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Schuldenschnitt Rennen gegen die Zeit

Griechenland-Hilfe Bundestag stimmt Auszahlung von weiteren 44 Milliarden Euro zu. Steuerzahler erstmals zur Kasse gebeten

03.12.2012
2023-08-30T12:17:43.7200Z
5 Min

Wieder war es ein Rennen gegen die Zeit. Wieder musste Griechenland in einer Notoperation geholfen werden. Und wieder einmal blieb den Abgeordneten kaum Zeit, sich in die schwierige Materie einzuarbeiten. Doch abgestimmt werden muss. Ohne eine parlamentarische Beratung in allen Parlamenten der Euro-Zone kann das knapp 44 Milliarden schwere Rettungspaket für Athen nicht ausgezahlt werden. Und das soll bereits in einer ersten Tranche am 13. Dezember passieren. Gelingt dies nicht, ist Athen zahlungsunfähig. Die finanziellen Verluste für alle Gläubiger wären gewaltig. Doch Zweifel bleiben: Die Option eines Schuldenschnitts, die der Internationale Währungsfonds IWF zuletzt immer lauter verfolgte, bleibt auch nach der Einigung der Finanzminister auf der Tagesordnung.

Schuldenlast reduzieren

Denn eigentlich sollte es gar kein weiteres Hilfspaket für Athen mehr geben. Doch auch wenn es nicht so genannt wird, ist die Einigung der 17 europäischen Finanzminister vom Dienstag vergangener Woche genau das: ein drittes Hilfspaket. Es soll die Schuldenlast Griechenlands bis zum Jahr 2022 auf rund 124 Prozent reduzieren. Zwei Jahre später sollen es nur mehr 110 Prozent sein. Zudem soll das jährliche griechische Haushaltsdefizit im Jahr 2016 bei drei Prozent liegen. Bisher war man davon ausgegangen, dass dies bereits 2014 erreicht werden könnte. Die Festlegungen sind besonders wichtig, damit der IWF auch weiterhin bei der finanziellen Rettung des Landes mitmacht. Notwendig wurde ein solches Hilfsprogramm, weil Griechenlands Schulden schneller wachsen als angenommen. Das Land steckt weiterhin in einer Rezession, die Reformen kommen nur langsam voran. Nun hat man sich durch ein ganzes Bündel von Maßnahmen auf eine Summe von 43,7 Milliarden Euro geeinigt. Im Dezember sind davon 34,4 Milliarden Euro fällig. Davon sind 23,8 Milliarden Euro zur Stützung der angeschlagenen Bankenbranche und 10,6 Milliarden für den Staatshaushalt vorgesehen. Ohne die Hilfen könnte die Regierung in Athen schon bald keine Rechnungen, Löhne und Renten mehr bezahlen. Weitere 9,3 Milliarden Euro werden Anfang 2013 in mehreren Zahlungen fällig, wenn das Land weitere Auflagen erfüllt, die die Troika, eine Untersuchungskommission aus Vertretern des IWF, der EZB und der EU-Kommission, dem Land auferlegt hat. (Siehe Beitrag unten) Die neuen Hilfs-Milliarden setzen sich dabei aus einem ganzen Bündel von Maßnahmen zusammen.

Der wichtigste Baustein ist dabei zugleich derjenige mit den größten Risiken - ein Schulden-Rückkaufprogramm. Die griechische Regierung soll mit geliehenem Geld eigene Schuldtitel von privaten Gläubigern zurückkaufen, um so die Schuldenquote zu drücken. Die griechische Regierung bietet den privaten Gläubigern an, eigene Staatsanleihen zu 35 Prozent des Nennwerts zurückzukaufen, obwohl sie zu 100 Prozent in den Büchern stehen. Derzeit werden die Anleihen je nach Laufzeit zu 20 bis 30 Prozent gehandelt. Theoretisch könnte die Schuldenlast so relativ günstig verringert werden. Nachdem aber nun die Pläne dafür offiziell bekanntgegeben wurden, dürften die Preise schnell anziehen. Investoren könnte das vom Verkauf abhalten. Konkrete Details und Summen für eine solche mögliche Rückkaufaktion ("debt buy-back") sind allerdings noch unklar. Man rechnet mit einer Summe von bis zu zehn Milliarden Euro. "Wenn Griechenland seine Anleihen zu einem Abschlag von 70 Prozent zurückkaufte, könnte es seinen Schuldenstand netto um 23 Milliarden Euro reduzieren, was zehn Prozent des Bruttoinlandsproduktes entspräche", heißt es in einem Gutachten der Commerzbank. Sehr viel konkreter sind hingegen die Beschlüsse, Griechenland durch Zinserleichterungen zu helfen. Dafür sollen die Zinsen für die Kredite aus dem ersten Griechenland-Rettungspaket um einen Prozentpunkt gesenkt werden: Damals hatten die Euro-Länder bilaterale Hilfskredite vergeben. Für Deutschland übernahm dies die Staatsbank KfW, der Bund garantierte dafür. Der KfW sollen durch den Zinserlass keine Verluste entstehen. Wie viel der griechische Staat damit genau spart, ist unklar, es handelt sich aber um eine Milliardensumme. Für die Bundesregierung reduzieren sich die Einnahmen um einen dreistelligen Millionenbetrag. Und auch die Laufzeiten für bilaterale Kredite des zweiten Rettungspakets sowie die Darlehen des Euro-Rettungsfonds EFSF sollen von 15 auf 30 Jahre verdoppelt werden. Damit laufen die Kredite für Griechenland bis zum Jahr 2040.

Die Zinsen für EFSF-Darlehen im Zuge des zweiten Rettungspaktes sollen zehn Jahre lang gestundet werden. Darüber hinaus sollen die Zentralbankgewinne, die bei den Notenbanken der Euro-Staaten auflaufen, an Griechenland fließen, indem auf Gewinne aus dem Anleihekaufprogramm der EZB verzichtet wird. Den griechischen Haushalt soll das um elf Milliarden Euro entlasten. Das bedeutet, dass der deutsche Steuerzahler zum ersten Mal für die Griechenland-Hilfe zur Kasse gebeten wird: Im kommenden Jahr werden die für 2012 erwarteten deutschen Gewinne auf 599 Millionen Euro taxiert. Hinzu kommen weitere 130 Millionen Euro Zinsgewinne, die aus dem ersten deutschen Hilfspaket für Athen jährlich für den Bundesetat prognostiziert werden. In der Summe könnte so im nächsten Jahr dem Bundesetat rund 730 Millionen Euro an EZB-Gewinnen und Zinsen aus dem ersten Griechenland-Kredit entgehen. Sie werde stattdessen auf ein Sonderkonto an die Regierung in Athen überweisen.

Ehrgeizige Ziele

Doch endgültig gerettet ist Griechenland damit wohl immer noch nicht. Damit die Maßnahmen aufgehen, muss das Land ehrgeizige Ziele erreichen. So gehen die Euro-Finanzminister davon aus, dass die Regierung bereits im Jahr 2016 einen Haushaltsüberschuss vor Zinszahlungen in Höhe von 4,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts erreicht und die Wirtschaft um 3,5 Prozent wächst. Ob das gelingt, ist mehr als fraglich. Um so mehr rückt ein möglicher Schuldenschnitt in den Mittelpunkt der öffentlichen Debatte. Deutschland und andere Euroländer wehren sich jedoch vehement gegen einen solchen Krediterlass. Spanien und Italien etwa haben selbst Finanzsorgen, und befürchten wie die Bundesregierung, dass sie durch einen Schuldenerlass selbst in den Strudel bonitätsgefährdeter Staaten geraten könnten. Und würden Griechenland Schulden erlassen, könnte man sich gegen ein ähnliches Ansinnen Portugals wohl kaum wehren. Die Weltwirtschaft würde dadurch in eine tiefe Rezession fallen. Die Bundesregierung argumentiert zudem, dass die Gewährung von Krediten und die gleichzeitige Zustimmung zu einem Schuldenschnitt haushaltsrechtlich gar nicht möglich wären.

Beim ersten Schuldenschnitt für Griechenland Anfang 2012 waren fast nur private Anleger wie Banken und Fonds betroffen. Damals tauschten Banken, Versicherungen und Fonds alte Anleihen gegen neue und erließen dem Land damit rund 107 Milliarden Euro. Nun wären öffentliche Geldgeber diejenigen, die verlören, denn der IWF, der bisher rund 22 Milliarden Euro nach Griechenland überwiesen hat, hat dies nur unter der Bedingung getan, dass er bei einem möglichen Zahlungsausfall des Landes als sogenannter "vorrangiger Gläubiger" behandelt wird. Und auch die EZB, die seit Mai 2010 griechische Staatsanleihen im Nominalwert von etwa 45 Milliarden Euro am Markt aufgekauft hat, lehnt einen Verzicht auf ihre Forderungen kategorisch ab. Sie verweist darauf, dass ihr laut eigenen Statuten die Finanzierung von Staaten verboten ist. Insofern ist auch von der EZB kein Beitrag zum Schuldenschnitt zu erwarten.

Bleiben die europäischen Steuerzahler. Sie haben seit 2010 über zwei Hilfspakete bereits rund 127 Milliarden Euro nach Griechenland verliehen und stehen damit aktuell für rund 40 Prozent der griechischen Gesamtschulden ein. Wie viel sie gegebenenfalls bei einem erneuten Schuldenschnitt Griechenlands zahlen müssten, hängt vom Betrag des Kreditausfalls ab. Rund 63 Milliarden Euro würden Griechenland erlassen, wenn die Euro-Partner nach aktuellem Stand auf die Hälfte ihrer Forderungen verzichten würden. Nach Schätzungen müsste Deutschland auf 17,5 Milliarden Euro verzichten.