel Leute, die sich das SS-Motto "Blut und Ehre" eintätowiert oder gegenüber dem MAD Hitler als "großen Mann" bezeichnet hätten.

Einige scharfe Wortwechsel, vor allem aber das Eingeständnis von Fehlern bei den gescheiterten Aufklärungsbemühungen zur Mordserie prägten auch die Vernehmung von Ex-Innenstaatssekretär August Hanning. Stellen wollten die Parlamentarier den Zeugen bei zwei umstrittenen Maßnahmen: 2006 wurde die vom Bundeskriminalamt (BKA) angestrebte und auch vom Ausschuss im Rückblick als sinnvoll erachtete Zentralisierung der zersplitterten Ermittlungen abgelehnt, zudem wurden in jenem Jahr beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) die Abteilungen für Links- und Rechtsextremismus zusammengelegt. In diesem Punkt indes wehrte sich der Ex-Staatssekretär.

Der Ausschussvorsitzende Sebastian Edathy (SPD) forderte Hanning mit dem Vorwurf heraus, 2006 habe man sich im Bundesinnenministerium offenbar mehr für die Frage interessiert, wie zwischen Bund und Ländern die Kosten von 300.000 Euro für die Auslobung einer Belohnung für Hinweise zur Mordserie aufzuteilen sind, anstatt sich gründlich mit dem BKA-Vorstoß auseinanderzusetzen. Nein, konterte der Zeuge, dies sei ein "außergewöhnlicher Vorgang" gewesen, mit dem sich die Spitze des Ministeriums bis hin zu Ressortchef Wolfgang Schäuble (CDU) befasst habe. Die Länder und vor allem Bayern hätten sich einer Zuständigkeit des BKA widersetzt, und es hätte nichts gebracht, dies "konfrontativ" durchzusetzen. Bei einer Innenministerkonferenz habe man sich schließlich auf Abteilungsleiterebene auf ein zwischen Ländern und BKA abgestimmtes Vorgehen geeinigt.

Aber bedeute es nicht eine "Vernachlässigung und Verharmlosung des Rechtsextremismus" , wenn, wie 2006 geschehen, beim BfV die Abteilungen für Links- und Rechtsextremismus fusioniert wurden - zumal Behördenchef Heinz Fromm davor gewarnt hat, fragte die Abgeordnete Högl. Hanning verwies auf einen unabweisbaren Spardruck. Da damals der islamistische Terror die größte Bedrohung gewesen sei, habe man sich für die Zusammenlegung der besagten zwei Abteilungen entschieden.

Kein Bekennerschreiben

Der frühere Staatsekretär verteidigte die Sicherheitsbehörden, die "nach bestem Wissen und Gewissen" gearbeitet hätten. Gleichwohl "wurden Fehler gemacht", räumt er ein.

Die lange Zeit aufrechterhaltene These, es gebe keinen Rechtsterrorismus, stehe mit der im Rückblick falschen Beurteilung in Zusammenhang, dass Terrorismus etwas mit festen Strukturen nach dem Muster der RAF oder von Al-Qaida zu tun haben müsse. Darüber hinaus würden solche Täter rational handeln. "Wir haben lange das Phänomen Einzeltäter unterschätzt", konzedierte August Hanning. Inzwischen wisse man auch, dass Rechtsterroristen sehr häufig gar keine Bekennerbriefe hinterlassen.

Eine Lanze brach Hanning schließlich für den Verfassungsschutz - und dies, wo doch inzwischen fünf Präsidenten auf Landes- und Bundesebene im Zuge der NSU-Affäre zurückgetreten sind. Hanning forderte, den Verfassungsschutz, der leider "immer ein Stiefkind der Sicherheitspolitik" gewesen sei, als tragende Säule der Sicherheit zu stärken.